Sascha Anderson über sein neues Buch

Viel Scheiße erzählt

Sascha Anderson stellt sein gleichnamiges Buch in Berlin vor. Eine Dokumentation

Pressesprecherin: Das große Interesse wundert uns nicht wirklich. Ich begrüße Sie heute Abend hier im Kaffee Burger ...

(Lachen, Zwischenruf): Wer legt denn auf?

Verleger:Ich kenne Sascha Anderson seit anderthalb Jahren. Das Buch ist kein Roman, keine Autobiografie. Der Text ist das, an das wir glauben. Es ist ein sehr wichtiges Stück Literatur wie kaum ein anderes. Man sollte den Text für sich lesen, für sich werten.

Sascha Anderson: (...) Die letzten zehn Jahre waren nicht durch die Akten dominiert. Die Verhältnisse, die über mich hinausgingen, waren wichtig. Ich war, ich bin in Raum und Zeit zerrissen. Der Mensch zerreißt an innerer Polarisierung. Das, was ist, hat die Katastrophen anderer überlebt. Es zerfetzt mich jetzt wie einst, es lässt mich mir wiederbegegnen in meinen finstersten Stunden. Es geht nicht um Wiedergutmachen, Entschuldigen, es ist nichts wieder gutzumachen, zu entschuldigen. Ich kann nicht zum Hörer greifen und alle Opfer der Geschichte, Verlierer der Geschichte fragen, ob sie das erlauben, dass ich meinen Text schreibe. (...)

Ist das Erscheinungsdatum 10 Jahre später zu früh oder zu spät?

Zu spät wäre nach dem Tod, zu früh vor dem Leben.

Worin lagen die Gründe für die Schwierigkeit des Schreibens?

Ich habe vorher viel Scheiße über mein Leben erzählt, es war dann schwer, sich selbst gegenüber die Wahrheit zu erzählen.

Und was war der Grund, über sich Scheiße zu erzählen?

Viele haben das Motiv, eine glückliche Kindheit gehabt haben zu wollen, ich wollte begründen, warum ich der große Zampano bin, der alles im Griff hat.

Sind Sie sich dessen bewusst, dass Sie Ihre Kindheit mythologisieren?

Ich habe aufgeschrieben, woran ich mich erinnere. Wenn Sie darin Mythologisierung sehen, ist das ihr Problem. Ja, Novalis, ich bin an ihm gescheitert. So hab' ich ihn gesehen, da lief was falsch. (...)

Ich hab selber 'ne Therapie gemacht, deshalb frage ich, ob Sie jetzt alles geschafft haben. Es gibt ja Situationen, wo man professionelle Hilfe benötigt. Sie hatten zwar Freunde, aber manchmal braucht man ja jemanden, der eine Distanz hat zu den Dingen. Haben Sie je eine Therapie gemacht?

Nein. Schreiben ist für mich keine Therapie.

Mir ist aufgefallen, wenn es in Ihrem Text um Ja oder Nein geht, schreiben Sie: »Ich höre mich Nein sagen« ...

Ja, ich habe eine Notwehrfunktion eingebaut.

Sind Sie heute befreit davon, von diesem Druck?

Ich glaube, ja.

Wie beurteilst du heute die Führungsoffiziere und die Stasi?

Ich möchte das nicht beurteilen. Ich war immer überheblich, das ist ausgenutzt worden, die haben mich erzählen lassen. Man redet über Hinz und Kunz, über Freunde und Familie - Scheißdreck! Ich habe mich an der Stelle völlig überhoben (...)

Wie weit haben Sie sich von den Erwartungen anderer leiten lassen? Ich habe eine tiefere Auseinandersetzung mit dem Leiden vermisst. Das ist nicht reflektiert. Man liest nur von Lob, Selbstlob.

Es gibt keine Erwartungen des Verlages - das Leiden schlug bei mir immer in Hyperaktivismus um, spielte eine kleine Rolle. (...)

Ich wollte noch mal zu den eigentlichen Opfern fragen, die Sie als Opfer der Geschichte bezeichnet haben...

Ich habe sie aufgezählt, wie ich an ihnen versagt habe. Da gibt es große Eindrücke.

(Zwischenruf): Das sind doch nur Selbstreflexionen!

Ich kann nur an mir merken, an meinen Scheiterungen, wo das Ding langläuft. Wo bin ich unmoralisch gewesen, und wie ist das gekommen.

Was ist der Hauptgrund für die Lüge - über Jahre hinweg?

Angst, Furcht, Feigheit. Unheimlich pubertär, wie beim Rauchen auf dem Scheißhaus erwischt zu werden, vom Großvater. Ich bin immer nur als Macher 'rumgerannt, der so genannte Avantgardebegriff stammt ja aus dem Westen - Unsinn! (...)

Ist das nun ein literarischer Text oder eine Selbstanalyse?

Ich würde das nicht bezeichnen. Ich musste das schreiben, um alles mal zu erzählen. Mir zu erzählen.

Wem wollen Sie was erzählen?

Wer das kauft, wird es lesen wollen.

Aber an wen haben Sie gedacht?

Ich habe keine konkrete Person im Kopf. (...)

Wieso sind die Opfer die Verlierer der Geschichte?

Das finde ich nicht, aber ich sehe das sehr oft.

Können Sie verstehen, dass Ihre Ursachenforschung, für das, was Sie getan haben, eine Schuldabwälzung auf die Vätergeneration ist?

Nein.

Aber irgendwo hatten wir doch alle eine schwere Jugend.

Eine konkrete Jugend hatte damit zu tun, schwere oder leichte Jugend hat damit nichts zu tun.

Sie haben doch den Charakter ihres Vaters beschrieben und die Auswirkungen auf Sie. Ist das kein Schuldabwälzen?

Nein, das missverstehen Sie. Ich habe gelernt, nicht dazu zu stehen. Die Schuldfrage ist geklärt.

Sie sagen, es gibt nichts zu entschuldigen. Können Sie damit leben?

Darüber möchte ich in der Öffentlichkeit nicht reden!

Aber das hat sich doch im öffentlichen Raum abgespielt! Reden wir mal über Reue, ich hab' das Buch gelesen und finde da nichts, da ist über Reue und Leid nichts zu finden!

Das empfinde ich anders ... Gut, ich bereue. Das ist was sehr Privates, ich werde mich nicht hinstellen, vor 300 Leuten, oder 50 ... (winkt ab)

Pressesprecherin DuMont Verlag: Keine weiteren Fragen?

Mitschrift der Pressekonferenz: Kathrin Hirschmann
Sascha Anderson: Sascha Anderson. DuMont, Köln 2002, 280 S., 19,90 Euro