»Passwort Swordfish«

Mittendrin statt nur dabei

»Passwort Swordfish« mit John Travolta nimmt den Zuschauer mit in die Katastrophe.

In den letzten Wochen ist immer wieder die Frage gestellt worden, welche Auswirkungen die Anschläge von New York und Washington auf Hollywood haben werden. Darüber lässt sich ausgiebig spekulieren, gleichzeitig aber steckt in dieser Frage eine zweite: Was meinen wir eigentlich, wenn wir »Hollywood« sagen? Wenn nicht ein Konglomerat von Stars oder jener konkrete Standort von Filmfirmen in Kalifornien gemeint ist, kann Hollywood für eine bestimmte Ökonomie filmischen Erzählens stehen, z.B. einen Begriff bedeuten, den wir für aufwendiges Kino benutzen. Es kann melodramatische Überhöhung meinen oder auch kostspielige Action-Inszenierung. Nur noch sehr selten wird Hollywood als eine Art produktives Zentralorgan mit integrierter Gehirnwaschanlage verstanden - als die Personifizierung einer Ideologiemaschine, die wie eine weltweit agierende Reichsfilmkammer den immergleichen Propagandamist in die Welt verschicke. Meistens ist Hollywood eine Abkürzung für allerlei Assoziationen, die mit einer runden, »perfekten«, prominent besetzten und relativ leicht verständlichen Kinoerzählung zu tun haben. Gerne auch mit Happy End.

Seit dem 11. September wird wieder personalisierend über »Hollywood« geredet. In Krisensituationen sind einfache Lösungen gefragt: Jetzt reagiert Hollywood, Hollywood demonstriert Trauer, und Hollywood zieht vor allen Dingen Produktionen zurück, die der Situation nicht angemessen erscheinen. Ein Sammelbegriff wird lebendig; er handelt und wird wie seine Stars zum Gegenstand von Agenturmeldungen. Beispielhaft für unsere Fragen und die gegebenen Antworten dieser Tage hieß es in der Neuen Zürcher Zeitung vom 14. September: »Und wie reagiert Hollywood? Es stoppt, 'aus Respekt für die Opfer und ihre Familien', den Start seiner neuesten Produktionen zum Thema, allen voran einen Terrorismus-Thriller mit Arnold Schwarzenegger, der personifizierten Rückschlagmentalität, in der Hauptrolle. Sein Titel: 'Collateral Damage', Begleitschaden.«

Wie aus dieser Pietät nun Regierungsgeschäfte werden könnten, war kürzlich in Variety und verschiedenen Tageszeitungen zu lesen. Es sei am 17. Oktober zu einem Geheimtreffen zwischen »Washington und Hollywood« gekommen, um die Filmindustrie auf Linie zu trimmen und eine »arts and entertainment task force« zu bilden. Beiden Seiten schwebe eine »patriotische Haltung Hollywoods« vor, was auch immer das sein mag. »Einsatzbefehl für Hollywood« lautete die Übersetzung der Variety-Meldung in der FAZ, »Washington bittet Hollywood um Hilfe« hieß es in der Süddeutschen Zeitung.

Wahrscheinlich gehört zum Gebrauch dieser menschelnden Metapher, dass wir uns immer schon ihrer Unhaltbarkeit bewusst sind. Natürlich ist Hollywood weder ein einheitlicher Produktionskörper, noch glauben wir tatsächlich daran, dass es ausschließlich um Taktgefühl oder Betroffenheit geht.

Für alle Fälle aber kommt jetzt »Passwort Swordfish« in die deutschen Kinos. Anders gesagt: Der Film, der in der Logik von Pietät, Anti-Action und Vermeidung von »Kollateralschäden« im Kino wohl als allererster hätte zurückgehalten werden müssen, ist bestens dazu geeignet, das Vertrauen in einen kohärenten Organismus Hollywood und dessen be(un)ruhigende Geschlossenheit zu untergraben. Er passt eher zur Meldung, dass in amerikanischen Videotheken seit den Anschlägen Thriller und Katastrophenfilme steigende Nachfrage erfahren. Produziert wurde »Passwort Swordfish« von Joel Silver, der spätestens seit »Stirb langsam« und der »Lethal Weapon«-Reihe als Synonym für Action gilt.

Vor ein paar Jahren hat der Drehbuchautor Larry Gross die Filme Silverscher Provenienz und vergleichbare Konkurrenzveranstaltungen als »Blam« definiert: »Wie auch immer man dieses Genre nennen mag - Film-als-Themenkino, Film-als-Riesen-Comic-Buch, Film-als-Achterbahn. Ich nenne es einfach Big Loud Action Movie (Blam).« Der Filmhistoriker Tom Gunning hat die Traditionen dieses »Kinos der Attraktionen« bis zum frühen Kino vor 1906 zurückverfolgt, dem es in erster Linie um »die Präsentation von faszinierenden Schauwerten, von illusionärer Kraft und Exotismus« ging.

Das Problem mit diesem speziellen Exemplar des »Blam« ist nur, dass es nicht besonders gut funktioniert. Eine einfache Geschichte wird mit Rückblenden stockend erzählt, und Zugpferd John Travolta macht als skrupelloser Schurke und ausgewiesen maliziöses Superhirn Gabriel nicht viel her. »Er existiert«, raunt irgendjemand einmal vielversprechend, »in einer Welt jenseits eurer Welt!« Nur gibt es neben teuren Anzügen, einem Kinnbärtchen, Autos, Computern und willfährigen Gespielinnen überhaupt nichts Jenseitiges zu sehen. Gabriels Plan, an geheime Konten der US-Regierung - rund 9,5 Milliarden Dollar aus inoffiziellen Transaktionen der DEA - zu kommen und zu diesem Zweck Stanley, den »zweitbesten Hacker der Welt«, zu erpressen, eine Online-Plünderung zu bewerkstelligen, ist auch nicht gerade ein Ausweis unendlich abseitiger Genialität. Dass Gabriel sich am Ende als Agent eines geheimen Anti-Terror-Programms enttarnt, ist dann auch nur im aktuellen Kontext des Starts von »Passwort Swordfish« spannend.

»Faszinierende Schauwerte« und »illusionäre Kraft« jedenfalls halten sich eher in Grenzen. Daran ändert auch der Held Stanley (Hugh Jackman) nichts, der irgendwo zwischen Hacker-Genie und Super-Daddy mit Bruce Springsteen-Sex-Appeal oszilliert. »Passwort Swordfish« scheint das manchmal sogar selbst zu wissen; darum muss Halle Berry als Co-Schurkin Ginger irgendwann völlig überraschend ihre Brüste entblößen, was dann tatsächlich ein viel nackterer Moment wird, als es dem verantwortlichen Regisseur Dominic Sena (»Kalifornia«) lieb sein dürfte. Beim verzweifelten Versuch, »faszinierende Schauwerte« für ein männliches Publikum zu liefern, zieht sich Senas Film quasi selbst aus.

Das Scheitern innerhalb der eigenen »Blam«-Logik hat auch damit zu tun, dass der Action-Höhepunkt schon in den ersten Minuten des Films verballert wird. Genau der aber ist - wie auch die wahre Identität des Schurken - das aktuell Spannende an diesem sexistischen Quatsch. Im Zentrum von L.A. findet eine Explosion statt und reißt mehrere Menschen in den Tod. Die Bombe ist kein Flugzeug, sondern eine Geisel, die von Gabriel im Rahmen seines Milliarden-Coups mit Sprengstoff gespickt wurde. Eine Explosion unter und mit der Zivilbevölkerung im Zentrum einer amerikanischen Metropole zu zeigen, wäre zur Zeit eigentlich schon skandalös genug. »Is 20th Century Fox out of its fucking mind?«, sollen Kritiker sich echauffiert haben, weil am Anfang des ansonsten recht ruhigen Thrillers »Don't Say a Word« ein Auto in New York explodiert und ausbrennt.

In »Passwort Swordfish« aber gemahnt die Explosion weitaus offensiver und verstörender an die Anschläge vom 11. September. Sie ist das Werk eines Mannes, der als Mitglied der Geheimorganisation »Black Cell« agiert, die vom FBI-Boss J. Edgar Hoover in den Fünfzigern als nationale Verteidigungsfront gegründet worden war. Das probate Mittel der »Black Cell« gegen Terroristen ist die zehnfache Vergeltung jedes Anschlags. Mit den 9,5 Milliarden Dollar will Gabriel also letztlich den Kampf gegen die Feinde Amerikas finanzieren, womit die Explosion von L.A. zu einem Bestandteil des Anti-Terror-Terrors wird. Am Ende, als Gabriel nach dem Coup die Flucht gelungen ist, fliegt dann auch prompt irgend ein Oberterrorist mitsamt Yacht in die Luft. Die Nähe zu »America's New War« (CNN) - erst recht seitdem George W. Bush offiziell die CIA auf die Tötung Ussama bin Ladens angesetzt hat - wird hier gerade deshalb unheimlich, weil sie so ungewollt ist und durch die Dysfunktionalität des »Blam« umso deutlicher zutage tritt.

Auch die Art, wie die Explosion inszeniert wird, lässt sich mit dem »Terrorkrieg« (ZDF) zusammen denken. Gedehnt und mit ungeheurem technischen Aufwand fotografiert, funktioniert diese Szene ungefähr in der Logik, nach der Filme wie »Saving Private Ryan« und »Pearl Harbor« Krieg übersetzt haben. Die Kamera zeigt die Explosion in L.A. nicht als Totale, sondern befindet sich gleichsam in ihr. Wie bei den Amateuraufnahmen vom Einsturz des World Trade Center fliegen auch hier Schutt und Asche auf eine bewegliche Kamera zu, diesmal aber in einer Überhöhung der perspektivischen Authentisierung. In Superzeitlupe fliegen wir mit der Kamera durch die Druckwelle, vorbei an Leibern, Autos, Glassplittern. Erlebnispark Zerstörung: Ähnlich wie in »Saving Private Ryan«, in dem wir als Frontschweine einen kinematografisch transponierten Kugelhagel erfahren sollen, und vergleichbar mit jener Szene aus »Pearl Harbor«, in der wir hinter der Bombe direkt ins Ziel fliegen, gibt auch diese Inszenierung vor, in das Ereignis »einzutauchen«. Nicht zuletzt diese Teilnahme an der Katastrophe, das Sich-mitnehmen-Lassen, hatte bei den immer wieder gezeigten Videos der Augenzeugen von New York eine wichtige Rolle gespielt.

Was als (historisches) Ereignis nicht erklärt werden kann, nicht erklärt werden braucht oder nicht erklärt werden soll, muss umso fühlbarer werden. Ein Gestus von Nähe, mittendrin statt nur dabei: Wenn wir die »Bestie Krieg« in »Saving Private Ryan« miterleben« können, dann können wir durch die Bilder von New York auch unmittelbar zu Opfern werden - zu »Amerikanern«, wie Peter Struck gesagt hat. Es ist gut möglich, dass ein Großteil des Kinopublikums diese Erlebnis-Explosion in »Passwort Swordfish« angesichts des realen Terrors als unangenehm und unangemessen empfinden wird. Darin liegt eine weitere Chance dieses Films, bei all seiner Stumpfheit für eine sehr zeitgemäße Verunsicherung zu sorgen.

»Passwort Swordfish«, USA 2001. R: Dominic Sena. Start: 1. November