»Schafott zum Fahrstuhl« von den Goldenen Zitronen

Raus aus wo oder rein worin

Die Goldenen Zitronen stellen die richtigen Fragen zur schlechten Zeit.

Es gibt die Band, die sich »Die Goldenen Zitronen« nennt, jetzt schon seit über 15 Jahren. Es ist die ehemalige Fun-Punk-Band, die Erfolg hatte mit ihrer Stadion-Mitgröl-Single »Am Tag als Thomas Anders starb« und die lieber mit den Ärzten als den sozialdemokratischen Toten Hosen auf Tournee ging. »Campino ist der neue Lindenberg, nur der Hut fehlt noch«, sagte schon damals der Bassist Ted Gaier.

Es ist die Band, die sich zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung radikal wandelte, wegging vom Fun-Punk und eine neue Ästhetik der Verweigerung entwickelte. Die Songstrukturen wurden aufgebrochen, es gab nicht mehr die elende Abfolge von Strophe-Refrain-Strophe, der Gesang Schorsch Kameruns wurde zu einem eigenwilligen Mischmasch aus Sprechen, Rappen und Singen und in den Texten gab es kaum noch funktionierende Reime und vor allem keine billigen Parolen mehr. Man orientierte sich nun an HipHop und Franz Josef Degenhardt. Auf den letzten beiden Alben wandten sich die Zitronen, die einst einer Fender-Gitarre einen Song widmeten, auch noch der elektronischen Musik zu. Ihre Lieder konnten nicht mehr so einfach mitgesungen werden, und es war für viele plötzlich sehr schwer, ein Fan zu sein.

Beispiel 1994. Als die Zitronen in Herford auftraten, hatte es sich auf dem platten Land noch nicht herumgesprochen, dass man es nun mit radikalen Politrockern zu tun hatte. Entsprechend blöd sahen die vielen ehemaligen Punks und heutigen Mitarbeiter der Stadtverwaltung aus, als sie da standen mit ihren extra noch einmal hervorgekramten »Slime«-T-Shirts und ihren Rufen nach billigem Spaß. Sie wurden sogar noch von der Bühne herab angemacht: »Geld zurück gibt's nicht.« Dann spielte die Band zwei Stunden lang.

Als die Zitronen vor vier Jahren in Potsdam spielten, war der Saal beinahe leer, dennoch drehte man die Anlage lauter. Und spielte weiter. Als vor zwei Monaten in Düsseldorf das Publikum unterhalten werden wollte und die im Vorprogramm lesende Autorin Susanne Zahnd von der Bühne buhte, kriegte es das Publikum von den schlecht gelaunten Zitronen hart zurück. Die Goldenen Zitronen sind keine Mimosen. Und für ihr Publikum nicht einfach zu haben. Insofern sind sie rücksichtslos.

Und nun ist sie erschienen, drei Jahre nach der letzten: die neue Platte der Goldenen Zitronen. »Schafott zum Fahrstuhl« heißt sie. Warum? »Weil sie so heißt. Überleg dir selbst was« (Gaier). Einige Zeitschriften, etwa die Intro, haben dann auch gleich gewusst, worum es bei dieser Platte geht, wenn von sozialen Gegensätzen gesprochen wird, um Sport nämlich: »Die neue Bundesliga-Saison hat gerade ihren Lauf genommen. Aber: Freeze. Was war denn das für ein Saison-Finale bei der letzten? Na, Männer? Bayern wird Meister. Und so viele verheulte Loser und Normalos hatte man ja schon lange nicht mehr auf den Straßen und in den Cliquen gesehen.«

Na, Männer? Das stellt sich der Möchtegern-Normalo-Musikjournalist also unter dem Kampf Unten versus Oben vor. Kapitalismuskritik, selbst bürgerliche - das ist passé. Die Goldenen Zitronen und ihre politische Musik werden wieder von einigen ihrer Fans nicht verstanden. Das bleibt sich schon mal gleich.

Auch bei der Band bleibt es sich gleich. Das heißt: Es ist wie immer alles anders. Wie immer gibt es neue GastmusikerInnen, diesmal sind es Melissa Logan von den Chicks on Speed mit ihren beiden Schwestern, Jens Rachut von Dackelblut und die heftige Shouterin Peaches. Es gibt den seit zehn Jahren beinahe obligatorischen Labelwechsel, und natürlich gibt es ganz neue Bandmitglieder. Zum einen ist da Mense Reents, der für den pausierenden Hans Platzgumer einspringt, und zum anderen Stephan Rath, der sich von nun an mit Enno Palluca das Schlagzeug teilt.

Und wieder hat die ganze Band die Musik gemacht, wieder ging es ganz unprätentiös basisdemokratisch ab, es wurde viel besprochen, verworfen, gut geplant. Peaches, die Logan-Schwestern und Rachut waren nicht einfach nur Gäste, sie haben großen Anteil an den Songs, bei denen sie mitgewirkt haben. Das Cover der Platte ist wieder vom Diskursmaler Daniel Richter gestaltet worden. Und schließlich gibt es natürlich eine Coverversion, das herrliche »Blue Yodel für Herbert Wehner«, dessen Original von FSK ist, neben Mutter die einzige deutschsprachige Band, deren Musikästhetik sich mit der der Zitronen vergleichen lässt.

Dazu spielen die Zitronen noch einen ihrer Songs von 1990 (früher Titel: »Alles was ich will - nur die Regierung stürzen«, heutiger Titel: »Von den Schwierigkeiten, die Regierung stürzen zu wollen«), einen merkwürdig zaghaften Mitsing-Song, dessen Parolenhaftigkeit schal schmeckt, und sie reden so wieder einmal selbstkritisch über ihre Band- und Politgeschichte.

Diese Platte entstand in relativ kurzer Zeit. Das macht sie so kurzweilig. »Schafott zum Fahrstuhl« ist keine der selbstverliebten Diskursplatten, die einem beim Anhören zu viel, also überhaupt nichts sagen, und zu der man erst das Booklet lesen muss, also die Bastelanleitung. Die Goldenen Zitronen bleiben gewohnt konkret und direkt. »Und dann fragt man sich da noch: Wer soll eigentlich wo raus? Raus aus wo oder rein worin? Rein und raus und raus wohin, wer soll eigentlich wo raus und rein wohin. Wat solln die Nazis raus aus Deutschland, wat hät denn des für a Sinn - die Nazis könne doch net naus, denn hier gehörn se hin«, heißt es in dem Song »Flimmern«. In »Das Comeback des Tempomat« gibt es die schöne Frage: »Ich weiß nicht warum uns kaum jemand hasst - uns World Wide Dot Com Popper aus den Mitten der neuen Stadt.«

Allerdings ist es nicht mehr so, dass die Goldenen Zitronen ganz bequem die üblichen Feinde beschimpfen und so den linken Geschmack bedienen. Waren bereits »Economy Class« und »Deadschool Hamburg« Platten, auf denen die eigene politische Szene thematisiert wurde, so ist »Schafott zum Fahrstuhl« eine CD, auf der die Zitronen sogar über sich selbst reden. Gerade jetzt, während sich ein Großteil der Linken angesichts des Mazedonieneinsatzes der Nato und angesichts des Anti-Terror-Terrors, die bevorstehen, blamiert, ist es wichtig den linken Kälbermarsch zu überwinden und nach neuen Grundsatzdebatten zu fragen: Was wollen wir? Und wie erreichen wir es?

Während andere mit ihrer Liebe und ihrer eigenen Körper- oder Medienarbeit angeben, verweigern die Goldenen Zitronen Anleitung und Auskunft. Sie zweifeln: »Ich denke in Ansprachen, im Hamsterrad, auf meinem Weg nach oben und hege Verdacht / Verdacht auf Verrat und dann geh ich nach Innen und misstraue letztendlich den inneren Stimmen. / Später, weiter unten, wird mir klar: mir fehlen Beweise für dieses Mal. / Ich bin zwei Schuldmaschinen und ein Schurkenstaat und der große Grinser auf Canossafahrt.« (»Widersprüche«) Es stimmt, was Ted Gaier sagt: »Eigentlich sind wir moralisch.«

»Schafott zum Fahrstuhl« ist eine Platte, die den Abschied von Illusionen markiert. Die Partygesellschaft und die BeschwörerInnen der flachen Hierarchien werden ebenso abgewatscht wie eine Linke, die ihren eigenen Parolen selbst dann noch blind glauben will, wenn sich die zugehörige Weltordnung längst verflüchtigt hat. Eine Platte, die weder überkommene Arbeiterparteien bedient noch New Economy-Trottel. Mit »Schafott zum Fahrstuhl« haben die Zitronen gerade deshalb eine große politische Platte gemacht, weil sie Politik und politische Ästhetik auf eine Art verhandelt, wie man es 2001, und gerade jetzt, kaum noch erwartet hatte. Nämlich niemals plakativ.

Die Goldenen Zitronen: Schafott zum Fahrstuhl (Buback/EFA)