Slavoj Zizeks »Die Tücke des Subjekts«

Einstürzende Phantasmen

Noch einer, der den Klassenkampf nicht vergessen haben will: Slavoj Zizek erforscht die Tücke des Subjekts.

Wer politisieren will, muss polarisieren. Im kulturtheoretischen Diskursuniversum, wo politische Unbedarftheit, die Bemühung um akademische »Anschlussfähigkeit« (Luhmann) und der Anspruch, ein bisschen subversiv zu sein, vorherrschen, kann man damit einiges Aufsehen erregen. Hier ist Slavoj Zizek ein Star - einer der wenigen, die sich auf Konfrontation und überraschende Verbindungen verstehen. War er es doch, der die Spitzenidee zu »Alles, was sie schon immer über Lacan wissen wollten und Hitchcock nie zu fragen wagten« hatte.

Das ist über zehn Jahre her, und nun, eine Menge Bücher später, pflastern Epigonen seinen Weg. Höchste Zeit, die etwas fortgeschritteneren ZeichendeuterInnen von Kunst und Kultur, das Cultural Studies Milieu also, das ihm so viel verdankt, vor den Kopf zu stoßen. Immerhin, im neuesten schon sehr hauptwerkmäßig angelegten Buch »Die Tücke des Subjekts« trägt ein Kapitel die Überschrift: »Um die politische Ökonomie geht es, Dummkopf!«

Poch! Poch! Was da anklopft, die politische Ökonomie bzw. die Kritik an ihr, muss dann allerdings doch draußen bleiben. Thema wird sie eigentlich nicht, doch als Störfaktor taugt sie allemal. »Ich plädiere für eine Rückkehr zum Primat der Ökonomie«, steht da geschrieben, und wem das nicht reicht, bekommt als Zugabe noch einige Bekenntnisse zur Oktoberrevolution und »Größe Lenins« mit auf den Weg. Man kann sich gut vorstellen, was für einen Riesenspaß es Zizek machen würde, wegen so etwas als linker Dogmatiker abgestempelt zu werden.

Zentral bleibt, ungeachtet solcher gut am Rand platzierten Denkwürdigkeiten, das Drama der (bürgerlichen) Subjektivität. Und ohne Kant, Schelling, Kierkegaard, vor allem aber Hegel läuft da logischerweise nichts. Wobei es gegenwärtig kaum jemand schaffen dürfte, die Alten so ungewöhnlich unverbraucht aussehen zu lassen wie Zizek, bei dem allerdings, trotz des Auftritts einiger neuerer Leute wie Judith Butler oder Alain Badiou, das letzte Wort nach wie vor im Namen Lacans gesprochen wird.

Dass sich das nicht von selbst versteht, ist aber auch klar, zumal dann, wenn es um »das typische Subjekt von heute« geht. Es handelt sich um eine komische Kunstfigur, der man getrost unterstellen kann, dass sie darüber irgendwie auch im Bilde ist. Jemand, die oder der sich einiges darauf zugute hält, zu den eigenen Selbstertüchtigungsbehauptungen ein locker reflektiertes Verhältnis zu unterhalten. Anders als sein historischer Vorgänger, Marke Untertan oder autoritärer Charakter, bildet es sich wechselweise ein, ohne große Weltanschauungen auskommen zu dürfen-können-müssen oder über deren Restposten frei zu verfügen. Zur Not hilft auch die eine oder andere Verschwörungstheorie, die einem erzählt, wer die Fäden wirklich in der Hand hat.

Selbst wenn dieser Entwurf eines neuen Vorzeigemitbürgers zu blöd selbstgefällig ist, um wirklich wahr zu sein - mit Aufmerksamkeit kann er trotzdem rechnen. Ohne ihn sähe etwa die Standardvorstellung vom Veralten der Ideologiekritik viel weniger überzeugend aus. Für Zizek ein willkommenes Reizthema, sogar in der eher harmlosen Version vom reflektierten Individuum, dem beim Psychoanalytiker auf der Couch liegend wie auf Abruf gleich die fachgerechte Interpretation seines Symptoms einfällt und es somit »in seinem einfältigen Genießen intakt lässt«. Ja, ja, was bekannt ist, ist damit noch lange nicht erkannt, steht irgendwo bei Hegel.

Genau diese Diskrepanz treibt »Die Tücke des Subjekts« nun aber weiter, um tatsächlich einen neuralgischen Punkt zu treffen. Obwohl sich halbwegs kritisches, aufgeklärtes Gedankengut massenhafter Verbreitung erfreut, kommt es bei den Subjekten oft genug so an, dass man eigentlich nur noch sagen kann: Die Leute übernehmen da Haltungen, Einstellungen, Wissen, um sie sich vom Leib zu halten. Um eine Zuspitzung nie verlegen, denkt sich Zizek gleich den Fall eines gewalttätigen Skinheads aus, der, unter Rechtfertigungsdruck gesetzt, wie sein eigener Sozialpsychologe redet -, aber keineswegs reumütig oder verständisheischend, sondern zitatmäßig, parodistisch, höhnisch. Hier würde das bessere Wissen der Gesellschaft (talking about soziale Kälte, ungerechte Behandlung, viel Gewalt und wenig Liebe) von jemandem bemüht werden, der damit gleichzeitig vorführt, dass es ihm eigentlich überhaupt nichts mehr zu sagen hat. Was hier passiert, ist die böse Überbietung des ganz normalen defensiven, ironischen oder auch zynischen Konformismus im Umgang mit den gesellschaftlich maßgeblichen symbolischen Fiktionen.

Heißt das, wie gehabt, bloß Verfall der Werte, weil niemand mehr so richtig an sie glaubt? Nein, denn zur Wirksamkeit symbolischer Fiktionen, die bei Zizek nicht von ungefähr so heißen, gehört gerade, dass sie Verbindlichkeit beanspruchen, einem aber gleichzeitig diskret zu verstehen geben, dass man schön blöd wäre, sie sich allzu sehr zu Herzen zu nehmen. Kritische Distanz ist wirklich keine Mangelware mehr.

Sicher, manches Bewusstsein empfindet das als Zumutung und verlangt nach der Restauration strengerer Verbindlichkeiten. Flexiblere Geister dagegen fühlen sich mit ihrer Freiheit in der Konkurrenz weniger allein und bilden sich darauf enorm viel ein. Wenn Zizek nun dazu beitragen will, »ein linkes, antikapitalistisches Projekt neu zu formulieren«, dann ist das wohl der Versuch, der Wahl zwischen Restauration und Zynismus zu widerstehen. Wie aus den zahlreichen Abgrenzungsszenarien, die dieses Buch dick machen, hervorgeht, gibt es aber auch sonst genug Gegner, nämlich überall dort, wo der »radikal antagonistische Charakter des gesellschaftlichen Lebens« irgendwie verleugnet wird. Umgekehrt, so viel muss als Wegweiser genügen, gilt: Links ist, wer am Antagonismus festhält.

Antagonismus? - Handelt es sich vielleicht um eine psychoanalysekompatible (kennt man ja, die Geschichte vom ursprünglich gespaltenen Subjekt) Coverversion von Maos alter (und Althusser so wichtiger) Devise: »Nie den Klassenkampf vergessen«? Schwer zu sagen, weil man eben überhaupt nur wenig darüber erfährt, wie es gegenwärtig um den Antagonismus bestellt ist. Um so bezeichnender die Aufforderung, unbeirrt und unversöhnt an ihm festzuhalten - als gälte es vor allem der Gefahr zu trotzen, dass jemand ihn seiner emanzipatorischen Bedeutung beraubt, unkenntlich macht oder umtauft.

Der, um es einmal so zu nennen, Objektivismus im Hinblick auf gesellschaftliche Widersprüche wird so auf ein Minimum reduziert. Den Kapitalismus gibt es hier immer nur im Großen und Ganzen; Politik dagegen ist die »Kunst des Unmöglichen«. Ein Aperçu, das sich auch als Appell verstehen lässt: Habt Mut, euch unmöglich zu machen und auf's Ganze zu gehen! Obwohl die Adressaten ungenannt bleiben - wer immer sich von dieser Aufforderung angesprochen fühlt, wird, da ist sich Zizek sicher, auf universalistische Ideen von Gerechtigkeit und Emanzipation schlecht verzichten können. Die jeweils herrschenden Verhältnisse mögen beschaffen sein, wie sie wollen, diese Ideen haben in jedem Fall die aufrührerische Kraft der Negativität auf ihrer Seite, um ein grundsätzliches Unbehagen zu artikulieren.

Und zwar aus einem einfachen Grund: Gerechtigkeit und Befreiung kann es eigentlich nie genug geben. Nach ihnen zu verlangen - das Spektrum der Lieblingsbeispiele beginnt mit der Antigone und hört bei der Oktoberrevolution nicht auf -, ist immer im linken Sinne. Festhalten am Antagonismus heißt aber auch, sich die Hoffnungen auf ein kommunistisch geplantes Happy End der Weltgeschichte aus dem Kopf zu schlagen. Was die Umwälzungen in der Gegenrichtung betrifft, so werden sie stur als Pseudo-Ereignisse abgetan. Selbst der Nationalsozialismus macht da keine Ausnahme, weil er die kapitalistischen Geschäftsgrundlagen nicht wirklich angetastet haben soll. Ausgerechnet hier, wo es gelinde gesagt fragwürdig geworden ist, rückt Zizek mit dem Kriterium der letzten Instanz, also der Ökonomie, an, während er sonst weniger streng ist. Hart, aber philosophisch, heißt das: »Ein echter politischer Akt entfesselt die Kraft der Negativität, die die Grundlage unseres Seins zerbricht.«

Es gibt aber auch die linksradikal zugespitzte Variante: »Die liberale Demokratie ist nicht unser endgültiger Horizont. Die Erfahrungen des stalinistischen Polit-Terrors dürfen uns nicht dazu bringen, dem Prinzip des Terrors selbst zu entsagen«, eine theologische (wenn ein Wunder geschieht ...) oder die spätlacanianisch-psychoanalytische: »Lass' nicht von deinem Begehren ab!« Von entscheidender, geradezu ontologischer Bedeutung bleibt bei alledem, dass von Zeit zu Zeit ein Ausnahmezustand ausbricht. Womit man es dann zu tun bekommt, ist eine Realität, die genau deshalb über- oder unwirklich wirkt, weil »ihr die Stütze der Phantasie entzogen wurde«. Einstürzende Phantasmen? Mit Erkenntnisschocks kann gerechnet werden; es besteht aber auch Verwechslungsgefahr, denn wenn es ein Aufwachen gibt, dann nicht aus einer Scheinwelt, sondern in ihr; der Schein bleibt wirklich, aber er schützt nicht mehr. Auf entsprechende Ereignisse zu spekulieren, das erinnert irgendwie an Katastrophenpolitik, und zwar mit Absicht. Doch dann weiß auch das Denken von Zizek nicht mehr weiter; ungeduldig tritt es auf der Stelle.

Slavoj Zizek: Die Tücke des Subjekts. Suhrkamp, Frankfurt/M. 2001, 548 S., DM 64