Serdar Somuncu liest »Mein Kampf«

Absicht gut, Ansatz falsch

Serdar Somuncu liest aus »Mein Kampf« vor, um aufzuklären. Das Problem der Nazis ist jedoch nicht ihre Sprache.

Ein Türke liest Hitler. Er liest laut. Der Türke heißt Serdar Somuncu. Er ist Schauspieler und Regisseur. Serdar Somuncu liest aus »Mein Kampf«. »Mein Kampf« ist bekannt und berüchtigt, die unkommentierte Publikation des Textes ist bekanntermaßen untersagt. Nur für wissenschaftliche Zwecke erlaubt das Land Bayern, als Erbe des NSDAP-Nachlasses auch Erbe von Hitlers Urheberrechten, den Text zu verwenden.

Ein Türke liest einen verbotenen Text. Als der Brecht-Schauspieler Eckehard Schall vor einigen Jahren Hitler gelesen und dies aufgenommen hat, wurde die CD verboten. Diesmal ist die Lesung ausdrücklich erlaubt. Ein Türke, scheint man in Bayern zu denken, kann Hitler nicht so toll finden, wie es ein Deutscher offensichtlich muss. Als seien die Türken vor Faschismus genetisch gefeit (also doch?). Und als ginge es in diesem Fall nicht vor allem ums Publikum.

Dem Schauspieler Serdar Somuncu geht es ums Publikum. Denn er hat ein pädagogisches Konzept. Er liest »Mein Kampf« und er hält die berühmte Sportpalastrede von Goebbels (»Wollt ihr den totalen Krieg?«) vor einem deutschen Publikum, gern auch vor Schulklassen, um die Texte wieder zugänglich zu machen. Denn, so nimmt er an, würden alle den Unfug kennen, den die Naziführer zusammengeredet haben, dann könnten sie keine Nazis mehr sein, jedenfalls nicht freiwillig. Nun ist aber Serdar Somuncu nicht Eckhard Henscheid, und »Mein Kampf« ist nicht gerade mit einem dubiosen Werk von Theo Sommer vergleichbar. Dennoch will Somuncu darauf aufmerksam machen, wie schlecht und dümmlich dieser Text ist. Er will sensibilisieren.

Bei diesem Vorgehen ist eines sehr problematisch - selbst Somuncu erkennt dies: auch das deutsche Reichsvolk hat vor und nach 1933 Hitler gelesen. Und damals, zu einer Zeit, da es noch kein »verblödendes« Fernsehen gab und die allgemeinen Schulbildung als sehr gut galt, hätte den Deutschen doch eigentlich auffallen müssen, was für ein Schund »Mein Kampf« ist.

Oft hakt es bei diesem Text an der Grammatik, der Rhythmus ist schlecht, es wimmelt von Wiederholungen und fadenscheinigen Argumenten. Denn mit Rudolf Hess hatte der schlechte Denker Hitler einen ebenso miserablen Ghostwriter. Aber obschon das Buch so schlecht war, haben auch die gebildeten Deutschen Hitler gewählt. Und sie haben ihn gern gewählt. Und obschon sich jeder Nazi heute das Buch sogar in einer zitierfähigen Ausgabe aus dem Internet herunterladen kann, bleiben die Nazis von heute Nazis. Und sie bleiben es gern.

Somuncus Leseansatz ist also bereits ein falscher. Seine Performance kann vielleicht viele Leute zum Lachen bringen, doch man weiß nie: Lacht das Publikum über den fürchterlichen Text, lacht es also befreit im Sinne der intendierten Einsicht? Oder lacht es über den lustigen Performer und die allgemeine Skurrilität seiner Performnace, lacht es also befreit im Sinne einer absurden Absolution?

Somuncu ahnt diese Problematik und versucht, steuernd einzugreifen. Er leitet auf seinen Lesungen die gelesenen Abschnitte ein, gibt kurze historische Abrisse und versucht gar nicht erst, Hitler zu imitieren. Gerade das aber misslingt ihm. Somuncu ist zwar ein Schauspieler und kein billiger Kabarettist. Doch die Vorlage, das (Vor-)Bild Hitler scheint zu stark. Somuncu beginnt dann und wann plötzlich Hitler nachzuäffen, das »R« wird gerollt, und die Stimme überschlägt sich. Spätestens dann lachen alle über den Affen, den man jetzt in Hitler erblicken darf. Über den schlechten Denker lacht dann niemand.

Des weiteren versucht Somuncu dem Dämon, zu dem Hitler in seiner Lesung dann doch wieder wird, seine, Somuncus, eigene Durchschnittlichkeit entgegenzusetzen. Wir sind normal, will Somuncu anscheinend sagen, und Du Adolf, Du bist krank. Und über psychisch Kranke lacht man in Deutschland allgemein recht gern. Adolf hatte also einen Piep. Hihi.

Aber Kranke werden in Deutschland nicht zum Reichskanzler gemacht. Schon gar nicht von den Normalen. Folglich muss es ein Geheimnis um Hitler geben, dem Somuncu auch nicht beikommt, wenn er »Mein Kampf« nochmals und nochmals liest und vorliest. Das Geheimnis hinter Hitler ist das Volk.

Dass Hitler laut vorgelesen wird, ist zu begrüßen. Weil »Mein Kampf« nicht gedruckt wird, weil Hitler im Original so selten zu finden ist, bleibt er ein Mysterium, bleibt er für alle der übermenschliche Schrecken, dem Somuncu dann mit seiner allzumenschlichen Menschlichkeit trotzen will. An Hitlers Taten, an den Taten seines Volkes aber ändert das nichts.

Ein Schauspieler liest aus einem miserablen Buch. Das Buch ist schriftstellerisch miserabel, es ist amoralisch und es gehört weggeworfen. Verboten gehört es nicht. Ein Schauspieler liest aus einem miserablen Buch. Da Somuncu ein Türke ist, da Hitler ein Dämon ist und Deutschland Deutschland bleibt, sieht das Ganze aus wie etwas Sensationelles. Ist es aber nicht.

Serdar Somuncu: Serdar Somuncu liest aus dem Tagebuch eines Massenmörders - Mein Kampf, 32,90 DM (wortart)