Die Nato vor dem Einsatz in Mazedonien

Revier statt Republik

Wolf Oschlies, Osteuropa-Experte der regierungstreuen Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik, war fassungslos. In Mazedonien, so sagte er in der Monitor-Sendung vom vergangenen Donnerstag, sei etwas im Gange, was es in der »Menschheitsgeschichte noch nicht gegeben hat«. Es werde geduldet, das aus einem »internationalen Protektorat«, nämlich dem Kosovo, Angriffe auf einen souveränen Staat unternommen werden. In seiner Empörung übersah Oschlies, dass Mazedoniens Souveränität bereits jetzt eine Fußnote für die Geschichtsbücher ist. Was in dem Landstrich geschieht, wird in Washington, Berlin und Brüssel entschieden sowie, in zweiter Linie, in den Hauptquartieren der völkisch inspirierten und terroristisch agierenden albanischsprachigen Separatistentruppe UCK.

Über die vollständige Derangierung der Verhältnisse auf dem Balkan gibt exemplarisch eine Recherche der Monitor-Redaktion Auskunft, die mit dem alten Mittel der Enthüllung zur Skandalisierung der Geschehnisse beitragen wollte. Ein Mitglied der mazedonischen Regierung bestätigte vor der Kamera, man habe bereits im April ein präzises Verzeichnis von Schleichwegen erstellt, auf denen die UCK Waffen und Material aus dem Kosovo nach Mazedonien bringt. Diese Liste sei nach Berlin und Washington mit der Bitte übermittelt worden, die im Kosovo stationierten westlichen Kfor-Einheiten mögen diese Transporte unterbinden. Die Monitor-Leute fragten in Rudolf Scharpings Verteidigungsministerium nach und erhielten die knappe Antwort, diese Liste sei dort unbekannt.

Die in dieser Episode dokumentierte neue Kaltschnäuzigkeit der Machtapparate zeigt - ebenso wie die Umstände der Auslieferung Milosevics nach Den Haag -, dass die Liquidation der Normen des internationalen außenpolitischen Verkehrs, sei es in Bezug auf das Völkerrecht oder auf diplomatische Gepflogenheiten, ein Ausmaß angenomen hat, das jeder Skandalisierung widersteht, weil der Skandal, gemessen an den Kriterien der Weltordnung von 1945 ff., zum Alltag geworden ist.

Nennenswerten Widerstand gibt es nicht, weil große Teile der westlichen Linken unter dem Stichwort der »humanitären Intervention« die gewaltförmige Durchsetzung ethnisch grundierter Ansprüche teils ungewollt mit vorangetrieben haben. Die Beispiele Serbiens und Mazedoniens zeigen: Die von links als Machtkritik getarnte ideologische Formierung, in deren Verlauf der Standard der staatlichen Souveränität pulverisiert wurde, hat die außenpolitische Handlungsfreiheit - also die staatlich-militärische Souveränität der Hegemonialmächte - ins schier Schrankenlose befördert.

Die Lage in Mazedonien ist derzeit nicht unbedingt übersichtlich. In Konkurrenz zueinander unterstützen die USA und Deutschland die UCK und pressen der Regierung in Skopje, nachdem sie bereits an einem effektiven militärischen Einsatz gegen die UCK gehindert wurde, weitestgehende Zugeständnisse an die Terroristen als Bedingung für die formelle Weiterexistenz Mazedoniens ab.

Die Planspiele um einen Nato-Einsatz deuten darauf hin, dass eine weitere Republik in ein Protektorat mit ethnischen Revieren zerlegt werden soll. Für den deutschen Außenminister Joseph Fischer existiert es bereits. So nannte er als weitere Kriterien einer politischen Lösung u.a. »die Entwaffnung der kriegführenden Parteien mit deren Zustimmung«.

Diese zwanglose Gleichsetzung einer demokratisch gewählten Regierung mit einer Mörderbande passt zu der Nachricht, der frühere Bundespräsident Roman Herzog erwäge, sich an der Umgestaltung der republikanischen Verfassung Mazedoniens in eine völkisch-föderalistische zu beteiligen. Irgendwelche Leute, die zu Hause albanisch sprechen, gibt es auch noch in Griechenland und Bulgarien. Bestimmt wird die UCK bald entdecken, dass auch sie unterdrückt werden und nationale Befreiung brauchen.