80 Jahre KP Chinas

Maos linke Fehler

Zum 80. Jahrestag der Gründung der KP Chinas erfährt die Parteigeschichte eine patriotische Neuinterpretation.

»Die Produktion fördern! Die Revolution vorantreiben!« Nur noch undeutlich sind die Parolen an den Wänden der alten Bibliothek der Volksuniversität in Peking lesbar. Unter einer zartroten Sonne lächelt ein blasser Mao Zedong die Passanten an. Eine Restauration des Wandbilds ist aber nicht geplant. Zum 80. Jahrestag ihrer Gründung nimmt die KP Chinas langsam Abschied vom »großen Vorsitzenden« und schreibt die Geschichte neu. Patriotismus steht dabei im Vordergrund.

Als vor 80 Jahren die Kommunistische Partei Chinas in Shanghai gegründet wurde, war den Gründungsvätern die historische Bedeutung dieses Aktes gar nicht bewusst. Die zwölf Delegierten vertraten nur 53 Parteimitglieder in ganz China. Mao Zedong und Genossen vergaßen das genaue Datum. So legte die Parteiführung 1935 fest: Die KP Chinas wurde am 1. Juli 1921 gegründet. Aufwendige Nachforschungen im Shanghaier Polizeiarchiv haben inzwischen ergeben, dass die Gründung wohl tatsächlich an diesem Tag erfolgt sein muss.

Achtzig Jahre später feiert sich die Partei im Staatsfernsehen und in Zeitungen selbst. Die Sendereihe »Rote Fahnen wehen im Wind« wird von Red Bull und einem chinesischen Getränkekonzern präsentiert. Täglich werden darin fünfminütige Beiträge über die Geschichte der »glorreichen« Partei gezeigt; weil man jeden Tag einen Jahrestag feiert, besteht die Parteigeschichte aus lauter Höhepunkten. Auf die Darstellung größerer Zusammenhänge wurde verzichtet. Insbesondere die Kulturrevolution und der Große Sprung - Phasen, die der Parteiführung höchst unangenehm sind - fehlen. Auf allen Kanälen werden dagegen die monumentalen Revolutionsfilme wiederholt. Mao weist in diesen Filmen den richtigen Weg zur Macht, verteilt Kekse an Kinder und vergießt Tränen, wenn einem Genossen Unrecht geschieht.

Seit zwei Monaten veröffentlichen Professoren in der Pekinger Jugendzeitung täglich die Biografie irgendeines wichtigen Parteigenossen. Dabei kommt es zu erstaunlichen Neubewertungen einzelner Figuren. Während die Parteigeschichte früher den Kampf zwischen der bürgerlichen und der proletarischen Linie beschrieb, betont man heute die »fortschrittlichen« Momente. So heben die Autoren jetzt besonders die positiven Seiten der ehemals als »Rechts- und Linksabweichler« gebrandmarkten Genossen hervor. Sie hätten doch schließlich auch für Volk und Vaterland gekämpft.

Von den Idealen der Qinhai-Revolution, die 1911 die Qing-Dynastie zu Fall brachte, bis zu den demokratischen Reformen der 4. Mai-Bewegung 1919, alles beansprucht die KP heute für sich. Die Avantgarde-Rolle der Arbeiterklasse wird inzwischen selten zur Legitimation der Alleinherrschaft der Partei benutzt. Vielmehr wird die Kommunistische Partei mit der chinesischen Nation gleichgesetzt.

In den Hörsälen betreiben die Lehrer und Professoren der Fakultät der Geschichte der Kommunistischen Partei Chinas in jeder Vorlesung nationalistische Propaganda oder »patriotische Erziehung«, wie es im Parteijargon heißt. Patriotismus, nicht Marxismus-Lenismus, steht heute im Mittelpunkt der Geschichtsinterpretation. Die Japaner werden von älteren Lehrern immer noch gerne als »Teufel« bezeichnet. Vor allem aus dem Widerstandskrieg gegen Japan bezieht die KP ihre nationale Legitimation. Deshalb darf der Hass nicht sterben. Und selbst für den Erzfeind Mao Zedongs, den Nationalistenführer Tschiang Kai-Tschek, haben Lehrkräfte noch gute Worte übrig: Er sei wenigstens noch Chinese gewesen. Hingegen vertrete der neue Präsident von Tawain die »japanischen Teufel«.

Auch an der Geschichte des Kaiserreiches werden Renovierungsarbeiten durchgeführt. Aus der »düsteren« Feudalgeschichte« sind heute »5 000 Jahre Zivilisation und Kultur« geworden. Dieses »einzigartige Erbe« der Weltgeschichte vertritt natürlich die KP. Auch Konfuzius ist bei den Historikern wieder zu einer geachteten Persönlichkeit geworden. Galt er bis vor einigen Jahren noch als Verteidiger von Sklaverei und Frauenunterdrückung, so wird er heute als großer Philosoph und historische Persönlichkeit bewertet. Sogar Schulen werden wieder nach ihm benannt. Wer etwas Kritisches über Kofuzius lesen möchte, der solle die alten Geschichtsbücher ausleihen, empfiehlt ein Geschichtsprofessor.

Sozialgeschichte hat in diesem »patriotischen« Konzept keinen Platz. Zwar wird noch dogmatisch an der von Stalin formulierten Einteilung der Menschheitsgeschichte (Urgesellschaft, Sklavenhaltergesellschaft, Feudalismus, Kapitalismus und Sozialismus) festgehalten. Der Klassenkampf hat aber als Erklärungsmodell ausgedient. In Vorlesungen und aktuellen Lehrbüchern zur »Geschichte der chinesischen Revolution« werden Bauernbewegungen und Streiks nur beiläufig erwähnt. Die Lebensgeschichte der »großen Führer« kennen die Lehrkräfte der Parteifakultät dagegen bis ins kleinste Detail auswendig.

Wenn große Männer große Geschichte machen, passieren eben auch große Fehler; mit diesem Erklärungsansatz versucht man die Katastrophe des Großen Sprungs nach vorn (1958 bis 1961) oder die Kulturrevolution (1966 bis 1976) zu bewältigen. In diesen Phasen sei Maos Politik eben links gewesen. Wenn man die Jahre nach der Gründung der Volksrepublik 1949 zusammenrechnet, bleibt vom positiven Mao-Bild der KP allerdings nicht mehr viel übrig. Die forcierte Kollektivierung der Landwirtschaft ab 1955, die Anti-Rechtskampagne gegen die Intellektuellen 1957, die Gründung der Volkskommunen 1958 oder die Sozialistische Erziehungskampagne (1962 bis 1966) werden mittlerweile als »linke Fehler« Maos verurteilt.

Die Historiker der Partei haben dafür den Begriff des Mao der »späteren Jahre« gefunden, und an diesem Mao wird kaum ein gutes Haar gelassen. Eine offene Diskussion über diese Phasen der Parteigeschichte wird aber nicht zugelassen. Nie wieder sollen aufgebrachte Jugendliche Parteifunktionäre durch die Straßen treiben können. Das ist für die KP die Hauptlehre aus den Massenkampagnen Maos. Der »große Vorsitzende« wird heute im Wesentlichen nur noch als Staatsgründer verehrt.

Die chinesischen Jugendlichen interessieren sich im Allgemeinen kaum für die 80jährige Geschichte der Partei. Wer an der Fakultät der Geschichte der Kommunistischen Partei Chinas studiert, gilt als Exot. Vielleicht können einige Studenten später im Museum arbeiten, sagt ein Lehrer.