Sozialdemokratische Kulturpolitik

Denk ich an Dixieland

Die Berliner Kulturszene hat nun den Bürgermeister, den sie verdient.

Seit jeher ruhte auf der Sozialdemokratie, der deutschen zumal, kein Segen. Dabei muss man nicht einmal auf ihr desaströses politisches Wirken eingehen. Es reicht voll und ganz, sich ihre Bemühungen auf dem Gebiet der Kunst anzusehen, um festzustellen, dass es sich bei ihr immer schon um eine vom Weltgeist gänzlich verlassene Vereinigung handelte.

Schon als sie in ihrer Anfangszeit das »Erbe« bürgerlicher Kultur anzutreten und anzueignen sich berufen sah, ging es keineswegs darum, den Einspruch gegen eine dem Individuum und seinen Bedürfnissen feindliche Welt, den die authentischen Werke bürgerlicher Kunst formulieren, hervorzukehren, sondern darum, der Kunst einen allgemein-unverbindlichen »Geist« oder »Gehalt« abzudestillieren, der als Sammelsurium von Sinnsprüchlein den trostlosen proletarischen Alltag zu schmücken wie auf Parteitagen und Festansprachen zur Erbauung zu dienen gleichermaßen geeignet ist und damit de facto jene Verhältnisse befestigen hilft, gegen die die bürgerliche Kunst ihren kritischen Einspruch richtete.

Die Bürger, die einige Zeit später mit durchschlagender Wirkung die Kunstwerke aus ihrer heroischen Epoche zum beliebig verfügbaren »Kulturgut« zu nivellieren und sie derart um ihren das Bestehende transzendierenden Charakter zu bringen sich anschickten, fanden in der Sozialdemokratie ihre Vorkämpferin und Erfüllungsgehilfin.

Mit ihren Arbeitergesangs-, Arbeitersport- und Arbeiterbildungsvereinen, in denen das notwendig beschränkte und defiziente künstlerische Tun der Subalternen mit dem von der geschmähten »bürgerlichen Hochkultur« abgezogenen prätenziösen Gestus als noch »ursprüngliche« und »unverbildete« Kultur der Volksmassen affirmiert wurde, ist das Wesen der Sozialdemokratie weniger von Klassenkampf und politischer Aktion her zu denken, sondern vielmehr als Fortsetzung deutsch-bürgerlicher Lebensreform und patriotischer Vereinsmeierei mit anderen Mitteln.

Krönung sozialdemokratischer Kultur waren die mit Laienmusikanten besetzten, säuerlich jaulenden und scheppernden Dixielandkapellen auf Ortsvereinstreffen oder die von schwer engagierten Gewerkschaftsjugendlichen nach Beschlussfassung beim bunten Abend dargebotenen Kabaretteinlagen, die in ihren grauenvollen Wortspielen, ungelenken Witzen und schwülen Solidaritätsbeschwörungen die Intelligenz eines jeden Zuhörers noch mehr beleidigten als deren offenkundiges Vorbild Dieter Hildebrandt.

Schon die alte Sozialdemokratie, in deren bullig-jovialen, leutseligen und reaktionären Repräsentanten sich eine zum Kleinbürgertum verbiederte und der kapitalistischen Vergesellschaftung restlos einverleibte Arbeiterschaft wiedererkannte, hielt es im Zweifel immer mit der längst kulturindustriell getrimmten »Kultur von unten«. Und die als »Neue Mitte« sich präsentierende Sozialdemokratie der Schröders und Wowereits tut es ihnen nach, wenn auch mit verändertem Akzent.

Das neue Kleinbürgertum der im weitesten Sinne »sozialen Berufe«, das sich nicht zuletzt als Resultat der sozialdemokratischen Bildungsoffensive etablierte, wurde, als permanent von Selbstzweifel und Abstiegsängsten gepeinigte und deswegen zur permanenten Selbstvergewisserung bzw. »Selbstverwirklichung« drängende Schicht, zum Träger jenes Ressentiments gegen eine ohnehin nur noch in Rudimenten vorhandene »Hochkultur«, das zeitweilig in den Grünen seinen adäquaten politischen Ausdruck fand und mittlerweile sämtliche Bereiche der Gesellschaft durchdrungen hat.

Genauso aus Selbstekel und Aufmischbereitschaft gewoben, genauso engstirnig, kleinlich und verkniffen wie seine Vorgängerin, gibt sich das neue Kleinbürgertum demgegenüber weltoffen und tolerant. Nicht die Jugendblaskapelle und das Kabarett sind ihre kulturellen Betätigungsfelder, sondern Ethno-Folklore, Kunstgalerien, Videoinstallationen, Performances und Klangkunst - allesamt genauso nichtsnutzige wie erbärmliche Erscheinungen, denen nicht nur kein Gramm kritischer Arbeit am Material innewohnt, sondern die in ihrer Konstitution so bedingungslos der Reklame verschwistert sind, dass sie umstandslos als Ausweis einer nekrophilen und zukunftslosen und deswegen als »dynamisch« und »jugendlich« sich präsentierenden Gesellschaft herhalten können.

In Berlin ist dieses Kulturkleinbürgertum, die so genannte Off-Szene, seit der »Wiedervereinigung« im schwer angesagten Stadtteil Mitte zuhause. Die »Mentalitätswende«, die nicht nur der unvermeidliche Thierse bei den Berlinern forderte, nachdem die Unternehmensberatung McKinsey kürzlich die Zukunftschancen der Stadt als gut, dessen »Humankapital« aber in jenem offenherzigen Zynismus, den sich hiesige Bosse und Politiker verbieten, als »unbrauchbar« einstufte - diese Mentalitätswende hat die kleinbürgerliche Kulturszene immer schon vollzogen: Sensibel für Stimmungslagen, wendig, anpassungsfähig, belastbar und zur gnadenlosen Selbstausbeutung entschlossen, steht sie bereit, dem »neuen Berlin« sich anzudienen, das mit den »verkrusteten Strukturen« des gemütlichen »alten Westberlin« aufräumen und sich als in permanenter Dynamik und Veränderung begriffene Stadt präsentieren will.

Mit Klaus Wowereit hat diese Szene nun den Bürgermeister bekommen, den sie verdient. In einer Veranstaltung des SPD-Kulturforums in der vergangenen Woche unter dem Titel »Kulturmetropole Berlin« hat Wowereit dargelegt, wie eine Kulturpolitik unter seiner Ägide künftig aussehen wird. Wie nicht anders zu erwarten war, geht es gegen die »etablierte Kultur« und ihre Institutionen. Wowereit kündigte an, dass die Gelder aus dem Kulturetat nicht mehr vorrangig zur Erhaltung von Einrichtungen wie der Staatsoper verbraucht werden sollen. Bei diesen Institutionen denke er an »Umstrukturierungen«, die keine Qualitätseinbußen zur Folge hätten. Im Klartext heißt das nichts anderes als die Umwandlung landeseigener Kultureinrichtungen in private GmbHs, die dann auch die Möglichkeit zu betriebsbedingten Kündigungen haben.

So wird bis in die luftigsten Bereiche des Überbaus dem als »aufgebläht« geschmähten öffentlichen Dienst, den der Diepgen-Senat noch weitgehend geschont hatte, der Kampf angesagt. Müßig zu erwähnen, dass, wie die Berliner Zeitung anmerkte, die Staatsoper in diesem Jahr einen Millionenüberschuss erwirtschaftete, aber mit diesem Geld auch ihrerseits Schulden abtragen muss. Um Fakten geht es hier nicht, und darin ist die Polemik gegen die »überzogenen« Ansprüche der die Hochkultur repräsentierenden Institutionen, ihrer »Verschwendung« und ihres »Größenwahns« eines Sinnes mit dem von SPD, Grünen und PDS genährten Ressentiment gegen den alten Westberliner »Filz«, gegen Korruption, Verschwendung und Abzocke. Es ist dies ein strukturell faschistisches Ressentiment, das eines Haider durchaus würdig ist. Und diese Feinderklärung muss getroffen werden, weil die anderen, die sich als Profiteure wähnen, auch nichts zu lachen haben werden.

Zwar soll der Kulturetat künftig vor allem den »Kreativen«, der »Off-Szene« und den »freien Gruppen« zugute kommen, meinte Wowereit. Aber auch hier wird nun ein anderer Wind wehen. »Berlins Kulturpolitik krankt daran, dass es keine Auf- und Absteiger gibt.« (Tagesspiegel) Anders gesagt: Mit der allgemeinen »Subventionsmentalität« ist nun Schluss, Staatsknete künftig nur noch gegen Leistung - und Leistung heißt Imagewerbung für die junge, dynamische Hauptstadt.

Das wird den Verdrängungswettbewerb und die Bereitschaft zur grenzenlosen Affirmation innerhalb der in ihren prekären Nischen werkelnden Szenen nur noch befördern. Die vermehrte »Dynamik«, die Wowereit für die Berliner Kulturförderung einklagt, entspricht einem gesellschaftlichen Zustand, worin die allseits proklamierte »Eigenverantwortung« sich als selbst auferlegter Zwang, sich jederzeit verfügbar und loyal zu halten, einbekennt und damit eine permanente und panische kollektive Mobilmachung produziert, in der diejenigen, die ihr Scheitern ahnen, schon prophylaktisch den vermeintlichen Verursacher ihrer Misere zur Rechenschaft ziehen wollen und dabei von der Politik auch prompt bedient werden. Wowereit und mit ihm die gesamte rot-rot-grüne Bagage steht, nicht nur in der Kultur, für den Triumph der Trostlosigkeit und die Lust an der Katastrophe.

Gutes, altes Westberlin! Wäre Diepgen noch einmal zur Wahl angetreten, man hätte ihm diesmal alles Gute wünschen müssen.