»Testament der Angst« von Blumfeld

Das schwere Nein

Auf »Testament der Angst« beschließen Blumfeld das Ende der Distinktionsexzesse und die glamouröse Rückkehr der Fundamentalkritik im Popsong.

Da meint man zu wissen, dass Popmusik den Widerstand längst aufgegeben hat und es keinen gemeinsamen (politischen) Feind der ohnehin zerstreuten Szenen mehr gibt. Und jetzt das: Wie aus dem Nichts erscheinen fast gleichzeitig zwei Schallplatten, die diesen common sense lautstark dementieren. Eine der beiden Veröffentlichungen ist Jan Delays »Searching for the Jan Soul Rebels«, die andere heißt »Testament der Angst« und ist das vierte Album der Hamburger Band Blumfeld um den Sänger und Gitarristen Jochen Distelmeyer.

Schon klar: Der ernste unironische Gitarren-Pop von Blumfeld hat mit Delays Reggae-Schwoof »Ich möchte nicht, dass ihr meine Lieder singt« musikalisch nichts gemein. Jedoch adressiert auch »Testament der Angst« auf kaum mehr für möglich gehaltene Weise ein verachtetes »Ihr«, trennt die Welt radikal in Freunde und Feinde. In »Die Diktatur der Angepassten«, einem der beiden Rockstücke der Platte, singt Distelmeyer: »Ihr habt alles falsch gemacht, habt Ihr nie drüber nachgedacht? Gebt endlich auf - es ist vorbei!« Und in »Anders als Glücklich« heißt es anklagend: »Ihr habt die Welt längst aufgegeben/Für Medien, Märkte, Merchandise.«

Hate-Speech gegen die Neue Mitte

Dieser laut vorgetragene Hass auf das moderne Spießertum der Neuen Mitte stimmt verdammt euphorisch, verwundert aber auch. Zwar kündigte sich die Suche nach einer zugänglichen Alltagssprache schon auf dem letzten Blumfeld-Album »Old Nobody« an - trotzdem war mit einem derart plakativen »J'accuse« kaum zu rechnen. Denn hatte nicht gerade Distelmeyer seit »Ich-Maschine« (1992) die eigene Verstrickung in die Verhältnisse immer wieder in eine hochgradig verschlüsselte Songpoesie gefasst (Stichwort: »Diskurspop«)? Jetzt wird dagegen gnadenlos Weltvereinfachung betrieben. Auf die Frage nach den Gründen antwortet Distelmeyer: »Es ist der Versuch, ein schweres Nein in eine Form zu bringen und zu verkörpern. 'Testament der Angst' soll noch mal, allerdings in anderer Form als bei 'Old Nobody', auf verschütt gegangene grundsätzliche Fragen und Widersprüche hinweisen, an so etwas wie Fundamentalkritik erinnern. Das ist dann vielleicht etwas ungerecht und selbstgerecht, weil es den Menschen und ihren Leben nicht völlig gerecht wird.«

Distinktionsekel

Während Distelmeyer spricht, sitzt er mir in einem Zimmer des Berliner Hyatt-Hotels gegenüber. Er trägt eine modische tropfenförmige Brille, eine enge Jeansjacke von Calvin Klein, darunter das derzeit auch in Modemagazinen dominante blau-weiß gestreifte Shirt. An die Stelle der »gerippten Pullundrigkeit«, wie die taz seinen Stil noch 1998 beschrieb, ist ein gänzlich anders kodiertes Outfit getreten, das man eher beim Zeitschriftenblättern in der Zahnarztpraxis denn in Hamburger Bohemekneipen erblickt. Das Ende mikroästhetischer Distinktion und subkultureller Zeichensprachen: All den Skeptikern, die Blumfeld seit ihrer letzten LP »Old Nobody« auf dem langen Weg in die bürgerliche Mitte wähnen, dürfte das gut in den Kram passen. Doch besiegelt der neue Look tatsächlich den finalen Versöhnungspakt? Wohl kaum - eher sollte man ihn als Ausdruck eines Ekels lesen, genauer: einer Abscheu vor den Exzessen der Distinktion.

Denn genauso wie aus Distelmeyers Kleidung nun ein gemeinverständlicher Universalglamour spricht, fahndet auch die neue Blumfeld-LP nach einer Abgrenzungsmethode, zu deren Entschlüsselung es keiner Spezialkodes mehr bedarf - die mehr sein soll als eine weitere nette kleine Abweichung. Wie auf »Testament der Angst« allgemeine Verblendungszusammenhänge in einer einfachen, oft übertrieben klischierten Sprache bloßgelegt werden, weckt Erinnerungen an die Zeit, in welcher der naive Glaube an die welt- und feinderklärende Macht von Popmusik noch nicht verpönt war und man noch ohne dialektische Vorsicht ein großes, böses Gegenüber angehen durfte: Protestrock-Songs der Siebziger fallen einem wieder ein, früher Deutschpunk, aber auch das Synthiewave-Stück »Facist Groove Thing« von Heaven 17.

Warum beleben Blumfeld diese Rhetorik nun wieder? »Diese einfache Form von Kritik - 'ihr seid Alle Nazis', 'das ist doch alles Faschismus' usw. - ist aus den richtigen Gründen kritisiert worden. Andererseits hat das zu einer völligen Aufhebung von Gegensätzen geführt, so dass du im öffentlichen Raum grundsätzliche Sachen gar nicht mehr verhandeln kannst. Man spricht in eine gänzlich enthistorisierte und entpolitisierte Öffentlichkeit hinein«, erklärt Distelmeyer.

Verbitterung gibt es

Wie einer, der nach vorne flüchtet, ruft Distelmeyer sein »schweres Nein« in die weite Leere der Zivilgesellschaft hinaus. Doch weiß diese Stimme auch, dass sie die Macht, das Richtige durchzusetzen, niemals haben wird. Eine erschütternde Resignation durchdringt die Akkorde und Gesangsstrophen der eingängigen Songs. »Verbittert sein - da hat ja eigentlich keiner Bock drauf, das will man ja auf gar keinen Fall. Aber dem muss man sich aussetzen, das gibt es im Leben. Es ging mir darum zu schauen, wo diese Verbitterung herkommt, wie ich sie mir erklären kann. Gegen all diese Widerstände und Einschüchterungsversuche von außen«, so Distelmeyer.

Die massive und ungerechte Unterscheidung in »Ich« und »Ihr« wird denn auch nicht diskursiv »bewiesen«, sondern in einem wütenden, wie von Teenage-Angst getriebenen Duktus vorgetragen. »Das Gefühl, das in den Texten thematisiert wird, ist, glaube ich, ein sehr junges Gefühl. Ungestüm und vielleicht auch ignorant zu sagen: 'Ich kann nicht mehr! Ich entziehe hiermit dem Projekt, das mir zugemutet wird, mein Einverständnis!' - das ist dieses Gefühl, das man mit 16, 17 hatte, als man sich so alt wie später gar nicht mehr fühlte«, sagt Distelmeyer. Doch mündet die trauernde »Eintragung ins Nichts« (so der Titel eines der schönsten Stücke) nicht in zynischer Verzweiflung.

Die bezaubernden Songs lassen Res-te von Zuversicht bestehen, auch in den ausweglosesten Momenten schwankt das Stimmungsbild zwischen bitter und süß, zwischen einem schweren »Nein« und einem leichten »Ja«. Meist ist es Distelmeyers brillant und ausgiebig eingesetztes Tremolo, das am Ende der Strophen eine utopische Gegenwelt anzurufen scheint.

Die anderen sind auch noch da

Trotz der im guten Sinne pubertären Texte zeichnet sich »Testament der Angst« durch ein hohes Maß an Kontrolle und Gelassenheit aus. Mit Verlaub: Durch die transparenten Gitarrensounds und Melodien, die milden Synthesizerklänge und die präzise austarierten Arrangements klingt »Testament der Angst« ziemlich adult orientated. Mehr noch als auf »Old Nobody« verarbeiten Blumfeld scheinbar abgenutzte, jedem verständliche Soundklischees und Songstrukturen; von Post Rock-hafter Verfeinerungsarbeit findet sich abermals keine Spur.

Obgleich auf »Testament der Angst« nur zwei Liebeslieder zu hören sind, wurde die Platte von einigen Kommentatoren unter Schlagerverdacht gestellt; Welt am Sonntag-Redakteur Ulf Poschardt entdeckte in dem Verzicht auf Geheimdiskurse gar einen »bürgerlichen Idealismus«. Doch verkennen solche Verdächtigungen, dass es auf »Testament der Angst« gerade darum geht, sich offensichtlicher Sprachklischees und Sprichworte bewusst zu bedienen und deren Wahrheitsgehalt auszutesten. Dabei begibt sich der immer mehr zum Singer/Songwriter reifende Distelmeyer aber keineswegs ins verantwortungslose Off der bürgerlichen Vereinzelung. Ganz im Gegenteil ist er wie auf den vorherigen Veröffentlichungen stets darum bemüht, seine Sprecherposition sozial zu erden und mit fremden Stimmen in einen inneren wie äußeren Dialog zu treten.

Wenn Distelmeyer in »Anders als Glücklich« seine »Angst, alleine zu sein« von den Ex-Lassie Singers und heutigen Britta-Frauen Almut Klotz und Christiane Rösinger kommentieren lässt, dann ist das auch als kleine Vorkehrung gegen die Gefahren einer allzu larmoyanten männlichen Autoren-Subjektivität zu verstehen. Der soziale Rahmen wird auch an anderen Stellen benannt: Auf dem Cover sieht man den befreundeten Goldene-Zitronen-Gitarristen Ted Gaier, der ein Foto des Spieltheoretikers John F. Nash nachstellt, »Anders als Glücklich« ist ein Zitat von Brüllen-Sänger und -Gitarrist Kristof Schreuf. »Für mich war es eine Herausforderung, alles in einfachen Worten zu sagen, dabei aber den komplexen Hintergrund, die Widersprüche und alles, was das Gesagte umgibt, mitklingen und mitsprechen zu lassen«, sagt Distelmeyer.

Wer macht mit?

»Testament der Angst« ist eine mitreißende Pop-Platte; man kann ihren oft haltlosen Totalverdacht aber auch als schwer erträgliche Zumutung empfinden. Pragmatiker, Skeptiker, Privatisten, Indie-Typen, Mikropolitiker, Medientheoretiker, Ironiker, Derrida-Fanatiker, Zitat-Rocker und noch eine Reihe weitere Zeitgenossen werden Distelmeyers Shift von der dichten Beschreibung zur auskotzenden Behauptung nicht vorbehaltlos mitgehen wollen. Doch rechnet Jochen Distelmeyer wohl auch damit, dass die Welt für seine Tiraden noch nicht bereit sein könnte. Als die LP Anfang Mai in Berlin live vorgestellt wurde, lockerte er seinen massiven Protest durch allerlei Gageinlagen auf. Es wurde denn auch mehr gelacht, denn über die glamouröse Rückkehr des großen »Nein« ins Popsong-Format nachgedacht.

Blumfeld: Testament der Angst. eastwest