Eichborn to be alive

Letzte Worte

Schon wieder ist im Eichborn-Verlag ein Buch erschienen, das »Lexikon der Letzten Worte. Letzte Botschaften berühmter Männer und Frauen« von Werner Fuld. Darüber heißt es in der befreundeten Zeit: »Mein Freund Werner Fuld hat ein wunderschönes Buch gemacht, worin er, in nachdenkliche Anekdoten gekleidet, die letzten Worte berühmter Menschen mitteilt. Dies ist das einzige neue Buch auf der Welt, in dessem (sic!) Register keiner nach sich selber zu schauen braucht. ROLF VOLLMANN«.

Streute der in nachdenkliche Anekdoten gekleidete Fuld nicht einst jene aus, ein mit ihm befeindeter Kritiker begünstige seine Gespielen? Ich erinnere mich dunkel. Mit der Zeit bzw. der Zeit wird einem alles zur Anekdote. Sagte Eva zu Adolf: »Ist Blondi schon gefüttert?« - »Aber, Mauserl, das lohnt doch nicht, wir drei wollten uns doch eh gleich umbringen.« - »Eben, dann wird sie ja lange nichts mehr zu fressen kriegen.« Die Geschichte ist nicht gesichert, wenngleich die Quelle vertrauenswürdig ist, ich kenne sie gut, frühstücke mit ihr jeden Morgen. Na gut, ich bin es selbst.

Eine andere, wohl trübere, behauptet, Hitler habe Blondi und Eva mit der Hochzeitstorte vergiftet und sich dann, »wo bleiben die Bolschewiken?« knurrend, erschossen. Aber hier dürfte eine Verwechslung vorliegen. Denn wie jedermann weiß, waren dies die Worte Julius Streichers am 16. Oktober 1946, morgens um 2.12 Uhr, Aug in Aug mit seinen Henkern: »Die Bolschewiken werden euch eines Tages aufknüpfen!« Denkbar ist allerdings, dass Streicher hier, wie vorher schon so oft, nur eine billige Kopie Hitlers ablieferte, vergleichbar jenem Todeskandidaten namens James French, der, bereits am elektrischen Stuhl festgeschnallt, den mit gespitzten Bleistiften dasitzenden Fulds zurief: »How about this for a headline? 'French fries'« und damit nur den Kalauer seines Vorgängers George Apple aufpolierte, der gut 40 Jahre zuvor am selben Orte bemerkt hatte: »Well, gentlemen, you are about to see a baked apple.«

Diese Tradition wiederum geht auf einen angeblichen Ausspruch des Hl. Laurentius auf dem Scheiterhaufen zurück: »Dreht mich um, ich bin auf einer Seite schon durch.« Nicht komisch, wie überhaupt das Sterben eine wenig originelle Angelegenheit zu sein scheint, es ist einfach schon zu oft wiederholt worden, selbst in der B- und in der C-Version, mit Hauptdarstellern und mit Chargen, von Philosophen und von Lexikografen. Umso höher ist die Leistung Werner Fulds zu veranschlagen, der mit solchem Kram ganze 211 Seiten zu füllen vermag und sich dadurch übrigens einen natürlichen Vorteil für seine letzte, wenn auch unbezahlte Zeile erworben hat. Er weiß vielleicht schon jetzt, wie die Freunde von der Zeit ihn im Fall des Falles zitieren sollten. Z.B. nicht so: »Hinaus, hinaus! Letzte Worte sind für Narren, die noch nicht alles gesagt haben!« Denn das rief ja bereits Marx aus, als die Hyänenschar der Anekdotenschreiber sich um sein Lager drängte.

Aber wäre das nicht ein echter Fuld: »Schreiben ... schreiben ... Feder! ... Papier!« Wir verraten niemandem, dass es der unermüdliche Heine war, der seinen letzten Atem mit dieser Denkwürdigkeit beschwerte. Fuld könnte sie ja ein wenig abwandeln: »Mir fällt noch ein Lexikon ein! Rasch! Einen Laptop! Ruf Eichborn an!« Oder auch: »Johannes Gross, ich komme!« Ein behutsam eingedeutschtes Finale eines unbekannten amerikanischen Schriftstellers, der allerdings Shakespeare sein Kommen ankündigte. Um die letzte Zeile unendlich vieler Journalisten zu zitieren: »Man darf gespannt sein.«