Neue Biografie über Stalin

Der Dämon lächelt

Machtbesessen und sadistisch - eine biografische Studie zeigt Josef Stalin privat im Jahr 1940.

Über Stalin ist viel geschrieben worden, doch wurde bislang nur wenig über ihn ausgesagt. Die zu Stalins Lebzeiten verfassten Biografien oder politischen Einschätzungen waren entweder reine Hofberichterstattung oder antikommunistische Propaganda. Selbst der sonst oft so brillante Leo Trotzki konnte sich in seinen Texten und biografischen Versuchen nie verkneifen, Stalin als einen ungebildeten Menschen zu verhöhnen. Nach Stalins Tod blieben die Archive verschlossen, und in der Linken wurde eine gründliche Auseinandersetzung weitgehend vermieden. Er wurde zu einem Dämon.

Doch auch nach der Zerschlagung der Sowjetunion blieb eine kritische Diskussion aus oder wurde völlig von der Totalitarismustheorie absorbiert. Eine so genannte Stalin-Debatte, die die konkret vor einigen Monaten anstrengte, verlief völlig unspektakulär und endete eigentlich bereits mit ihrem Eröffnungartikel, in dem Peter O. Chotjewitz feststellte, dass die Quellenlage äußerst dürftig sei. Nichts, nicht einmal die Archive, sei vor Fälschungen sicher gewesen.

Diesen Umstand erkennen auch Nadja Rosenblum und Wladislaw Hedeler an, dennoch machten sie sich an die Arbeit und versuchten, einen Moment in Stalins Leben einzufangen. »1940 - Stalins glückliches Jahr« ist der so entstandene Großessay betitelt. Weil ihnen jedoch kaum seriöse Quellen vorliegen und Rosenblum und Hedeler sich weitgehend auf Briefe, Jahrzehnte später veröffentlichte Memoiren oder nur auf schlichte Zahlen stützen müssen, vermeiden auch sie es, sich seiner Biografie wirklich zu nähern. Stattdessen erzählen sie anhand der im Jahr 1940 begangenen Verbrechen eine Art Geschichte des Stalinismus.

Die Fragestellung wirkt abstrus: Hedeler und Rosenblum beschäftigen sich mit Stalins Glück. Da die Revolutionäre sich, wie es Eugen Leviné formulierte, als »Tote auf Urlaub« begreifen mussten, als Menschen, die ihr Privatleben komplett in den Dienst der Gesellschaft stellen und gewissermaßen für das Glück der Nachkommen arbeiten mussten, wirkten sie, so Hedeler/Rosenblum, »'katalytisch', d.h. ohne sie bewegte sich in der Revolution nichts, und sie selber blieben dabei unbewegt«. Das habe zur Folge gehabt, dass die Politasketen nur eine einzige Leidenschaft entwickeln konnten, »die der Macht«. Dabei sei es vor allem darum gegangen, mit Macht zu überleben, was dann wiederum ein Glücksgefühl erzeugt habe.

Um diese These zu untermauern, führen sie eine Anekdote an, wonach Stalin seinen Kampfgefährten gegenüber eingestanden habe, was ihn beglücke: »Sich sein Opfer wählen, den Plan bis ins kleinste vorzubereiten, unerbittlich seinen Rachedurst zu stillen und dann zu Bett gehen - etwas Süßeres gibt es nicht auf der Welt.«

Nun sei, so führen Rosenblum und Hedeler weiter aus, 1940 das Jahr der Macht in Stalins Biografie gewesen, denn er habe durch die berüchtigten »Säuberungen« den Apparat weitgehend von potenziellen Gegnern befreit, habe im Jahr zuvor mit dem Hitler-Stalin-Pakt und dem anschließenden Krieg gegen Polen Gebietsgewinne im Westen gemacht und sei der unbestrittene alleinige Führer der kommunistischen Parteien gewesen. Auch sei, gewissermaßen Stalin zum Geschenk, in jenem Jahr noch sein größter Gegner, Leo Trotzki, ermordet worden. Und schließlich habe Stalin das ganze Jahr 1940 hindurch bestritten, dass sich Deutschland zu einem Ostfeldzug rüste, er habe sogar alle Warnungen von Botschaftern und Beratern ignoriert.

Nach dieser Exposition können sich Hedeler und Rosenblum ganz auf ihr eigentliches Vorhaben konzentrieren. Sie schildern, in welchen Fällen Stalin und seine Schergen sich schuldig gemacht haben, wie berühmte und minder berühmte Genossen in abgekarteten Prozessen zum Tode verurteilt wurden, wie die Bevölkeung litt und wie Stalin irgendwelche ernsthaften politischen Bedenken aus seinem Umfeld zurückwies. Hedelers und Rosenblums Anklage gipfelt darin, dass Stalin an dem später so genannten Großen Vaterländischem Krieg nicht wenig Mitschuld trage, da er seine Armeen nicht richtig vorbereitet habe und die alte Armeeführung exekutieren ließ.

Das alles ist sachlich richtig. Der Versuch allerdings, die Verbrechen des Stalinismus mit dem sadistischen Charakter Stalins zu erklären, ist albern. Es ist gut möglich, dass er einige der vielen Morde mit einem Lächeln zur Kenntnis nahm. Dennoch ist es nicht so einfach, wie Rosenblum und Hedeler es in ihrer sehr schlichten Kritik von links nahe legen wollen. Die Frage, ob Stalin es tatsächlich als ein Glück empfand, böse zu sein, kann das Autorenduo nicht klären, zudem ist sie vollkommen uninteressant, da ihre Beantwortung reine Spekulation bleiben muss.

Auch sollten Hedeler und Rosenblum als geschulte Marxisten eigentlich erkennen, dass ihre Art, von Stalin zu erzählen, bedeutet, den unter Stalin einsetzenden »Führerkult« ex negativo weiter zu führen. Die von vielen Kommunisten damals bang gestellte Frage, »was denkt Nr. 1«, kann eine Analyse der Sowjetgesellschaft in den vierziger Jahren nicht ersetzen. Inwieweit sich hier ein bürokratischer Apparat verselbstständigt hatte, interessiert die beiden Autoren kaum. Daher können sie auch nicht erklären, warum sich die in der Gesellschaftsanalyse ja nicht eben naive Kommunistische Bewegung in einen Terrorapparat verwandeln konnte.

Es scheint, als wollten Hedeler und Rosenblum das Sowjetvolk nachträglich freisprechen und als Opfer von Willkür und Unterdrückung beschreiben. Für diesen Zweck müssen sie nochmals das Denkmal des »Väterchen Stalin« vom Sockel stoßen, obwohl heute kaum jemand bereit ist, eines zu errichten. Die Person Stalins soll weiterhin dämonisiert werden und als Vernichter der Kommunistischen Bewegung gelten, damit die Theorien seiner Mitgenossen - zum Beispiel Bucharins - als unschuldige durchgehen können. Daher reden Hedeler, der auch als Herausgeber der »Gefängnisschriften« Bucharins fungiert - und Rosenblum der Totalitarismustheorie das Wort und scheuen sich nicht, Mitarbeiter des Ribbentropschen Stabes, also bekennende Nationalsozialisten, als ernst zu nehmende Zeugen gegen Stalin ins Feld zu führen.

Doch ist Unschuld nicht das Anliegen der Kommunisten, und insofern ist ein Buch wie dieses mehr als kontraproduktiv. Denn mit seiner Verklärungsarbeit trägt es überhaupt nichts zur Antwort auf die Frage bei, wie aus den begangenen Fehlern zu lernen sei und wie die Geschichte des Kommunismus zu interpretieren ist. Es gefällt sich im Leid.

Wladislaw Hedeler/Nadja Rosenblum: 1940 - Stalins glückliches Jahr. Basisdruck Verlag, Berlin 2000, 240 S., DM 38