Tony Vaccaros Nachkriegsfotografien

Sauberes Volk in zerbombter Landschaft

Tony Vaccaro war einer der GIs, die Deutschland befreiten. So lange er seine Fotos in den Feuerpausen schoss, waren sie realistisch, weil ungelenk. Später produzierte er Illustriertenware.

Vor zwei Jahren erschien bei Eichborn die deutsche Übersetzung eines Buches, das in England bereits Ende der Vierziger erschienen war, doch für deutsche Verhältnisse zu brisant schien: »Lügendetektor« von Saul Padover. In diesem Buch berichtete der gebürtige Wiener Padover, der im Stab für psychologische Kriegsführung der U.S. Army arbeitete, wie ihm bei den ersten Verhören nach dem Überschreiten der Grenze die Deutschen begegneten, wie erstaunlich satt dieses Volk war, noch immer ganz »Herrenrasse«. Er beschreibt sein Erstaunen, zu sehen, wie Deutsche inmitten von zerbombten Städten noch immer ihren Müll ordnungsgemäß in Behältnissen sammelten, wie sie sich sonntags schick machten und sehr darauf bedacht waren, sich strikt an die Regeln zu halten, und so auch einen grotesken Anblick boten, wenn sie »aus Gewohnheit« die Amerikaner mit dem Hitlergruß willkommen hießen.

Zu diesem Buch ist nun gewissermaßen nachholend der Bildband erschienen. Tony Vaccaro, später ein Mode- und Starfotograf bei Look und Life, arbeitete während des Krieges für die Armeezeitung The Stars and Stripes und war zugleich und vor allem einfacher Grenadier der U.S. Army.

So betrat er im Dezember 1944 das Gebiet des ehemaligen Deutschen Reiches und nahm an diversen absurden blutigen Schlachten teil, die die Amerikaner mit der verbohrten, auf Wunderwaffen und Endsieg hoffenden deutschen Volksgemeinschaft führen mussten. In den Feuerpausen schoss er Fotos, mit denen er versuchte, das erlebte Grauen festzuhalten. Dabei war er - als Fotograf noch relativ unerfahren - jedoch so naiv-empört, dass er, anders als viele seiner Kollegen, die Kamera direkt auf die Soldaten und auf die Opfer hielt. Er arrangierte das Bild kaum, achtete wenig auf die Bildkomposition, sondern versuchte, möglichst präzise das zu zeigen, was ihn so erstaunte und verstörte.

Genau diese formalen Schwächen machen jedoch die Qualität von Vaccaros Fotos aus. Bei den ersten Aufnahmen, die nun in dem Band »Entering Germany« versammelt sind, handelt es sich um Bilder aus der Perspektive eines Soldaten , der die fotografischen Konventionen und die Tricks der Propaganda erst noch erlernen musste. Vaccaro hielt sich bis 1949 in Deutschland auf, erlebte die Besatzungszeit, den Wiederaufbau und die Luftbrücke, also die allmähliche Annäherung zwischen Amerikanern und Westdeutschen im beginnenden Kalten Krieg. Seine letzten Aufnahmen aus Deutschland sind die eines professionellen Fotografen, der weiß, welchen Blick man einfangen muss, wie man eine Stimmung in Szene setzt und was das Publikum sehen will.

Entsprechend zeigt der spätere Vaccaro auch gern die so genannten Frolleins, die mit GIs schäkern, Deutsche, die »aus der Not eine Tugend machen« und in den Ruinen ihrer - nicht selten arisierten - Häuser einen Neuanfang wagen. Dabei beharrt er auf einer Rollenverteilung, wie man sie kennt: Die Männer sind jetzt die gebrochenen Kriegsheimkehrer oder die fleißigen Arbeiter, während die Frauen das Schöne darstellen, sinnlich sind und sich hübsch machen. Kinder verkörpern Fröhlichkeit und Aufbruch, und die alten Leute verkörpern die Geschichte. Und hinter den Menschen stehen Autos, Flugzeuge, Kohleöfen, also Technik - und die hat eben zu funktionieren.

Diese Bilder werden zu Kitsch, weil sie nichts zeigen, was man nicht bereits tausendfach gesehen hat. Die Fotos im hinteren Teil des Bildbands zeigen dann aufdringlich Normalität und Frohsinn: Männer starren auf Frauen, die in einem Offizierskasino strippen. Die Konzentration auf die ikonografischen Bilder mag der Auswahl des Taschen Verlages geschuldet sein. Eins aber ist sicher: Als Tony Vaccaro sie 1949 verlässt, sieht er in den Deutschen nur noch Freunde.

Dabei hätte er es besser wissen können. Denn die Fotos, die er aufgenommen hat, bevor er sich tatsächlich auf eine Karriere als Fotograf konzentrierte, zeigen ein anderes Deutschland. Er fotografierte eine U.S. Army, die ein ganzes Land durchqueren musste, US-Soldaten, die sterben mussten, weil die Bevölkerung nicht aufgegeben hat. Er zeigt Sklavenarbeiter, die sich über jeden Kanten trockenen Brots freuen. Zugleich zeigt er deutsche Kinder, die zwar ärmlich gekleidet, aber ansonsten reichlich dick sind. Und er zeigt Deutsche, die in ihren Sonntagsanzügen auf die Alliierten warten.

Vaccaros Bilder sind nicht unbedingt genauer als die seiner Kollegen. Die Fotografin Lee Miller beispielweise hat sehr viel brutalere Szenen bei der Besetzung eingefangen. Doch ihre Bilder sind immer sehr gewissenhaft arrangiert, sie spielen mit einer Bild-im-Bild-Ästhetik oder mit gewollten Brüchen - Lee Miller liegt z.B. in Hitlers Badewanne und lässt sich dabei fotografieren. Das sind eher Bilder von Siegern. Der unerfahrene Tony Vaccaro hingegen kann solche Situationen noch nicht inszenieren, er will nur seine Eindrücke einfangen, daher sind seine Fotos von einem unbedingten, unreflektierten Realismus geprägt.

So wären seine Arbeiten mit den Bildern zu vergleichen, die sowjetische Fotografen geschossen haben, und zwar mit jenen Aufnahmen, die nicht für die Propagandaarbeit gedacht waren. Aber während die Deutschen in den Sowjets Monster sahen und sich ihnen gegenüber- auch aus Angst um ihre Besitzstände - besonders ärmlich und hässlich präsentierten, zeigten sie sich vor den Amerikanern unbefangen. Daher sieht man bei Vaccaro ein ordentliches, sauberes Volk in einer zerbombten Landschaft stehen, das sich bald unter die neuen Herren fügt und so auf Entschuldung und tätiges Mitgefühl hofft.

Spontane Menschen wie Vaccaro sind darauf hereingefallen, und sie haben schon bald der Welt ein »befreites« Volk präsentiert, das tanzen kann und leben will und mit den Nazis nichts am Hut hatte. Seine ersten Bilder aber bleiben ungeschönt.

Tony Vaccaro: Entering Germany. Taschen Verlag, Köln 2001, 200 S., DM 39,90. Die Fotos werden vom 11. bis 30. April im Berliner Willy-Brandt-Haus gezeigt.