Kosovo ist überall

Knapp zwei Jahre nachdem die Nato in Südserbien ein Protektorat geschaffen hat, steht sie auch in Mazedonien vor der Notwendigkeit, stärkere Präsenz zu zeigen. Doch über die Strategie ist man sich in Brüssel uneins.

Die Symbolik ist bezeichnend. Wenn in diesen Tagen rund um Tetovo albanischsprachige Kämpfer der so genannten Befreiungsarmee UCK auf mazedonische Sicherheitskräfte feuern, so kommen die Schüsse manchmal aus einer alten, noch aus osmanischer Zeit stammenden Festung. Und wie vor Hunderten von Jahren scheint diese uneinnehmbar. Bis zum Wochenanfang jedenfalls gelang es der mazedonischen Polizei nicht, die Burg auf den Hügeln nördlich von Tetovo einzunehmen. »Die kann man eigentlich nur platt machen, erobern kann man die Ruine nicht«, sagte auch Harald Schenker, Sprecher der OSZE-Mission in Mazedonien, der Jungle World.

Innerhalb von weniger als zwei Wochen ist die im Westen Mazedoniens gelegene Region zum Aufmarschgebiet für die mazedonische UCK geworden; am Wochenende forderten die völkischen Freischärler die albanischsprachigen Bewohner des Landes auf, sich gegen die Regierung in Skopje zu erheben. »Wir erhalten regen Zulauf von der Bevölkerung. In jeder unserer Hochburgen melden sich täglich rund 60 neue Rekruten, die kämpfen möchten«, erklärte ein Kommandant mit dem Decknamen »Sokoli« der Nachrichtenagentur dpa. »Wir sind jetzt nicht nur in Tetovo stark, sondern auch rund um Kumanovo und Skopje.«

Auch wenn die Lage in der Hauptstadt Skopje noch relativ ruhig ist, wächst die Angst vor einer Ausweitung des Terrors der UCK auf den Osten des Landes. »Die Leute sind nervös, aber Hamsterkäufe oder ähnliches gibt es noch nicht«, so der OSZE-Sprecher Schenker. Deutlicher beschreibt die Lage Carl Bildt, der Uno-Sondergesandte für den Balkan: »Was ist es sonst? In Tetovo herrscht Krieg.« Am Sonntag demonstrierten Tausende in Skopje für die Einstellung der UCK-Angriffe.

Nach dem Besuch des deutschen Außenministers Joseph Fischer am Ende der vorigen Woche kündigte die mazedonische Armee an, verstärkt Präsenz zu zeigen. Georgi Trendafilov, der Sprecher des mazedonischen Verteidigungsministeriums, bestätigte Jungle World, dass die Mobilmachung der mazedonischen Armee begonnen habe. Der mazedonische Ministerpräsident Ljubco Georgievski hatte kurz nach Fischers Abreise scharfe Kritik an den USA und an Deutschland geübt. »Ihr könnt uns nicht weismachen, dass euch die Rädelsführer albanischer Banden nicht bekannt sind«, sagte er. Die beiden Kosovo-Protektoratsmächte in den an Mazedonien grenzenden Sektoren hätten viel früher gegen die Extremisten vorgehen müssen. Immerhin versprach Nato-Generalsekretär George Robertson am Montag, mehr Einheiten an die Grenze zu Mazedonien zu verlegen, um die Versorgungslinie der Sezessionisten zu unterbrechen.

Doch ob es wirklich das Ziel der Nato ist, deren Aktivitäten zu stören, bleibt fraglich. So sagte Willy Wimmer, CDU-Bundestagsabgeordneter und bis vor einem halben Jahr Vorsitzender der parlamentarischen Vollversammlung der OSZE, der Welt am Sonntag: »Was wir hier erleben, ist kein Zufall, sondern unter den Augen und Förderung der Armee der Vereinigten Staaten geschehen.« Wimmer dürfte Recht haben: Nach der Besetzung des mazedonischen Grenzortes Tanusevci zogen sich die Kämpfer einfach wieder zurück in den US-amerikanischen Kfor-Sektor rund um Gnijlane. »Dass die Leute keine Mazedonier sind, ist klar. Die kommen alle aus dem Kosovo rüber, um hier zu kämpfen«, vermutet auch Schenker.

Aus reiner Lust am Krieg aber dürften die US-Amerikaner die UCK nicht unterstützen. So erklärte etwa Michel Chossudovsky, Wirtschaftsprofessor an der Universität von Ottawa in Kanada, gegenüber Jungle World, dass die USA an der Schaffung weiterer Protektorate auf dem Balkan interessiert seien. »Nur durch Protektorate ist ihr Einfluss gesichert. Das wollen sie natürlich auch in Mazedonien schaffen, und die albanischen Rebellen tun ihnen den Gefallen.«

Einer der vielleicht glaubwürdigsten Kronzeugen der Verwicklung US-amerikanischer Geheimdienste in die Unabhängigkeitsbestrebungen der Völkischen könnte Arben Xhaferi, der Vorsitzende der gemäßigten mazedonischen Albaner-Partei DPA, sein. Dem britischen Observer bestätigte er die transatlantischen Verwicklungen. Nicht zuletzt wegen dieser Informationen hat das mazedonische Parlament in der Nacht auf Samstag in einer Resolution die »Einmischung des Auslandes« verurteilt.

Aber es gibt noch einen anderen aussagekräftigen Link zwischen der UCK und den USA: Nach Jungle World vorliegenden Informationen steht Agim Ceku, der Chef des Kosovo-Sicherheitskorps TMK, im Nebenjob auch bei der US-amerikanischen Sicherheitsagentur MPRI (Military Professional Resources Inc.) unter Vertrag (Jungle World, 32/00). Diese arbeitet in enger Abstimmung mit dem Pentagon und schafft nach eigenen Aussagen »Sicherheit auf der ganzen Welt«. Ein weiterer Berater des Unternehmens ist General Michael Jackson, der im Juni 1999 das Interimsabkommen zwischen den jugoslawischen Streitkräften und der Nato über die Besetzung des Kosovo aushandelte. Ceku und Jackson hatten sich bereits 1995 in Kroatien kennen gelernt, wo sie als Armeeberater die Rückeroberung der Krajina planten.

Da bedeutet es wenig Trost für die Regierung in Skopje, dass die MPRI auch die mazedonische Armee berät. Denn ohne Hilfe aus Brüssel dürfte es eng werden für ihre mit völlig veraltetem Gerät ausgestatteten Truppen. Sollte sie auf die Hilfe der Kfor verzichten, läuft sie Gefahr, die Kontrolle über einige Gebiete an die Sezessionisten abgeben zu müssen. Holt sie dagegen die Kfor ins Land, könnte ein weiteres internationales Protektorat entstehen. Die UCK-Kämpfer haben es also geschafft, die Regierung in eine ausweglose Situation zu manövrieren.

Zusätzlich verschärft wird die Lage auch noch durch die unvermeidlichen Zurufe aus dem Kosovo selbst. So forderte am Wochenende Ibrahim Rugova, der stets als gemäßigt gepriesene Chef der Demokratischen Liga des Kosovo (LDK), die mazedonische Regierung auf, »die Lage der Albaner« zu verbessern, weil sonst die Extremisten die Oberhand gewännen.

Internationale Beobachter in Pristina verstehen die Wortmeldung Rugovas als Auftakt des Wahlkampfes im Kosovo. Nach dem Sieg seiner LDK bei den Kommunalwahlen im letzten Herbst fürchtet er offenbar, die Radikalisierung in Mazedonien könnte den Parteien Hashim Thaqis und anderer ehemaliger UCK-Kommandanten Wähler zutreiben. Unmik, die Uno-Verwaltung im Kosovo, hat die Wahlen zwar für den Herbst angesetzt, in den kommenden Wochen aber dürfte es angesichts der Situation im Nachbarstaat an politischen Tipps aus dem Kosovo nicht mangeln.