Kantes »Zweilicht« und FSKs »X«

Du kannst es fühlen

Die große Emotion und die kleine Konstruktion: neue Platten von Kante und FSK.

Nähern wir uns dem Phänomen doch aus der Ferne. Die Zukunft ist nicht mehr das, was sie noch vor kurzer Zeit war. Der Fortschrittsglaube, der sich in der elektronischen Musik noch einmal zeigte, wo von Platte zu Platte geglaubt wurde, einem Fortschritt beizuwohnen, wo immer wieder aufs Neue next levels betreten wurden, sobald eine musikalische Innovation zu hören war, ist als getarnte Rockmusikgeschichtsschreibung mit anderen Mitteln erkannt und suspendiert. Die Kurse am Neuen Markt sinken. So ist die Lage.

Alle, die keine Aktien zu verlieren haben, sondern bloß ihre Bauchketten, trifft das zwar nicht. Trotzdem stellt sich die Frage, was bleibt, wenn die Innovationsspirale in die Ecke gerollt ist, wenn die schönen Oberflächen nicht mehr locken, weil ihre Versprechen an Macht und Überzeugungskraft verloren haben - zumindest für eine Saison? Der große Wurf. Der Glaube. Die Arbeit. Der Ernst, das Gefühl und die Emphase.

Auftritt Kante: »Wir leben von einem Glauben, der unserer Gegenwart vorauseilt / (...) Wir sind unterwegs / unterwegs zur Musik / bis an die Grenzen unsrer Physik / wir bringen sie zum Klingen, wie sie uns durcheinander / Wir versteh'n sie so wenig wie wir uns unter'nander/ Denn in manchen Momenten ist sie für eine Weile / mehr als die Summe der einzelnen Teile / (...) Gitarre, Bass, Schlagzeug, Klavier, Gesang (...) / Wir leben von einem Glauben, der unserer Gegenwart vorauseilt«, heißt es im Stück »Summe der einzelnen Teile«. Und so hört sich das Ganze auch an: Gitarre, Bass, Schlagzeug, Klavier, Gesang. Ziemlich hymnisch, euphorisch und zuversichtlich. Im nächsten Stück gibt es gleich noch einen gospelartigen Frauenchor, der in einem fort »Power!« singt. Dazu kommen noch Violinen, Celli, Klarinetten - ein ganzes Kammerorchester.

Nähern wir uns dem Phänomen doch aus der Ferne und ignorieren einmal, dass Kante mit ihrem letzten Album als eine deutsche Postrock-Band gehandelt wurden, als eine Gruppe, die Rock nach dem Ende von Rock spielen konnte. Halten wir nur fest, dass es Kante schon seit zwölf Jahren gibt. Ignorieren wir auch, dass das alles im Kontext dessen passierte, was man einmal Hamburger Schule nannte - ein Zusammenhang, der sich schon allein aus der Tatsache ergibt, dass Peter Thiessen von Kante auch bei Blumfeld spielt. Dass es schon Tausende von Bands gab, die in ihren Proberäumen saßen und gemeinsam Musik machten, egal wie auf der Straße gerade der Wind wehte, ist hier auch nicht von Belang.

Ignorieren wir doch mal diesen ganzen Kram und kommen zum Punkt: Was mag das für ein Glaube sein, der da der Gegenwart voraneilt? Das kann sich natürlich jeder nach seiner Fasson ausmalen, der eine wird dort seine WG wiederfinden, der andere die musizierende Arbeiterklasse, die dritte mag an Adorno denken. Peter Thiessen sagt salomonisch, es gehe weniger um die Zukunft als um die Bedingungen, unter denen Menschen zusammenleben. Wobei wichtig sei, dass eine Band eben erst in dem Augenblick anfange, Sinn zu produzieren, wo sie nicht eins mit sich selbst werde, wo Musik als Sprache begriffen werde.

Das mag sich etwas verstiegen anhören, aber in dem Augenblick, wo man mit diesem Konzept von Vielheiten Musik machen will, ist das etwas ganz Konkretes. Und das ging bei Kante so: Die Gruppe fing an, an der Platte zu arbeiten, man merkte, dass man sich im Proberaum nur gegenseitig im Weg herumstand, also wurde das Arrangieren der Songs an den Computer verlegt, wo alles vorbereitet wurde, was dann nach und nach von unzähligen Musikern - wie gesagt, unter anderem einem Kammerorchester - eingespielt wurde. Diese ganzen Tonspuren wurden dann wieder zusammengefügt. Und hört man sich »Zweilicht« an, tickt die Musik mit der Genauigkeit eines Uhrwerks. Als würden alle schon immer miteinander spielen.

So ähnlich verhält es sich auch mit den historischen Referenzen. Archie Shepp, Bob Dylan, das Art Ensemble Of Chicago, Johann Sebastian Bach, Sonic Youth, Cpt. Kirk &, Gastr Del Sol: Alles was gut und teuer ist, wird von Kante ins Feld geführt. Nicht etwa, um Wissen vorzuzeigen, sondern um die Lebendigkeit des Materials zu beschwören, bis die Geister kommen. Wie gesagt, hier geht es um den großen Wurf, darum, es Ernst zu meinen, sich geschichtlich zu verorten. Kante wollen nicht End- oder Anfangspunkt von irgendetwas sein, sondern begreifen sich als Durchgangsstadium, wo historische Linien, individuelle Biografie, persönliches Geflecht und musikalisches Können sich verbinden, um Gefühl zu generieren.

Denn, wem das jetzt alles zu kompliziert ist: Vielheiten sind auch für dich da, Prolet! Auch du bist eine! Kannste hören, Mann. Zu guter Letzt nämlich, wenn man all den formalen Kram hinter sich gelassen hat, geht es um Gefühle: Herz, Schmerz, unbekannte Sprachen, die man im Schlaf murmeln hört und um die kleine Kneipe, die man lange nicht mehr betreten hat. Diese Platte fragt dich, wo du eigentlich hin willst, woran du glaubst und wen du liebst. Intellektuelle sind so, die kommen vom Schwierigen her, wo es eigentlich um die einfachen Dinge geht. Aber im Unterschied zu den meisten anderen, die dann auch die Gedanken vertonen und nicht das große Andere: Hier funktioniert es auch ganz ohne theoretischen Überbau - du kannst es fühlen.

Auftritt FSK: Texte gibt es hier nur wenige zu hören, nur mehrere Stimmen, die mehrmals »Busta Rhymes, Busta Rhymes« oder »Casino« singen oder »Charl-ston-ma-chine« skandieren. Die Stücke tragen Titel wie »Westdeutscher Rundfunk«, »Berliner Ensemble« oder »Haus der Kunst«. Auch hier gehen wir mal über die Tatsache hinweg, dass FSK einmal eine ziemlich bekannte Band war - wahrscheinlich immer noch -, dass sie in den frühen Achtzigern Musik zum Hippies-Erschrecken machte, schöne Lieder über Herbert Wehner spielten, irgendwann anfing, eine Art von deutsch-amerikanischem Musik-Crossover zu erproben und mit amerikanischen Musikern zusammen Polka spielte. »X« ist das zehnte Album von FSK, die Band gibt es seit zwanzig Jahren.

Zwar spielen die Musiker hier auch eine imposante Menge verschiedener Instrumente, doch der Sound ist wesentlich minimalistischer und längst nicht so orchestral wie bei Kante. Er bewegt sich eher um Bass und Schlagzeug herum, aber auch FSK ticken wie ein Uhrwerk. Wer das große Gefühl sucht, wird hier nicht fündig werden, eher gibt es die kleine Konstruktion. Etwa wenn sich ein Stück der Hihat widmet, dem zentralen Sound des House-Schlagwerks und gleichzeitig dem Instrument, das einmal erfunden wurde, um für den Modetanz Charleston in den zwanziger Jahren den Rhythmus vorzugeben.

Lange Rede, kurzer Sinn: Nachdem die elektronische Musik das Paradigma des Alleine-und-selber-Machens eingeführt hatte, ein Modell, das sein Soziales auf der Tanzfläche entfaltete, in der Produktion aber etwas für Einzelkämpfer war, stehen Kante und FSK für etwas anderes. Kein Zurück zur Band, sondern ein Immer-noch-in-der-Band-Spielen. Es ist alles da. Diese Musik verhält sich zu den Techno-Entwürfen aus Köln oder Berlin wie die Neo-Soul-Musiker um D'Angelo zu dem R'n'B-Produzenten Timbaland und seinen komplexen Beatprogrammierungen. Wer wollte sich da streiten, wo doch alles immer mehr und immer schöner wird.

Kante: »Zweilicht«. kitty-yo (Efa)
FSK: »X«. Sub-Up-Records (Efa)