100. Geburtstag von Leo Löwenthal

Prophetenehrung

Wie lässt sich an den Geburtstag eines Menschen erinnern, für dessen Werk die Kritik an der kulturindustriellen Feier des Individuums zentral war? In einem Aufsatz zur biografischen Mode verglich Leo Löwenthal populäre Biografien mit Versandhauskatalogen. Die dargestellten Lebensläufe lassen sich nach Rubriken gliedern. Wenn der Biograf z.B. von der »Seele« spricht, »legt er gleichsam verzückt die Finger an den Mund, weil es hier ums Heiligste geht (aber verkauft werden muß)«. Daneben gibt es die »einzigartige Handlung«, das »Mythos-Register«, die »Geheimnis-Liste« und schließlich die »Schablonen von Einsamkeit und Tod«, die das Individuum aus der Masse herausheben sollen und es in der Überhöhung gleichzeitig verdinglichen. Demgegenüber wird das historische und gesellschaftliche Umfeld anhand von Namen, Briefen und Ereignissen fixiert.

Den Kritiker der Waren- und Wortproduktion Leo Löwenthal zu ehren, der am 3. November 100 Jahre alt geworden wäre, hat sich eine von der Universitätsbibliothek Frankfurt am Main ausgerichtete Ausstellung vorgenommen. Die Frankfurter Universität bestellte Festreden und präsentierte Bücher, Dokumente und Bilder, die die Person Löwenthals »vergegenwärtigen« sollen. In Vitrinen dürfen wir auf ein großes Lebenswerk schauen. So kann der marxistische Literaturwissenschaftler für die bessere Seite der deutschen Kultur in Beschlag genommen werden. Man verehrt ihn als »Propheten«, der es 1933 und 1989 besser wusste als die anderen.

Löwenthal gehörte zu denjenigen Protagonisten der »Frankfurter Schule«, die hierzulande nie den Bekanntheitsgrad eines Adorno, Horkheimer oder Marcuse erreichten. Der Grund war nicht nur sein Verbleiben in den USA, eine Entscheidung, die ihm in der BRD wohl keine Sympathien einbrachte. Zudem erschien vielen die Literatur als bildungsbürgerlich kontaminiert, als komischer Auswuchs des Überbaus, mit dem man sich nicht zu beschäftigen brauchte. Für diesen bornierten Geist ist ein marxistischer Literaturwissenschaftler wie Löwenthal ein Paradox.

Überraschend ist es nicht, dass auf der Eröffnungsveranstaltung niemand das obszöne Wort »Marxismus« in den Mund nehmen wollte, dass aber viel von der »Verantwortung der Wissenschaft« und von der »Tradition der kritischen Theorie« die Rede war. Fast schon obligatorisch die verklärte Erinnerung der RednerInnen an die Vorlesungen Löwenthals, eines der »Großen« der Frankfurter Schule.

Betont wurde seine soziale Herkunft aus dem liberalen deutsch-jüdischen Großbürgertum. Anstatt dessen Ende und Vernichtung in Deutschland zu konstatieren, wollten die RednerInnen von Universität, Archiverwaltung und Stadt Traditionsbestände neu sichten, um daran anknüpfen zu können. Zwar sollen in Frankfurt immerhin die Archivbestände von Adorno, Benjamin, Horkheimer, Marcuse, Pollock und eben Löwenthal unter einem Dach zusammengefasst und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Allerdings ist die Schaffung eines solchen Archivs nicht mit einem intellektuellen sozialen Zusammenhang zu verwechseln, der vollständig zerstört wurde und sich auch nicht wieder aufbauen lässt.

Erfrischend war demgegenüber Jan Philipp Reemtsmas Polemik über den Umgang mit den vom ihm erworbenen und an die Universität und die Stadt weitergeleiteten Bibliotheksbeständen Löwenthals. Die zugesicherte Eingliederung der Bücher ins Leo-Löwenthal-Archiv in Frankfurt lässt seit nunmehr zehn Jahren auf sich warten.