100 Jahre Deutscher Wandertag

Wandern ist Fortschritt

100 Jahre Deutscher Wandertag: Nicht rechts, nicht links, sondern immer geradeaus.

Wandern ist eine extrem sympathische Form der Fortbewegung und der einzige Sport, bei dem man rauchen kann. Wandern ist also Gehen mit Proviant. Weitere Vorteile sind:

- die vielen Pausen
- dass man sexy Schnürschuhe trägt
- dass man an der frischen Luft ist
- und nicht viel reden muss
- dass man hinkommt, wo selbst der Geländewagen versagt
- und Raumspray und Wunderbäume einspart
- Ziegen, Bären und Pinguine trifft. Wenn man Pinguinen begegnet, weiß man, dass man sich verlaufen hat.

Der Spaß an der Sache kommt aber keineswegs ahistorisch daher, ist nicht auf irgendeine frühkindliche Prägung zu Gunsten von rotweißkarierten Hemden, Kniebundhosen und Lodenmantel zurückzuführen, sondern hat durchaus gesellschaftliche und, wenn man so will, politische Gründe. Wer jetzt an Martin Heidegger denkt, ist schon mal auf dem Holzweg.

Die Metapher vom aufrechten Gang etwa hat ihre Ursprünge bei den aufklärerischen Freidenkern, die im 18. und 19. Jahrhundert gegen feudalen Müßiggang wetterten. Das Plädoyer für das Gehen propagierte das aufrechte Gehen, das Wandern und den Spaziergang zum einen als Ausgleich für die überwiegend sitzende Tätigkeit der Kaufleute, Intellektuellen und Beamten, und es war auch immer ein Ausdruck bürgerlicher Autonomie. Wer aufrecht geht, steht wahrscheinlich auch auf eigenen Füßen.

Dies ist nicht unbedingt nur sympathisch, sondern so ambivalent wie vieles in der bürgerlichen Gesellschaft. Aber der historische Fortschritt (auch dieses Wort deutet auf die Körperbezogenheit der frühen Aufklärer hin) ist zweifellos der, dass der Fußgänger vorbeizog am Feudalherrn, der sich in der Sänfte durch die Landschaft tragen ließ.

Nach den Bürgern setzte sich dann das Proletariat in Bewegung, und es entstand die Arbeiterwanderbewegung. Sie war Antwort auf die Entfremdung der oft im ländlichen Raum aufgewachsenen Arbeiter von der Natur. Auf »die düstere Kahlheit seiner Quartiere beschränkt« (Karl Kautsky), zog es das Proletariat ins Umland. Während die oberen Schichten reisten, wanderten die Arbeiter in der Gegend herum.

Heute kann man Strandwandern, Bergwandern, Wasserwandern oder Wattwandern, Fernwanderwege oder Höhenwanderwege nehmen, in den Alpen oder im Himalaya rumlaufen, einzeln, zu zweit oder in der Gruppe, und das Motiv zum Hochleistungsspaziergang hat nicht mehr viel zu tun mit dem des wandernden Arbeiters. Der floh die Städte, gerade weil es noch keine Vergnügungsindustrie gab, heute wandert man ja eher deshalb in der Landschaft herum, weil man seine Ruhe haben will.

Manche behaupten zwar das Gegenteil, aber beim Wandern gibt es kein Rechts und Links, es geht eigentlich immer geradeaus. Wer das stumpfsinnig findet, hat nicht mit Dr. paed. Bernhard Fisch gerechnet. Fischs 1983 im Sportverlag der DDR erschienenes Buch enthält Tipps zur »Taktik einer Wanderung«, die sich so lesen: »Ziel der taktischen Überlegungen ist die Ausarbeitung eines Wanderplanes und seine Realisierung unter Berücksichtigung der konkreten Bedingungen.« Man müsse sich vorab darüber klar werden, ob man eine »radiale Route« - sie führt zum Startort zurück - oder eine »lineare Route« - sie verbindet unterschiedliche Start- und Zielorte - wählen wolle.

Ich wandere gerne, gehe gerne zum Bergsteigen und zum Klettern, habe aber bisher darauf verzichtet, taktische Überlegungen zur Ausarbeitung eines Wanderplanes und seiner Realisierung unter Berücksichtigung der konkreten Bedingungen anzustellen. Und das soll auch so bleiben.