Die FAZ kehrt zur alten Rechtschreibung zurück

Haltloses Durcheinander

Die FAZ kehrt zur alten Rechtschreibung zurück.

Manchmal kaufe ich mir, wenn ich die U-Bahn nehme, eine FAZ, lasse mich bis zum Bestimmungsbahnhof von ihr unterhalten und werfe sie, ehe es die Treppen wieder hinaufgeht, in den Abfalleimer. Ab und zu reiße ich mir vorher einen Artikel heraus, wie letzten Mittwoch, als sie mich damit überraschte: »Bankrott! Gemeingefährlich: Der Skandal«. Ein rascher Blick nach unten bestätigte: »ein gemeingefährlicher Akt. THOMAS STEINFELD«.

Was mag für die FAZ ein »gemeingefährlicher Akt« sein? Fordern die Sklavenarbeiter das ihnen zugesagte Geld? Hat Frau Merkel sich zu ihrem mangelnden Reformwillen bekannt? Wird - man wagt kaum, es sich vorzustellen - der Spitzensteuersatz nun doch angehoben? Ach, es ist nur die neue Rechtschreibung: »Sie war das dümmste und überflüssigste Unternehmen in der deutschen Kulturpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg: ein gemeingefährlicher Akt.« - Der erste unternehmensfeindliche Satz in der FAZ seit dem Zweiten Weltkrieg, verfasst von Thomas Steinfeld, dem für die Abschaffung der Literatur zuständigen Redakteur. Da lohnt es sich vielleicht doch, näher hinzusehen.

Steinfeld beginnt: »In Deutschland weiß keiner mehr, wie man richtig schreibt, und schuld daran ist die Kultusministerkonferenz.« Eine typische FAZ-Wahrheit, die nur bis zum zweiten Komma reicht. Die Falsifikation folgt im dritten Satz - »Die Schüler werden für Irrtümer bestraft, die es im Leben nicht gibt« - ein unauflösbares Kryptogramm, das wohl kaum von der Kultusministerkonferenz ausgeheckt worden ist. »Im einzigen Brief, auf nur einer gedruckten Seite begegnet man der alten, der neuen und unzähligen privaten Rechtschreibungen.« Im »einzigen Brief»? Welcher mag gemeint sein? »Vor drei Jahren noch hatte sich niemand über die deutsche Rechtschreibung den Kopf zerbrechen müssen. Seitdem liegt sie in den Händen einer Gruppe von anmaßenden Dilettanten, die ein jedes Scheitern zum Anlass nehmen, uns tiefer in die Verzweiflung zu stürzen.«

Man möchte die Kultusministerkonferenz um hermeneutische Hilfe angehen, denn es ist allzu schwer, Steinfeld zu folgen. Er ist gestürzt worden, er vermutet: in die Verzweiflung, und weil er sich für tief hält, glaubt er, auch seine Verzweiflung wäre es, und er würde immer tiefer in sie gestürzt, als ob das Kind, das schon im Brunnen liegt, noch einmal hineinfallen könnte. Vielleicht will er auch nur für seine Sprache die Sprachwissenschaftler zur Verantwortung ziehen. Aber seine Dummheit kann keiner an den »Duden« delegieren, dafür muss, wenn schon, ein jeder selbst sorgen.

»Am 25. August soll die jüngste Version des Wörterbuchs zur deutschen Rechtschreibung ausgeliefert werden. Gesehen hat sie außerhalb des 'Duden' noch keiner. Aber überall wird schon erzählt, was man darin finden kann.« Überall - die FAZ-Kantine; seine Welt ist eng, aber weit ist das Steinfeld: »Verantwortlich für dieses haltlose Durcheinander sind die Mitglieder der Kultusministerkonferenz.« Wirklich, für das »haltlose Durcheinander»? Verkehrt sich hier nicht seine Behauptung in ihr Gegenteil? Oder will er darauf hinaus, dass in einem Steinbruch manchmal auch die geübtesten Kletterer keinen Halt finden?

»Wie lang soll dieses einfältige Spiel von Irrtum und Revision noch fortgesetzt werden.« Das frage ich mich auch. Nebenbei: Da ich einmal das Vergnügen hatte, mich mit einem FAZ-Korrektoren unterhalten zu müssen, weiß ich, dass einem solchen der Himmel voller Fragezeichen hängt und er daher mitunter vergessen mag, sie hienieden zu setzen.

Ich hätte aus alldem den Schluss gezogen, es sei ganz einerlei, welcher Orthografie einer wie Steinfeld folgt, der alten, der neuen oder der Steinfeldschen, aber die FAZ will lieber »Schluß« machen: »Die 'Frankfurter Allgemeine Zeitung' wird vom 1. August an zur alten Rechtschreibung zurückkehren.« Untertitel: »Schluß damit: Die Reform stiftet nur Verwirrung / Von Kurt Reumann«. Moment mal, haben wir schon den Ersten? Nein, doch der reuige Untertitler kann es schon am 27. nicht mehr erwarten. »(Die FAZ) hatte vor einem Jahr die von den Kultusministern beschlossene Neuregelung übernommen, weil sie die Einheitlichkeit der deutschen Schriftsprache nicht gefährden wollte.« - Im festen Vertrauen darauf, dass die Eintracht in Frankfurt am Main trainiert wird. »'Ich hoffe, Sie können wieder sehen, wenn wir uns wiedersehen', sagte ein Redakteur dieser Zeitung dem bayerischen Kultusminister Zehetmair, als die Kultusministerkonferenz sich 1995 anschickte, die so genannte Rechtschreibreform zu sanktionieren. Aber Zehetmair stellte sich blind (...). Erst als die Neuregelung unwiderruflich 'fest zu stehen' schien, gingen dem CSU-Politiker (...) unversehens die Augen auf. Mit dem rechten zwinkerte er seinem Kritiker 'nicht viel sagend', aber 'vielsagend' zu, die Kultusminister hätten Fehler gemacht. Wie wahr!« Ist's das rechte Auge, geh zur FAZ, Gemeinschaftspraxis für Rechte-Augen-Ärzte, nur Privatpatienten, Termine nach Vereinbarung.

Wer mit beiden Augen sehen kann, dem hält im Feuilleton ein Hubert Spiegel denselben vor, aber wehe dem, der sich darin wieder erkennt: »Dass es nicht zu Großkundgebungen und Straßenschlachten kam, dass weder der Bonner Hofgarten noch die Mannheimer Redaktion des Duden gestürmt wurde, mag im Nachhinein verwundern. Das heißt jedoch nicht, es hätte keinen Widerstand gegeben. (...) Immer mehr Deutsche gehen bei Rot über die Ampel und mähen ihren Rasen nicht jeden Samstag. (...) Als kurz vor der Umstellung dreißig Schriftsteller um Martin Walser, Günter Grass, Siegfried Lenz und Hans Magnus Enzensberger zum Boykott aufriefen, war mit Siegfried Unseld auch ein Verleger unter ihnen. (...) Vermutlich wird in den nächsten Tagen viel über Insubordination und den neuen zivilen Ungehorsam in deutschen Landen spekuliert werden. Womöglich wird gar von einem umstürzenden Mentalitätswandel die Rede sein und davon, dass der deutsche Nationalcharakter neu zu definieren sei. Aber so kompliziert muss man es gar nicht machen. Vielleicht haben die Deutschen ja auch nur von den Dichtern gelernt. Mit Grass und Walser haben sie Boykottaufrufe unterzeichnet, mit Herman Melvilles Schreiber Bartleby haben sie ungerührt den ewiggleichen Satz 'Ich möchte lieber nicht' wiederholt (...).« Genug. Endbahnhof. Alle aussteigen.

Wenn »Ungehorsam« mit »deutschen Landen« zusammenklingt, steigt ein Verdacht in mir auf, der auch durch den umstürzenden Wandel nicht besänftigt werden kann. Immerhin ein lustiger Einfall, Grass und Walser mit einem Ausländer, der schreiben konnte, in einen Topf zu werfen, und ein geradezu witziger, dem neuesten deutschen Nationalcharakter anzudichten, er sei durch Lektüre eines Stücks Weltliteratur geworden, was er ist.

Ewiggleich allerdings ist hier nur einer: der weder von der »Duden«-Redaktion, noch von der Kultusministerkonferenz, noch von irgendeiner irdischen oder himmlischen Macht, schon gar nicht von der deutschen Sprache zu bändigende Wille, die Erste unter Gleichen zu sein. Damit ist die Frankfurter Zeitung aber schon vor glaub ich 1 000 Jahren ans Ziel gekommen.