Yps wird eingestellt

Die Moosente hat ausgepupst

Alle naselang werden Zeitschriften eingestellt, und keinen stört's. Bei Yps ist das ganz anders.

Ach, der blaue Müllsack. Ein Journalist hat mit dem blauen Müllsack angefangen und seither fragen alle danach!« antwortet Stefanie Thiel vom Ehapa-Verlag auf die Frage nach dem sagenumwobenen Yps-Gimmick, das eigentlich ein Überlebenszelt darstellen sollte. Und kann sich anscheinend nicht vorstellen, dass viele Journalisten kleine Brüder hatten, die damals stolz mit dem entsprechenden Heft nach Hause kamen und nach dem Öffnen einen Wutanfall bekamen. Das Unabhängigkeit von der blöden Familie versprechende Zelt war nämlich ein unten aufgeschnittener blauer Müllsack, den man notfalls als Schlafsack benutzen konnte. Nur wütende kleine Brüder damit zu ersticken, ging nicht, und so hat sich das Müllsack-Zelt eben auf Dauer eingeprägt.

Nun, nach 25 Jahren und 1 253 Ausgaben, wird Yps eingestellt. Schlechte Verkaufszahlen bedeuten das Aus für das Heft, dessen Nullnummern-Titel, Ypsilon, Henri Nannen damals auf das griffigere Yps reduziert hatte. Nannen war es auch, der entschieden hatte, dass sich die Verlagsgruppe Gruner+Jahr die Lancierung eines anspruchsvollen Kindermagazins leisten könne. Und er hatte damit zunächst Recht: Bis zu 600 000 Mal verkaufte sich das Heft in der Woche. 1999 jedoch, nachdem die Auflage rapide gesunken war, wurde Yps an den Comicverlag Ehapa verkauft, der es jetzt einstellt. Allerdings, darauf legt man Wert, »nicht für immer, Ende nächsten Jahres wird es möglicherweise einen Relaunch geben. Man wird über eine neue Form nachdenken«, das Konzept werde überarbeitet.

Klingt nicht gut. Obwohl man beim Verlag nicht ausschließen möchte, dass man gemeinsam mit den Erstkäufern altern und denen dann später in Folie verschweißte Extras bieten wird. Aber Schluss bedeutet Schluss. Wie viele Arbeitsplätze nun vom Yps-Ende betroffen sind? »Erst mal drei. Je einer in Redaktion, Marketing und Vertrieb«, sagt Stefanie Thiel. Dazu kämen natürlich noch die der freien Mitarbeiter, »und ob auch in Fernost Menschen dadurch arbeitslos werden, weiß ich wirklich nicht«.

80 000 Hefte wurden zuletzt verkauft, »das heißt für den Verlag: Es lohnt sich nicht!« Die Gründe für den Einbruch seien zudem klar: »Es gibt immer weniger Kinder, und die interessieren sich für andere Medien. Sie spielen lieber Pokémon am Computer.«

Wer so rational das Ende eines Mythos erklären kann, dem geht das Schicksal des Gimmick-Carriers wohl am Arsch vorbei. Stefanie Thiel bestreitet das jedoch ganz entschieden: »Ich habe mir das erste Yps, das ich jemals gekauft habe, gerade aus dem Archiv geholt. Das war das mit dem Magnet-Rad, die Nr. 3. Ausgewachsene Sekretärinnen trauern dem Heft schließlich auch nach.«

Die gehören jedoch nicht zur Zielgruppe. Wie auch die meisten derjenigen, die schon seit Tagen den Ehapa-Verlag telefonisch wissen lassen, was sie vom Yps-Ende halten. »Wie sollen denn die Kinder in Zukunft lernen, mit den Widrigkeiten des Lebens fertig zu werden, wenn sie es nicht mehr mit den Tücken der Gimmicks zu tun haben?« hatte ein trauriger Fan beispielsweise gefragt. Und das sei leider symptomatisch, bedauert Thiel, »es sind fast ausschließlich die ehemaligen, heute erwachsenen Leser, die um ihr Yps trauern. Den Kindern ist es dagegen wurschtegal.«

Eine Einschätzung, die der Mann, der in der Redaktion das Telefon abhebt und erklärt, eigentlich nur eine Vertretung zu sein, absolut nicht teilt. Aber natürlich hätten seit letzer Woche auch viele Kinder angerufen. Woher die vom Yps-Ende wissen? »Keine Ahnung, jedenfalls sind sie sehr traurig darüber.«

Wahrscheinlich aber lange nicht so traurig wie der 52jährige Münchener Reinhard Haas, der seit Beginn der Reihe im Jahr 1975 für die Gimmicks zuständig gewesen ist. »Ich habe gestern die Illustratoren zum Abschiedsessen eingeladen. Wenn ich das Potenzial sehe, das jetzt in alle Welt zerstreut wird, dann ist das eine schlimme Sache«, sagt er. Ein Yps für Erwachsene mag er deswegen nicht völlig ausschließen, aber natürlich sei das dann »nicht mehr dasselbe«.

Kann er sich nun wenigstens in seinem privaten Yps-Archiv ein wenig trösten? »Nein!« sagt Haas, denn so was habe er gar nicht, zur Verwunderung der Sammler, die ihn ständig anriefen. Selbst im Verlag, weiß er, sind nicht mehr alle Hefte vorhanden, denn bei Reklamationen wurde zur Not auch auf bereits archivierte Nummern zurückgegriffen. Dabei waren die Gimmicks nie so billig und dysfunktionell, wie es die Fama wissen will. Ursprünglich ließ sich der Verlag sein Yps einiges kosten. »Bei den anspruchsvolleren Beigaben, die meist in Fernost produziert wurden, betrugen allein die Werkzeugkosten zwischen 10 000 und 100 000 Mark«, erinnert sich Haas. Schließlich hatte man, dem Zeitgeist der siebziger Jahre folgend, ehrgeizige pädagogische Ansprüche, man wollte Kindern z.B. spielerisch physikalische oder biologische Grundlagen erklären.

Was wahrscheinlich auch den erwachsenen Erfindern Spaß machte, denn an Ideen mangelte es der Yps-Redaktion nie. »Ungefähr 500 Vorschläge gab es damals, als das Heft noch wöchentlich erschien, pro Jahr. Achtzig davon kamen schließlich in die engere Wahl.« Die jeweils realisierten 52 Gimmicks kamen grundsätzlich aus verschiedenen Themenbereichen. Z.B. die intern »grüne« oder »Wachstumsgimmicks« genannten, zu denen u.a. die Urzeitkrebse gehörten, die kaum jemand zum Leben erwecken konnte, aber auch der Ostereierbaum oder die Rose von Jericho. Manche Dinge, wie z.B. die Moosente, werden noch heute in Blumengeschäften teurer verkauft.

Scherzartikel oder Zauber-Utensilien kamen dagegen mehrheitlich überhaupt nicht an, die blinkende, quietschende Fledermaus etwa wurde damals, Erhebungen zufolge, fast ausschließlich von Erwachsenen gekauft, die Kids standen eher auf ernsthafte Gimmicks. Die Solarzelle etwa, mit der man damals vielleicht auch alternative Energiegewinnung demonstrieren wollte, die Marsraupe, die sich bewegte wie das echte Mondauto. Diese exklusiven Gimmicks begründeten den Ruhm, von dem man heute noch zehrt, und auf den sich entsprechend viele nostalgische Erinnerungen beziehen.

Dass man in Zeiten des Internet Menschen aber ihr ehemaliges Lieblingsmagazin und damit ihre Kindheit nicht so einfach wegnehmen kann, lernt der Ehapa-Verlag gerade auf die harte Tour. Schon kurz nachdem sich die komplette Belegschaft des eigentlich hochseriösen Mediendienstes kress report im Internet auf einer Extraseite weinend mit Yps-Heften in den Händen hatte ablichten lassen, entstanden die ersten »Rettet Yps»-Webpages. Die dort propagierten Widerstandsformen sind vielfältig, sie reichen vom simplen Kettenbrief über die gezielte Verstopfung des Ehapa-Mailsystems mit Protestnoten bis hin zur eigenständig initiierten Jetzt-erst-recht-Abokampagne.

Und seit letzter Woche ist auch kein Chat mehr vor denjenigen sicher, die sich, obwohl sie meist schon seit Jahren kein Yps gekauft haben, plötzlich ein Leben ohne Gimmicks nicht mehr vorstellen können und daher unermüdlich agitieren. Selbst bei www.bigbrother.de beschäftigt man sich in den Newsgroups kurzfristig nicht mehr mit den weiteren Karrieren von Zlatko, Jürgen und Andrea, sondern vielmehr mit Erinnerungen an Pupsmaschinen, Detektiv-Ausrüstungen und Um-die-Ecke-Schieß-Pistolen.

Für Unentschlossene gibt es zudem massive Argumentationshilfe: »Wie soll man ohne den Signal-Reif der Marsianer selbstbewusst auf gerade gelandete Aliens zugehen?« fragt man unter geocities.com/klodiacam/Yps.html und fürchtet, »ohne die Bastel-Gimmicks wird es in Zukunft viel mehr Zwei-linke-Hände-Kinder geben«, und sieht auch das Erwachsensein nicht mehr als unbedingten Vorteil an: »Früher musste ich auf ein Heft ewig lange sparen; heute hätte ich das nötige Kleingeld, und jetzt soll es eingestellt werden!«

Auf der Homepage des Magazins, www.Yps.de, sammelt man ebenfalls Argumente gegen die Einstellung des Heftes. Die reichen von »Franks« simplem Dank »für einige schöne Kindheitstage« bis zur Prognose, der Technikstandort Deutschland werde ohne Yps bedeutungslos sein. »Norbert« jedenfalls erklärt: »Die Astronomie-Serie hat mich damals so begeistert, dass ich auch eine wissenschaftliche Laufbahn eingeschlagen habe.«

Die Zukunft einer Bundesrepublik ohne Yps sieht trübe aus. Fan Mara gibt jedenfalls vorsorglich zu bedenken: »Man sollte nicht vergessen, dass die kleinen Wesen (...) einmal die Personen sein werden, die in ein paar Jahren das Land mitbestimmen oder sogar regieren. Da stellt sich dann doch die Frage, ob da lieber einer an der Macht sitzen soll, der seine Phantasie gebraucht hat und das Leben hat bunter werden lassen mit Yps-Gimmicks, oder einer, der in seiner Jugend völlig besessen darum gebuhlt hat, auch ja alle Pokémons zu sammeln.«

Solcher Zuspruch kommt auch bei Haas gut an, selbst wenn der Techniker die Zukunft des Magazins skeptisch beurteilt. Vielleicht sei ja auf einem Markt, in dem inzwischen kaum eine Zeitschrift ohne Supplements auskommt, tatsächlich kein Platz mehr für das Magazin mit dem karierten Känguru, sagt er. Zuletzt habe man sich ja fast dafür schämen müssen, anspruchsvolle Gimmicks anzubieten. Und das Müllsack-Zelt? Haas lacht: »Das war doch eine geniale Idee! Auf so etwas muss man schließlich erst mal kommen!«