Berliner Rede zum Thema Integration

Rau, aber herzlich

Willkommen in Deutschland. Aber dreht mal Eure Musik ein bisschen leiser. Wie Bundespräsident Johannes Rau Ausländer integrieren will.

Bundespräsident Johannes Rau hat seine Berliner Rede gehalten. Diese neudeutsche Tradition wurde 1997 vom damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog begründet. Herzog hatte in seiner Berliner Rede im Hotel Adlon einen »Ruck« gefordert, der durch die Gesellschaft gehen müsse. Jetzt war Johannes Rau dran. In seiner Ansprache am 12. Mai im Berliner Haus der Kulturen der Welt ging es um Ausländerpolitik. »Ohne Angst und ohne Träumereien: Gemeinsam in Deutschland leben« lautete sein Thema.

Diese Rede werde Streit auslösen, hatte Rau vorab verkündet, doch zum Streit ist es nicht gekommen. Denn wie alle so genannten Querdenker ist Johannes Rau gar keiner. Strammer Populist, der er ist, hat Rau den Leuten aufs Maul geschaut, und in weiten Teilen liest sich seine Predigt auch wie ein Pflichtenkatalog für Migranten. Dennoch gab's Lob von den Grünen bis hin zu den Ausländerverbänden.

Dabei weist bereits der Titel der Rede darauf hin, für wen Rau Sympathien hegt. Auf der einen Seite sind da die Deutschen, denen die vielen Ausländer im Land einfach nur Angst machen, auf der anderen Seite die linken Träumer, die die Probleme der Menschen nicht ernst nehmen. Solche Dichotomien durchziehen den ganzen Text. So behauptet Rau: »Zuwanderung ist stets beides: Belastung und Bereicherung.« Wo immer Rau etwas Positives über die in Deutschland lebenden Zuwanderer sagt, verbindet er es sofort mit etwas Negativem, meist mit einer Pflicht, die für die Migranten mit dem Leben in Deutschland verbunden sei. Für die Einheimischen ist kaum von Pflichten die Rede. Für sie zeigt Rau durchweg Verständnis.

Das aufdringliche Wir dient schon vorab der Abgrenzung gegenüber den anderen. Die Frage lautet: »Wie wollen wir mit den Menschen zusammenleben, die rechtmäßig und auf Dauer in Deutschland leben und bei uns bleiben wollen?« Das Problem scheint dabei nicht der Rassismus vieler Deutscher zu sein, sondern »eine falsch verstandene Ausländerfreundlichkeit (...), die so tut, als gebe es überhaupt keine Probleme und Konflikte, wenn Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammenleben«. Bei der Integration, für die Rau eintritt, handelt es sich schlicht um eine Zwangsassimilierung der Zuwanderer. Rau meint: »Integration braucht langen Atem und Geduld. Sie braucht die Offenheit der angestammten Bevölkerung. Noch mehr braucht sie aber - und das gilt heute besonders - die Bereitschaft und die Anstrengung der neu Dazugekommenen - die Bereitschaft, nicht nur dazuzukommen, sondern auch dazugehören zu wollen.«

Integration ist also »noch mehr« und »heute besonders« etwas, was von den Zuwanderern verlangt wird. Warum heute besonders? Der Präsident ahnt: »Vieles ist heute auch schwieriger, weil die Zuwanderer mittels Telefon und Satellitenfernsehen eng mit ihrer Heimat verbunden bleiben.« Da geben sich die Deutschen so viel Mühe mit ihren Ausländern, und die schauen lieber ausländisches Fernsehen und telefonieren nach Hause. Das sind die Schattenseiten der globalen Mediengesellschaft.

Trotzdem weiß Rau, dass Deutschland so manchen Ausländer braucht: »Ohne Arbeiter und Angestellte aus anderen Ländern kämen viele Wirtschaftszweige in große Schwierigkeiten.« Doch was machen mit den Leuten, die diesen Nutzen für das Vaterland nicht erkennen? Man nimmt sie in den Arm und tröstet sie: »Es stimmt aber auch, dass manche Menschen den Gewinn nicht sehen - oder nicht sehen können. Sie erleben und erfahren oft stärker die Probleme, die eine so große Zahl an Zuwanderern ja auch tatsächlich bedeuten.«

Der Xenophobie der Deutschen wird damit ein rationaler Grund zugestanden: die »tatsächlichen« Probleme auf Grund der »großen« Zahl an Zuwanderern. Das Zusammenleben ist eben »schwierig, und es ist anstrengend«.

In einer zentralen Passage seiner Rede bringt Rau sein tief empfundenes Verständnis für die ausländerfeindlichen Deutschen zum Ausdruck: »Es ist nicht schwer, in wohlsituierten Vierteln eine ausländerfreundliche Gesinnung zu zeigen. Schwerer ist das da, wo sich immer mehr verändert, wo man als Einheimischer die Schilder an und in den Geschäften nicht mehr lesen kann, wo in einem Haus Familien aus aller Welt zusammenwohnen, wo sich im Hausflur ganz unterschiedliche Essensgerüche mischen, wo laut fremde Musik gemacht wird, wo wir ganz andere Lebensstile und religiöse Bräuche erfahren. Schwer wird das Zusammenleben dort, wo sich manche alteingesessene Deutsche nicht mehr zu Hause fühlen, sondern wie Fremde im eigenen Land.«

Essensgerüche? Laute Musik? Fremde im eigenen Land? Deutschland ist in Gefahr! Man möchte einen Brandsatz schmeißen. Rau aber schreibt lieber: »Im klimatisierten Auto multikulturelle Radioprogramme zu genießen, ist eine Sache. In der U-Bahn oder im Bus umgeben zu sein von Menschen, deren Sprache man nicht versteht, das ist eine ganz andere.« Kein rassistisches Klischee wird ausgelassen in dieser Rede, die angeblich für »ein stärkeres Miteinander von Ausländern und Deutschen« (Berliner Zeitung) wirbt.

Rau beklagt den »hohen Ausländeranteil an der Schule« und die »überdurchschnittlich hohe Kriminalität junger Ausländer und Aussiedler« und kann verstehen, »wenn nicht nur Mädchen und junge Frauen Angst vor Anmache oder Einschüchterung durch Cliquen von ausländischen Jugendlichen haben«. Besser kann es Jörg Haider auch nicht formulieren.

Noch dem dümmsten rassistischen Argument wird Recht gegeben: »Wer sagt: Auf deutschem Boden können nicht alle Probleme dieser Welt gelöst werden, der hat Recht.« Und immer wieder wird versichert, um wen man sich kümmern will. Nein, nicht um die auf deutschen Straßen verprügelten Flüchtlinge, sondern um die Einheimischen, die vor lauter Angst nicht mehr ein noch aus wissen: »Wir dürfen freilich niemanden mit seinen Vorurteilen und Ressentiments alleine lassen.« Damit verbindet sich gerade noch der Aufruf, doch bitte vom Ausländerumbringen abzulassen. Man sieht: Auch den Deutschen wird vom Bundespräsidenten einiges abverlangt.

Johannes Rau hat es mit dieser Rede allen gezeigt: dem Weizsäcker, dem Herzog und auch dem Walser. Dass Rau in seiner 14seitigen Rede gerade mal einen 12zeiligen Absatz für das Thema Asyl übrig hat, verwundert sowieso niemanden mehr. Denn er hat gesprochen, der Präsident »aller in Deutschland lebenden Menschen«, wie Rau sich nach seiner Wahl im vorigen Jahr selbst bezeichnet hat. Viele werden zufrieden sein mit ihrem Präsidenten. Manche aber werden sich daranmachen, ihren Pflichtenkatalog abzuarbeiten. Und wenn sie es nicht schaffen, droht das, was Rau so ausgedrückt hat: »Unworte bereiten Untaten den Boden vor.«