Sabrina Setlur

Gucci gegen den Schmerz

Gegen deutschen Provinzialismus und für strahlenden Glamour - Sabrina Setlur aus der Sicht und mit den Worten

Sabrina Setlur ist cool. Sie hat den - wie sagt man: deutschen - HipHop um die Facette bereichert, die ihm von Anfang an fehlte und deren Fehlen selbst im zugekifftesten Chill-Out-Traum keiner seiner Protagonisten bemerkt hätte. In Zeiten, in denen die Parole »Kinder statt Inder!« auf den Bürgersteig gespuckt wird, ist es eine Wohltat zu sehen, dass der ansonsten völlig zu Recht beschimpfte deutsche Pop wenigstens zu einem Promille-Anteil aus Acts besteht, die gedanklich, stilistisch wie Lifestyle-mäßig das Weite suchen. Sabrina Setlur - nun gut: BWL-Studienabbrecherin - ist zwar nicht das Gegenteil von den Fantastischen Vier und ihren Reimgenossen, aber sie ist zumindest ein wenig anders.

Mit dem Wohlfühlen in der deutschen Provinz ist das im deutschen HipHop so eine Sache: Reihum ist jede Posse in irgendeiner deutschen Großstadt angesiedelt. Aber anstatt dem Nachbarsbürger eins auf die Mütze zu geben, sehnen sie sich alle irgendwie nach Heimat und Aufgehoben-Sein: Ob die Massiven Töne in »Mutterstadt« (auf dem ansonsten bravourösen Album »Kopfnicker«) ihre »Motorstadt am Neckar / Mekka für Rapper« Stuttgart besingen, die Berliner Harleckinz - eine Combo aus GI- und Immigranten-Kindern - »Berlin Love« ertönen lassen und im dazugehörigen Clip mit Hertha-Fans Arm in Arm herumposen oder Advanced Chemistry und Fresh Family, die offenherzig-sozialdemokratische Integrationsstrategien für Ausländer ersonnen haben. Das einzige Lob der Kommune, das nicht bruchlos im Bekenntnis zum eigenen kleinen, übersichtlichen und gemütlichen Hometurf aufgeht, lieferte die türkisch-deutsche Islamic Force mit »Kreuzberg«. Abzulesen ist daran das grundlegende Missverständnis zwischen deutscher Musik und HipHop.

Gesellschaftlich produzierte Marginalität durch Style und Coolness auszuhebeln, war von Anfang an der Background des US-HipHop. Wer wollte, konnte den Stakkato-Style von Rap und Breakdance als Abbildung eines Restes von individueller Subversion in der spätkapitalistischen Metropole sehen, aber auch als subjektivierten Style um seiner selbst willen. Dass sich dieses US-amerikanische Modell von auswegloser, aber stolzer Dekadenz in der deutschen Version dann anhörte wie »Ey, wir sind in unserm Vorort genauso scheiße dran, aber wenigstens intelligent, weil wir ham Abitur«, war schon an den ersten Stücken der Fantastischen Vier abzulesen. Deutscher HipHop wollte zwar so tun, aber nicht so sein wie »die Schwarzen« aus dem »Getto»: gefangen, sprachlos, gewaltig, luxuriös, gewieft, hinterhältig, kleinkriminell, klandestin. Er wollte kraftvoll sein - und sei das dem zu Grunde liegende Selbstbewusstsein nur aus der Zwei im Deutsch-Leistungskurs geschöpft.

Dass das deutsche Projekt künstlerisch daneben ging, war der Garant für seinen finanziellen Erfolg und die popkulturelle Durchschlagskraft. Zwar hat Sabrina Setlur und ihr Förderkreis - das Label 3p, zu dem auch Xavier Naidoo gehört - ebensoviel Erfolg wie der langweilige Rest, doch verdankt sie das wohl der Ausnahme von der Regel. Die entlastenden Indizien: Sabrina Setlur macht keinen Hehl daraus, was für sie Musik ist, nämlich ein Job, der Spaß macht und Geld bringt, und das hört man ihrer Musik an. Sie ist professionell produziert und von den Produzenten Moses P. und Martin Haas mit Bässen genau an den richtigen Stellen ausgestattet. Von souligen Balladen bis zu den aggressiv-wuchtigen Schimpf-Kanonaden ist auf ihren Alben alles zu finden. Okay, das ist ein Allerweltsmerkmal, aber Setlur hat es eben nicht nötig, bei den Lieblingen von Omi & Opi nachzufragen, ob sie ihren Songs ein wenig niedlichen Flow aus anderen altbackenen Genres reinbasteln könnten (wie die Fantas mit Hildegard Knef oder Fettes Brot mit James Last).

Diese Unverschämtheit, sich über das Gemächliche deutscher Musik-Fabrikation hinwegzusetzen, hat der Rödelheim-Hartreim-Projekt-Clique zwar den Ruf eingehandelt, außerhalb der Szene zu stehen, doch das lässt sich wohl mehr als Kompliment verstehen. Während Bravo den Freundeskreis-Rapper Max schon mal als »Jesus von Benz-Town« bezeichnet, Fanta 4 ehrlich und nicht unbedingt selbstironisch meinen: »We are Mittelstand« und der Rest der Szene sich permanent in Anständigkeit, Bescheidenheit und Wohlgefallen übt, hält es die »bezaubernde Hessin« (stern) da mit großen Gefühlen, divenhafter Arroganz und ein wenig Selbstgefälligkeit, die sich in Gucci-Kleidern präsentiert und sich schon mal so anhört: »Ich hab lang genug gewartet dass'n Wunder geschieht / und endlich einer daherkommt, der mich dafür liebt, was ich bin« (»Alles«).

»Lieder gegen Schmerz« nennt sie ihre Marketing-Strategie, aber das ist immer noch besser als in relaxter Kiffer-Attitüde ein paar Fun-and-Party-Phrasen zu droppen. Zwar kommt es ein wenig kleinmädchenhaft rüber, wenn sie von Hass und Nicht-Beachtung singt, aber wenigstens tut sie es: »Verzeiht nicht meinen Hass, denn ihr habt ihn gemacht / Nie endet der Schmerz, der mich treibt, der mich verschlingt.« Dass diese zur Schau gestellte Hilflosigkeit mitunter genau die Leute anzieht, die eigentlich beschimpft werden, ist den Grundregeln des schaustellenden Gewerbes geschuldet. Allerdings wird nicht jede von den Bild-Lesern zur »erotischsten Frau Deutschlands« gewählt. Aber nichts für ungut, Sabrina bemüht sich: »Im Moment wird die Wahrheit verbogen / wir sind alle auf Drogen / manipuliert von oben nach unten alle / wenn die Wogen sich glätten, kommt auch das Ende von Blendern / allen Ländern allen Sendern, alles wird sich ändern«. Yeah, baby, don't believe the hype!

Weil Eleganz aber nicht nur musikalisch für Sabrina Setlur ein Stilmittel ist, ist sie eine der wenigen deutschen Acts, die zu den US-Originalen wie etwa Missy Elliot zumindest glaubwürdig aufschauen können. Nicht umsonst hat sie ihre vorletzte Maxi »Hija« zusammen mit dem anderen Deutsch-HipHop-Wunderkind Cora E. und mit der NYC-Re-Import Brixx, die auch mit Mos Def zusammenarbeitet, aufgenommen. Setlur weiß halt, »wo die skills versteckt sind« (»Hija«) und trägt sie mit einem weiblichen Selbstbewusstsein auf die Bühne, wie es im deutschländischen HipHop sonst nur Aziza-A schafft. Im Promotion-Text heißt es, Setlurs Stücke »leisten, was Soul - also 'Seelen-Musik' - in ihren besten Momenten immer ausmachte«. Allerdings auch nicht mehr. Denn darüber, dass Sabrina sich nach dem letzten deutschen EM-Sieg vor dem Fernseher die deutsche Fahne um den Kopf wickelte, reden wir wohl lieber ein anderes Mal.

Alle Platten von Sabrina Setlur sind bei 3p (Epic) erschienen.