Haider in Frankreich und Deutschland

L’Anschluss

»Wie das Herz der Welt überhaupt«, schreibt Ludwig Börne in seinen Briefen aus Paris, »so hat doch auch jedes Herz, auch des besten Menschen, einen Fleck, der ist gut österreichisch gesinnt - er ist das böse Prinzip.« Die Knechtseligkeit und das brutale Phlegma - mögen sie selbst bei einem Aufgeweckten mitunter vorkommen, sie tragen dieses Fabrikzeichen: Es ist der österreichische Fleck, das Brandzeichen der jahrhundertelangen gemütlichen Despotie.

Vielleicht muss man in Paris sein, um ihn zu erkennen: Karl Heinz Bohrer enragiert sich in der Süddeutschen (23. Februar) über die in Deutschland, nicht nur im »traditionellen feschen Lodenfaschismus«, übliche Verharmlosung der FPÖ. »Ob dies bloß Mozart-Kugeln- und Wolfgangsee-Solidaritäten sind, also die Verwicklung des in sich selbst ja noch immer provinziell gebliebenen Deutschlands in die zur Folklore regredierte so genannte Alpenrepublik, oder ob das, was von Haiders Programm in Deutschland bekannt wurde, Sympathien auslöst, ist nicht genau zu unterscheiden, zumal beides zusammenhängt.« Während man im dumpfen Deutschland einerseits abwiegelt, andererseits anbändelt, werde in Paris eine kompromisslose Analyse der österreichischen Verhältnisse betrieben, an der alle wichtigen Zeitungen, »allen voran Le Monde«, täglich teilnehmen.

Bohrer statt Börne, das ist zwar ein schlechter Ersatz, aber mit seiner anmutigen Attacke in der SZ hat der Mann doch sehr gewonnen. Wer Bohrers freundliches Urteil an Le Monde überprüfen will, sollte geduldig sein: Auch hier übt man sich in gefälliger Ausgewogenheit. Doch an einem guten Tag muss sich z.B. Lodenfaschist und FPÖ-Sympathisant Edmund Stoiber die Interview-Frage gefallen lassen, ob er sich selbst an die Spitze einer anti-europäischen, »germanischen« Rechten setzen will. Und in der folgenden Ausgabe liest man eine lange Reportage von Bernard-Henri Lévy - Bohrer merkt zu Recht an, die Ridikülisierung dieses Intellektuellen stehe »notorisch im politischen Halbschlaf« Befindlichen nicht zu -, welche mit der Beobachtung einsetzt, dass eine Wiener Prachtstraße nach dem Antisemiten Lueger benannt ist. »Man stelle sich vor, in Frankreich gäbe es einen Philippe-Pétain-Platz.« (2. März) Und schon befindet sich der Reporter im »Herzen des österreichischen Problems«. Es folgt, nun ja, eine Schwärmerei über das »andere Österreich« im Allgemeinen und den »sanften Situationismus« von get to attack im Besonderen.

Zur selben Zeit also, in der sich die Pariser Bourgeoisie eine gewisse Härte und Nervosität der Analyse erlaubt, mault die Sprecherin der deutschen Bourgeoisie - die FAZ - über die »Kanonenbootpolitik« der EU. Oder sie sieht in dessen Rücktritt einen weiteren »Punktgewinn« für Haider, den ihm »freilich erst das über ihn erregte Europa« verschafft habe (1. März). Wie gehabt: An Haider sind die Haider-Gegner schuld, die Europäer, die Intellektuellen, die hysterischen »Gutmenschen«. Diejenigen jedenfalls, die sich erregen, statt weiterzudösen. (Eine Argumentation, der auch ein großer Teil der deutschen und österreichischen Linken nicht abhold ist. Ich denke etwa an die Blätter, in denen Franz Schandl, der sich aus dem Haider-Herunterspielen schon vor Jahren einen Beruf machte, das Wort führt.)

Während man in Paris noch überlegt, ob man das Phänomen Haider im Zusammenhang von »l'Anschluss« diskutieren soll oder nicht, ist er in Deutschland längst vollzogen. Ob es an der Mentalität oder den Trinkgewohnheiten liegt? Vielleicht einfach am Bewusstsein für Geschichte: Selbst da, wo es in Deutschland entwickelt ist, fehlt die Entschlossenheit, es auf die Gegenwart zu beziehen. Es bleibt der österreichische Fleck.