Gonzales ist nicht zu fassen

Er sieht aus wie sein eigenes Klischee, ist Pianist und MC, macht HipHop, Jazz und Easy Listening und taucht auf, wo immer man ihn nicht erwartet.

Gonzales ist ein Star. Das heißt, wart mal, nee, der ist doch noch gar kein Star, der wird ja erst einer. Sagt zumindest sein Label Kitty Yo. Und die Freundinnen und Freunde des Labels, die die Platte schon gehört haben, sagen es auch. Und das Publikum seiner Konzerte. Nach der ersten Maxi von Gonzales wussten es auch The Face und der New Musical Express, dass dieser Gonzales ein verdammt großer Reißer werden wird. Beziehungsweise es eben auch schon ist. Und am besten weiß er es selber: Sein erstes international erscheinendes Album, das jetzt herauskommt, nennt er größenwahnsinnig »Gonzales Uber Alles«. Seine Songs nennt er »Gringo Star« oder »Real Motherf**kin' Music« (wirklich mit den bescheuerten Boulevard-Zeitungs-Sternchen!), doch die Musik zu diesen Titeln nährt sich nicht aus euphemistischen Indie- oder HipHop-Posereien, sondern im Gegenteil aus einer überraschenden Relaxtheit. Sind solche Titel also Coolness-Tools? Versucht sich hier jemand in einer Provo-Geste, mit nichts anderem vor Augen, als dem Ziel sich enorm zu vergeilern?

Wahrscheinlich ist es ihm scheißegal, wie er aussieht. Entscheidungen werden bei diesem Musiker offensichtlich nicht nach reiflicher Überlegung getroffen. Denn die Popfigur Gonzales ist keinen Zentimeter schlauer als nötig. Wie jeder Jazzer kennt er die Regel, dass es bei Musik darum geht, erst alles zu lernen und dann alles zu vergessen. Andernfalls wird das Stück zergrübelt und seiner Dynamik beraubt. Dementsprechend ordnet Gonzales seine Musik und sein Aussehen allein nach seinem herausragend schlechten Geschmack, der aber im Verhältnis zum sonst Gängigen, auf eine merkwürdige Art nicht-schräg ist.

Sieht man sich seine Performance an, so ist die alles andere als kühl und wichtig. Dieser Mensch hängt sich mit dem ganzen Körper in seine Songs hinein und plappert sich die Zunge ab. Er schwitzt. Er verrenkt sich. Er macht keinen Rock'n'Roll. Seine Beats sind merkwürdig verstolpert, seine Stücke einen Tick zu langsam, er selbst drastikt wild um sich. Er verschwendet sich. Nichts an Gonzales sieht so aus, wie man es gewohnt ist. Aber man weiß andererseits sofort, was für eine Art Performance das sein soll - nur hat man den Eindruck: Es fehlt irgendetwas.

In Interviews erzählt er von seiner »Starpower« und dass er seine Hörerinnen und Hörer »stark« machen will. Auch die Fotos von Gonzales, die Kitty Yo vertreibt, sind von erlesener Blödheit. Er steht mit halb geschlossenen Kifferaugen da, nacktem Oberkörper und auf der Brust eine Behaarung, ach was, ein regelrechtes Fell, das selbst in den Siebzigern nicht ohne weiteres durchgegangen wäre. Dazu eine zentimeterdicke goldene Kette, die sich zwischen die feuchten Brustlocken furcht. Eleganz oder Lounge-Lässigkeit gehen diesem Musiker so sehr ab, dass man nicht fassen kann, dass diese Musik überhaupt von ihm stammt.

Der Kanadier, der sich selbst einen »jewish prankster« nennt, ist gelernter Pianist. Zugleich arbeitet er als MC. Seiner Platte hört man beides an, doch versucht Gonzales nicht, die zwei Musikstile ineinander zu verweben und als schönen »Jazz mit Beatz« zu handeln, wie es gerade noch en vogue ist. Denn obwohl Gonzales' Stücke grooven wie Sau, leben sie nicht von einer entliehenen Aura - Gonzales muss sich nicht rechtfertigen, er sieht schlicht keinen Grund, sich historisierend rückzukoppeln oder sich mit Begeisterung ins urbane Getto zu sehnen.

Ihre Authentizität erarbeiten sich seine Stücke allein durch seine eigentümliche Handschrift. Die Bilder, die Auftritte, die Titel, sie alle geben der Musik unmittelbar recht, gerade weil sie von den klassischen Konnotationsfeldern Jazz, Easy Listening und HipHop losgelöst sind und nun allein den einzigartigen Gonzales zeigen. Allerdings wissen weder er noch sein Label, dass sie die Musik gerade durch den Unfug, den sie mit der Figur Gonzales veranstalten, aufwerten. Sie halten es einfach nur für prima anders, irre cool oder irgendwie glamourös.

Exkurs: Wenn man in den späten Achtzigern ein Konzert von Paolo Conte besuchte, erlebte man neben diszipliniert kreischenden Sekretärinnen (und all den anderen, die glaubten, hier ihre Proseccos mit Hochkultur zuckern zu können) einen erstaunlichen Auftritt: Conte, der italienische Rechtsanwalt mit dem unsäglichen Bärtchen, setzte sich ans Klavier, würdigte seine Fans kaum eines Blickes und spielte gekonnt seine merkwürdige Melange aus Bar-Jazz, Chanson und Pop herunter. Seine Musiker, die natürlich ebenfalls schwer beanzugt waren, spielten teilnahmslos ihr Set, und der Trompeter blies, hupte und hauchte mit großem Ernst in verschiedene Muscheln hinein. Das war's dann aber auch schon mit den exotischen Ansehnlichkeiten, denn niemand machte Faxen: kein Lächeln, keine professionell glückliche Band, keine rauschenden Ansagen des Stars. Konzert, Abtritt, Verbeugung, Zugabe, Verbeugung, aus. Die Zuschauer mussten ihre Blumen behalten und ihre Autogramme selbst schreiben, auch wurde niemand geheiratet oder wenigstens ins Hotel entführt.

Aber gerade das machte das Besondere des Auftritts aus: Der zu erwartende und erwartete Glamour fehlte. Stattdessen nur Musik. Aber genau dieses Fehlen des Erwarteten bzw. das geschickte Auslassen von Raffinement macht Gonzales' Stücke aus. Hier fehlt der zu erwartende Schubbi-Dubbi-Chor, dort gibt es wunderbarer- aber auch überflüssigerweise ein Duett. Auf der Platte wird Gonzales als »worst MC« vorgestellt, auf der Bühne beweist er das Gegenteil. Erwartest du ein groovendes Tanzstück, kriegst du zu holpernden Beats knallende Worte um die Ohren gehauen, rechnest du jetzt mit unterkühlt-meisterlicher Melodienarbeit, ist Gonzales wieder nur swingend und top-easy. Man kriegt ihn nicht zu fassen. Und auch seine Musik lässt sich nicht einfach labeln.

Der alte Feingeist Mark E. Smith von The Fall konstruiert ungewöhnliche Rockstücke und Songtexte nur, damit man die Musik und Sätze genau hören kann. Weil man sie genau hören muss, wenn man das anhören will. Dieser Zwang jedoch erzählt auch von der Eitelkeit Smiths: Er will seine Hörerinnen und Hörer beherrschen.

Gonzales ist da weniger eitel, er entlässt seine Hörer ins Stück, weil er als Figur so lächerlich ist wie man selbst. Die alte Märtyrer-Geschichte. Er ist also gar nicht der Star. Seine Musik ist es. Der Herr Gonzales selbst ist einfach nur echt real.

Gonzales: »Gonzales Uber Alles«. Kitty Yo (EFA)