Weinende Männer

Mit der Inszenierung als Versager zum neuen Subjekt: Die Verfilmung von Michel Houellebecqs »Ausweitung der Kampfzone«.

Funky kommt sie daher, die Welt. Die Musik ist flott, der Trailer schnell geschnitten. Doch schon in der ersten Einstellung wird klar: falsch, falsch! Im Grunde ist alles öde. Es ist Samstagabend, und unser Held (Philippe Harel) lehnt mit einem Drink an der Wohnzimmerwand eines Bekannten. Gelangweilt, angeekelt. »Wer braucht noch Männer?« fragt er sich, und antwortet: »Vergiss sie.« Traurig, entleert, mit großen braunen Augen, blickt er in die Kamera und fällt rücklings hinters Sofa. Nackte Frauenbeine ragen neben ihm auf und die Welt dreht sich, dem Wodka sei Dank.

»Extension du domaine de la lutte« (»Ausweitung der Kampfzone«) von Philippe Harel, der den gleichnamigen Roman von Michel Houellebecq zur Vorlage hat, erzählt einen Ausschnitt aus einem verlorenen Leben. Irgendwann hatte er mal eines, erinnert sich der Mann. Doch gegenwärtig erledigt er nur jeden Tag artig und ambitionslos seinen Job als Computertechniker. Kämpferisch gebärden sich hier nur die Kolleginnen. Die Abende gehen mit Fastfood und Wodka drauf. Eine Geschäftsreise mit dem Leidensgenossen Tisserand (José Garcia) scheint die Tristesse kurzzeitig zu unterbrechen, verlagert die Misere jedoch nur von der Pariser Banlieue nach Rouen. Auch hier finden sie in der Damenwelt keine Gnade.

Ihr Universum erstreckt sich zwischen ihren eigenen Körpern und den unerreichbaren der Frauen. Jene haben außer perfekter Mittelmäßigkeit nichts zu bieten, was diese meist nur zu freundlich gleichgültigem Lächeln reizt: Lamentierende Männlichkeit, wahlweise im Anorak, Pyjama oder Pulli-Cordhosen-Kombinat. Im Hotel, auf der Arbeit oder dem heimatlichen Schlafsofa, essend, trinkend, schlafend. Geredet wird nahezu ausschließlich aus dem Off. Dies dann aber gleich zweifach: Ein auktorialer Erzähler formuliert des Helden alltägliches Scheitern, die vielfältig einzusteckenden Demütigungen, ein weiterer fasst dessen Innenleben aus der Ich-Perspektive zusammen. Ödnis auch hier.

Es ist keine sonderlich aufregende Erkenntnis, dass das jahrelange Kreisen um das eigene Ich als alleinige Lebensstrategie irgendwann zur Hilflosigkeit führt. Fragt sich also, was eigentlich an der Inszenierung einer solchen Existenz interessant sein kann, die nur an sich selbst teilnimmt und schließlich an der vorgefundenen Leere erkrankt. Geht es um die Rückversicherung, dass man nicht alleine verkümmert, sondern es anderen mindestens ebenso schlecht geht? Geht es also um gespiegeltes und dadurch ein wenig geadeltes Selbstmitleid?

Houellebecq, der gemeinsam mit Harel das Drehbuch schrieb, ist in Frankreich wie Deutschland gefeiert und preisgekrönt. Für seinen Folgeroman »Elementarteilchen«, der ebenfalls um impotente und frustrierte Männer kreist, kürten ihn Philipp Sollers, Julian Barnes und Mario Vargas Llosa mit dem Prix du Novembre. Die FAZ hält ihn für einen der »begabtesten Provokateure« und die Süddeutsche Zeitung verleiht dem nun verfilmten Romanwerk das Signum »Ausnahmeerscheinung in der französischen Literatur«. Die Zeit bezeichnet Houellebecq seitdem gar als »Erlöser« und Anführer einer neuen Bewegung, dem Spiegel ist er ein großer Moralist.

Womit zumindest feststeht, dass das männliches Versagen im Sex-Sektor markt- bzw. gesellschaftsfähig ist. Fast chic. Was damit zusammenhängen dürfte, dass die Ridikülisierung einer Männerwelt, die ihre Durchsetzungs- und Penetrationsfähigkeit eingebüßt hat, mit einer grundsätzlich daherkommenden Kritik an der Lieblosigkeit der Konsumgesellschaft einhergeht. Das Ausbreiten viriler Kläglichkeiten soll nicht Stammtischgeschwätz, sondern Gesellschaftskritik sein. Ein neuer Königsweg ist gefunden. Mit Hilfe der schonungslosen Inszenierung der eigenen Spezies als Versager bastelt sich der Kritiker sozusagen hinterrücks wieder zum Subjekt zusammen.

Dieses Phönix-aus-der-Asche-Spielchen bedarf nicht zuletzt der Kritik am anderen Geschlecht. Wobei der Film hier wesentlich zurückhaltender ist als das Buch. So werden Frauen hier nicht direkt beschimpft, sondern eher als omnipräsente Drohung inszeniert. Sie sind überall, selbstbewusst, sexuell hyperaktiv und doch nicht zu besitzen - Ergebnisse der 68er und der Feministinnen. Ein Gegenmittel jedoch bleibt der Frauenmord - und an dieser Stelle wird es wider Erwarten doch noch interessant. Schließlich, wenn schon die Inbesitznahme des anderen Geschlechts scheitert, zum Mord sollte es gerade noch reichen, so der Protagonist.

Entgegen dem feuilletonistischen Geplärr vom gebeutelten Mann, wechselt der Film an dieser Stelle kurzzeitig auf die Metaebene. Anders als in »American Psycho« von Bret Easton Ellis oder in David Finchers Verfilmung von »Fight Club« - vergleichbaren Demontagen von Männlichkeit - zelebrieren Houellebecq und Harel keine Gewaltorgien als Reaktion auf erlittene Impotenz. Stattdessen wird die verbreitete Kriegste-keine-bist-du-ein-Schlappschwanz-und-bald-gewalttätig-aber-dafür-kannste-nix-Logik mit bitterem Spott überzogen. Das letzte Aufglimmen einer totgesagten Männlichkeit, das Aufbäumen vor dem Fall im ehrlichen Faustkampf wird nicht zugestanden. Zur Vergewaltigung oder zum Frauenmord kommt es nicht. Statt Blut fließen nur Tränen - über Männergesichter.

Der Held erweist sich nicht nur als mitleiderheischend feige, sondern auch noch als hundsgemein: Im Anschluss an einen fatalen Heiligabend in der Diskothek und zahllosen Zurückweisungen rät er seinem unglücklichen, noch immer jungfräulichen Kollegen, die abweisende Blonde samt Liebhaber zu ermorden, nur dieser Akt könne ihn endlich zum Mann machen.

Tisserand willigt verzweifelt ein, nimmt das vorsorglich gekaufte Küchenmesser, kehrt jedoch unverrichteter Dinge und weinend zurück und setzt sein Auto gegen einen Baum - bringt also nur sich selbst um. Immerhin habe er es versucht, das rechnet ihm unser Held hoch an. Weshalb er diesen Kampf fortsetzen wird, in der Tanzstunde. Das Glück nähert sich, zwar überragt die Dame ihn glatt um zwei Köpfe - aber sie kommt auf ihn zu, und sie lächelt. Und die Welt dreht sich.

Die Botschaft des Filmes ist eindeutig: Wenn Frauen ein bisschen Mitleid haben und sich der Männer annehmen, auch wenn hier auf den ersten Blick nichts zu holen scheint, dann wird doch alles gut. Und damit säßen wir wieder am Stammtisch. Im Roman gibt es keine solch plane Lösungsstrategie. Nur zynisches Selbstmitleid und keine Versöhnung mit der Außenwelt. Diese bleibt weiterhin das, »was mich zermalmt«. Der Held verharrt in seinen engen Ich-Grenzen, gibt auf, dankt ab. Er hat sich ja von Anfang an gefragt, wozu solche Männer noch taugen.

»Extension du Domaine de la lutte«, F 1998. R: Philippe Harel, D: Philippe Harel, José Garcia. Berlinale, Panorama: 12. Februar, 13 Uhr, 13. Februar, 22.45 Uhr