Nach der Liebe

Die 50. Berlinale ehrt die französische Schauspielerin und Regisseurin Jeanne Moreau mit einer Hommage. Siebzehn ihrer über hundert Filme sind zu sehen.

Zeig mir, was du kannst - aber verlieb dich bloß nicht in mich.« Die Mundwinkel spöttisch-melancholisch heruntergezogen, den Blick unter den schweren Lidern ins nachdenkliche Irgendwo versenkt und eine Augenbraue leicht gehoben, klingt die Aufforderung zum Liebesspiel aus Jeanne Moreaus Mund wie eine Kampfansage. Ihr Mienenspiel in Joseph Loseys »Eva« (1962) ist das einer femme fatale der besonderen Art. Eine weise Streunerin zwischen Spieltischen und den menschenleeren Plätzen Venedigs und einem jeglicher Fellinischen Üppigkeit entkleideten römischen Stadtbild. Der eigentliche Schauplatz dieses ungewöhnlichen film noir mit fast existenzialistischem Einschlag aber ist das Gesicht von Jeanne Moreau - meist in der Bildmitte, in Nahaufnahmen und Halbtotalen.

Die immergleiche Billie-Holiday-Platte, die cooljazzige Filmmusik, die »God made Adam from a Woman's Rib« intoniert, lassen hier ihre Rolle aus Louis Malles »Ascenseur pour l'échafaud« (»Fahrstuhl zum Schafott«, 1957/58) durchscheinen. Knapp dreißigjährig, nach kleineren Auftritten in Kolportagestreifen und zweitklassigen Films noirs brachte ihr Malles Film den Durchbruch als Filmschauspielerin. Bereits vier Jahre zuvor hatten die frisch gegründeten Cahiers du Cinéma ihr »spitzzüngiges, spöttisches Talent«, das einen »ganzen Vorrat an Zärtlichkeit und Gefühl gut versteckt«, gelobt und gefordert, dass dieser »hoffentlich eines Tages genutzt werden wird«. Malles Film bricht mit den Konventionen des damaligen französischen Kinos, das auf Unterhaltung setzte.

Unter den Schauspielerinnen, die damals en vogue waren, ist am ehesten Simone Signoret eine Wahlverwandte. Eine gewisse Herbheit und Dickfelligkeit ist auch Moreaus Leinwandpräsenz eigen. Sie hat nichts von dem linearen Sex-Appeal Brigitte Bardots oder der kühlen, neurotischen Distanziertheit der Catherine Deneuve. Ihr Gesicht ist nie glatt, es zeigt Lebensspuren, oder wie es ein Kritiker formulierte, die Erschöpfung nach der Liebe. »Ich habe zur Genüge zu hören bekommen, dass ich nicht fotogen sei, dass mein Gesicht nicht symmetrisch sei, (...) und lange Zeit haben die Maskenbildner versucht, die kritischen Stellen zu vertuschen, indem sie hier ein wenig Rouge auftrugen, dort ein wenig Weiß (...). Wenn ich mich dann im Spiegel betrachtete, hatte ich den Eindruck, eine buntscheckige Hexe zu sein. Louis Malle hat mich gewaschen«, sagt sie selbst.

»Les Amants« (»Die Liebenden«, 1958), der zweite Film mit Malle, in dem sie eine Ehebrecherin spielt, die Kind und Mann verlässt, und der folgerichtig in Venedig einen Skandal verursachte, festigten das Bild ihres einzigartigen Ausdrucksvermögens. Sie verkörpert die Frau, die sich gegen die repressiven Spielregeln des Bürgertums der fünfziger und sechziger Jahre auflehnt, sich radikal verweigert, die subtile Konfrontation sucht.

So wie die Filme Malles filmische Momente der Nouvelle Vague - als deren Muse Moreau später galt - vorwegnahmen, war auch Moreaus darstellerische Verbindung von Reserve und erotischer Präsenz, die Newsweek als »Perversion in intellektueller Form« betitelte, keine Entdeckung über Nacht. Die junge Jeanne, die heimlich in Kinos und Theater ging, die enigmatische Marie Casarès verehrte, hat häufig mit ihrer Kindheit an der Place Pigalle, »in zwei Zimmern eines billigen Stundenhotels« kokettiert.

Am 23. Januar 1928 als Tochter einer englischen Revuetänzerin und eines verkrachten Nachtlokal-Besitzers geboren, konnte sie nach dem Abitur die Schauspielausbildung am Konservatorium nur gegen den Widerstand des Vaters - der sie als Englischlehrerin sah - und dank der Komplizenschaft der Mutter antreten. Jahrelang führte sie ein Doppelleben, zu Hause erfuhr man von ihren Erfolgen nur aus der Zeitung. Trotzdem wurde sie, als knapp Zwanzigjährige und jüngstes Mitglied seit deren Bestehen, 1948 in die Comédie Fran ç aise aufgenommen.

»Jules et Jim« (1961/62) nimmt sich des Themas erotisch-persönlicher Freiheit auf andere Weise an. Es beginnt als Spiel. Ein Wettstreit um das Lächeln einer Statue, eine unbekannte Galathea mit mildem Lippenschwung, ein mystisches weibliches Ideal, dem schon die Surrealisten nachjagten. Als Catherine, eine willensstarke Frau aus Fleisch und Blut, auftritt, ist es auf einmal ernst. Zu Beginn ein lubitschhaftes Gentlemen's Agreement, mit Moreau in Männerklamotten, steuert das Trio auf ein fatales Ende zu. Ein Reigen, in dem sie den Ton angibt, Suchende nach absoluter, überhöhter Liebe. Selbst die ménage ˆ trois ist ihr zu statisch. Sie packt den Pyjama ein und verschwindet im Haus eines anderen. Mit Truffaut verband sie eine Arbeits- und Liebesbeziehung wie auch mit Louis Malle, der rückblickend bemerkt, sie habe eher die Regisseure ausgewählt als Stoffe und Rollen.

1960 drehte sie mit Michelangelo Antonioni »La Notte« (»Die Nacht«) der im Verlauf einer Nacht die Stadien der Entfremdung von Mann (Marcello Mastroianni) und Frau (Moreau) entwickelt. Die Frau, akademisch gebildet, bleibt die Gefangene ehelicher Gleichgültigkeit und Einengung. Wie in »Jules et Jim« zelebriert Moreau hier ihr minimalistisches Spiel der kleinen Gesten und Blicke, ohne dass es jemals einstudiert wirken würde.

Ende 1963 engagierte Luis Bu-uel sie für »Journale d'une femme de chambre« (»Tagebuch einer Kammerzofe«). Fast zeitgleich mit Ingmar Bergmanns »Das Schweigen« setzen sich beide Filme mit der Verklemmtheit und Doppelmoral ihrer Zeitgenossen und dem reaktionären Dünkel einer sich auflösenden Oberschicht auseinander. Wo sich die »Kammerzofe« einem Stiefelettenfetischisten gegenüber sieht, spielt auch »Mademoiselle« (1965) von Tony Richardson im Kraftfeld von Macht und Unterwerfung. Hier spielt Moreau eine adrette Dorfschullehrerin, die eine masochistische Liaison mit einem Holzfäller eingeht und heimlich als Brandstifterin ihr Unwesen treibt.

Gemeinsame Filmprojekte mit Orson Welles standen unter keinem guten Stern. »Une Histoire immortelle« (»Stunde der Wahrheit«, 1966/67) - Moreau gibt eine rüschengeschmückte Kurtisane - schaffte es noch ins Fernsehen. »The Deep« (1966) dagegen blieb unvollendet. Ein Darsteller starb, es gab Geldprobleme, und Jeanne, die, wie es ihrem Arbeitsstil entspricht, mit vollem Einsatz dabei war, sich die Haare zu einem Jean Seberg-Schopf kürzen ließ, übernahm schließlich sogar den Job des Script-Girls. Eine fatale Erfahrung im katastrophalen Low-Budget-Bereich, die obendrein ohne Ergebnis blieb.

Zunehmend frustriert von den Rollenangeboten, begann sie in den Siebzigern, eigene Filmprojekte zu realisieren. Auf »Lumière« (»Im Scheinwerferlicht«, 1975), einem Ensemblefilm um vier konträre Frauenfiguren, folgte »Mädchenjahre«, der mit autobiografischen Anklängen die Entwicklung eines jungen Mädchens in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg beschrieb. Simone Signoret selbst spielte die Großmutter, die neben Edith Clever als Mutter die Geschichte dominierte. Auch dies ein »Frauenfilm«, der die soziale Frauwerdung des Mädchens behutsam ins Bild setzte.

Insbesondere Rainer Werner Fassbinders Verfilmung von Jean Genets »Querelle« (1982), in der sie die einzige weibliche Darstellerin ist, sorgte für ihr Comeback. »You just have to be great!« war Fassbinders Regieanweisung. Und das war sie, als Kupplerin, Geliebte und Vertraute, die im orangefarbenen Gewimmel der Männerkörper den Oscar-Wilde-Text sang, der dem Film zugleich sein Motto gab: »Each man kills the thing he loves«.

Hommage der Internationalen Filmfestspiele Berlin, 9. bis 20. Februar, Termine im Programm und unter www.berlinale.de