Einsicht in die Weltenläufte

Angela Marquardt irrt: An die »Simpsons« wird »South Park« nie heranreichen.

South Park« und »Simpsons« sind keine Gegensätze. Man kann das eine gut finden, ohne das andere schlecht zu finden, man muss sich nicht entscheiden. Irgendwann merkt man aber doch, was einem lieber ist. Zunächst war ich ja sehr angetan von »South Park«. In einer Besprechung zum deutschen Serienstart schrieb ich: »Während die einzig nennenswerten Konkurrenten auf dem Bildschirm, die 'Simpsons', mit einigem Aufwand eine realistische Sitcom im Zeichentrickformat zu emulieren versuchen, ist 'South Park' so etwas wie die dunkle Seite der 'Peanuts' - aktualisiert als Neunziger-Jahre-Trash, weniger behütet und insgesamt überdrehter (...). Wenn die 'Simpsons' Haschisch fürs Fernsehvolk waren, dann ist 'South Park' Crack.«

Auf den ersten Blick stimmte das. Denn »South Park« hatte etwas von einem Befreiungsschlag. Auf die ganze Distanz gehen und voll auf die Zwölf. »South Park« setzte jenes hoch angereicherte asoziale Potenzial in einer Art Super-Gau frei, das bei den »Simpsons« immer nur knapp oberhalb der Grenzwerte aus Burns' AKW leckte und suppte. Wenn die »Simpsons« zu ihrer Zeit »postmodern« waren, dann demonstrierte »South Park«, was unter postmodernen Bedingungen »postmodern« heißen kann.

Auf einmal sahen die »Simpsons« alt aus, wie eine brave Normalfamilie, die nach zehn Jahren Bildschirmpräsenz ihr humoristisches Potenzial verschossen hatte. Und stimmte es nicht, dass in der neuen Staffel der »Simpsons« immer penetranter genau jene family values propagiert wurden, die in »South Park« der Lüge überführt und mit einem Sprengsatz versehen werden? Dass die »Simpsons« beinahe staatstragend geworden sind? Doch, stimmte.

Aber man merkte bereits nach ein paar Folgen »South Park«, dass der toxische Brachialhumor recht schnell an seine natürlichen Grenzen stößt, dass das Format insgesamt womöglich doch nicht die Tragfähigkeit der »Simpsons« hat. Was die verhaltensauffälligen Grundschüler aus »South Park« an Energie in die Tabuverletzung investieren, mangelt dann auf Seiten der sophistication. Zwar appelliert »South Park« längst nicht so sehr an das stumpfe Ressentiment wie etwa »Beavis and Butt-Head»; auch bei »South Park« findet eine clevere Dekonstruktion des rassistischen, antisemitischen und homophoben Provinz-Amerika statt. Allein, das Inventar der Serie erschöpft sich in der schonungslosen Überzeichnung.

Da ist es dann schon eine Sensation, wenn Kenny in einer Folge mal nicht ums Leben kommt, weil man ihn schlicht vergessen hat, wie alle am Ende feststellen. Das, zugegeben, ist dann schon wieder sehr witzig. Trotzdem erscheint mir der behutsamere Approach der »Simpson»-Macher auf die Dauer vielversprechender: In jahrelanger Kleinarbeit haben sie aus dem virtuellen Springfield eine Biosphäre II gemacht, ein Testlabor für Gesellschaftsentwürfe und Konflikte. Soziologisch sind die »Simpsons« viel komplexer modelliert als »South Park«, die Themen gehen so nie aus.

Mittlerweile über dreißig elaborierte Charaktere - mehr als in jeder realen Sitcom - interagieren in Springfield und sorgen für eine angemessene Repräsentanz auch der kleinsten Minderheit, und seien dies jüdische Fernsehclowns. Während »South Park« recht eindimensional auf die Thematik des White-Trash-Nachwuchses fixiert ist, alles durch dieses Nadelöhr muss, bietet der Springfield-Kosmos eine Folie (hier einmal buchstäblich) für jedes denkbare, noch so abwegige Sujet aus der amerikanischen Wirklichkeit. Dazu kommt der Zitat- und Anspielungsvorrat aus der Film- und Comic-Geschichte, der bei den »Simpsons« konziser und intelligenter ausgeschlachtet wird als bei »South Park«. Gegen Springfield ist »South Park« Kasperletheater - eine primitive Kultur, was nicht heißt, dass diese nicht entwicklungsfähig wäre. Nur würde ihr eine Entwicklung in Richtung Springfield den primitiven Charme rauben, der »South Park« ausmacht.

Wie avanciert dagegen das Gesellschaftsmodell bei den »Simpsons« ist, lässt sich allein daran ablesen, dass die Sendung ins Stadium der Selbstreferenzialität eingetreten ist. Neben einer Binnengeschichtsschreibung mit falschem Ursprungsmythos - in einer Folge werden die unbeholfenen Anfänge der Serie präsentiert, natürlich von vorne bis hinten gefaket -, wird auch an einer eigenen poststrukturalistischen Medientheorie gearbeitet.

Erste Ansätze dazu liefert meine absolute Lieblingsszene aus den »Simpsons»: Bei Dreharbeiten für einen Film, in dem ein Pferd vorkommen soll, werden von der Crew Kühe wie Pferde angestrichen. Warum sie nicht gleich ein Pferd nähmen, fragt Lisa Simpson. Darauf einer der Filmmenschen: »Pferde sehen im Film nicht aus wie Pferde, nur angestrichene Kühe sehen aus wie Pferde.« Lisa will wissen, was sie machen, wenn im Film Kühe dargestellt werden sollen. Antwort: »Dann binden wir einfach ein paar Katzen zusammen.« Als ich die Szene das erste Mal sah, habe ich geweint vor Glück, Lachen und tieferer Einsicht in die Weltenläufte. Das ist mir bei »South Park« bislang noch nicht passiert.