Unanständige Berufe III

König entführt

Das Räuberhandwerk ist ein solider und ehrbarer Beruf. Gerade viele junge Menschen wollen in ihren Kinderträumen diesen zukunftsträchtigen Job ergreifen. Und der Gedanke, angepasst wie der Räuber a.D. Hotzenplotz im Gasthaus »Zur Räuberhöhle« als Wirt zu enden, ist ihnen noch fern. Für all diese jugendlichen Berufsanfänger ist jetzt ein Ratgeber erschienen, der die meisten Fragen zu dieser interessanten Branche beantwortet.

Erstmal wird dem angehenden Räuber erklärt, wie man zu seiner »Räubergrundausstattung« kommt. Schnell ist ein Räuberhut aus Wellpappe und Tonpapier mit Schere und Klebstoff gebastelt, ein echter Räuberschatz wird mit Hilfe von Omas altem Koffer und Goldpapier angelegt. Dafür muss jetzt nur noch ein gutes Versteck gefunden werden. Später lernt man, wie man sich einen Räubernamen zulegt, z.B. »Rote Liesl« oder »Pistolenkurt«, und wie ein Steckbrief entsteht. Dann wird Schritt für Schritt erläutert, wie ein Überfall vom »Ausbaldowern« über den eigentlichen Einbruch bis hin zur Flucht (»Achtung, im Winter auf Spuren im Schnee aufpassen!«) vor sich geht. Die Beschreibung der benötigten Werkzeuge, von Dietrichen, Brecheisen, Bohrern, Sägen und Keilen, ist recht ausführlich. Die dazu gehörenden speziellen Räuberfachbegriffe werden selbstverständlich auch erklärt. All das ist wunderschön und witzig mit Zeichnungen von Markus Grolik illustriert.

Neben dem Erlernen der Räubersprache Rotwelsch ist »Ausbrechen« ein weiteres Hauptfach für den angehenden Räuber. Abgeschlossen wird die handwerkliche Ausbildung mit dem Bau von verschiedenen Räuberhöhlen und einem Lehrgang »Kochen wie die Räuber«. Die Zeichensprache der Räuberzinken wird in Form einer »Gaunerzinken-Rallye« durch die ganze Stadt geübt.

Auch die politische Bildung zum Berufsumfeld wird behandelt. In mehreren Kapiteln beschreiben die AutorInnen Ulrike Gerold und Wolfram Hänel, »wer oder was überhaupt einen Räuber ausmacht« und wie dieser Beruf historisch entstanden ist. Ausführlich berichten sie von den Schwierigkeiten, mit denen man durch Polizei und Justiz in der beruflichen Praxis konfrontiert wird. Oft endet die Karriere mit einem Strick um den Hals oder um einen Kopf kürzer. Streng wird zwischen moralisch zweifelhaften Untergruppen in diesem Beruf, wie den Raubrittern, und »edlen« Vorbildern wie Robin Hood unterschieden. Wiederholt verweisen sie auf die Räuberehre, sich »niemals gegen die Schwächeren zu stellen«. Sogar ein Überblick über die einschlägige Literatur zum Thema wird vermittelt: Das geht dann von Schillers »Die Räuber« über »Rinaldo Rinaldini« und »Ali Baba und die vierzig Räuber« bis hin zu Kurt Helds Geschichte »Die Rote Zora«.

Am Ende des Buches wartet - wie leider bei jedem Beruf - die Abschlussprüfung. Mit einem Würfelspiel wird »die gefährlichste Räuberbande« ermittelt. Da kann man mit einem »Apfel- oder Eierdiebstahl« anfangen, schon besser ist der »Überfall auf einen Jahrmarkt« oder der »Raub eines ganzen Kartoffelsacks«. Gut ist man, wenn der »Einbruch in ein Rathaus« gelungen bzw. der »Ausbruch aus dem Gefängnis geglückt« ist oder man gar ein »Fürstenhaus ausgeraubt« hat. Den Facharbeiterbrief als RäuberIn erhält man für den »Diebstahl der Kronjuwelen« oder einen »Einbruch bei der Bank von England«. Und das Räuber-Diplom? Dafür muss man schon einen »König entführen« oder die »Staatskasse ausrauben«.

Ulrike Gerold und Wolfgang Hänel: Die Räuber kommen. Ein abenteuerliches Spiel- und Sachbuch, mit Illustrationen von Markus Grolik. Kinderbuchverlag, Luzern 1999, 64 S., DM 24,80