Wetterleuchten im Untergrund

You don't need a weatherman to know which way the wind blows: Ron Jacobs rekonstruiert die kurze Geschichte einer weißen US-amerikanischen Guerilla.

Die USA der ausgehenden Sechziger, das waren bunt bemalte junge Frauen und Männer, Freaks mit elendig langen Mähnen und Bärten, Blumen im Haar, den Joint in der Hand: Sex, Drugs und ein wenig Rock'n'Roll. Dafür Woodstock: Eine halbe Million auf Pilgerfahrt in eine andere Gesellschaft: Schlamm, nackte Körper, Trips, Jimi Hendrix. Und Janis Joplins "Freedom's just another word for nothing left to lose".

Bob Dylan nicht, kein "Blowing in the Wind": Er hatte schon damals ein besser bezahltes Arrangement. Zum Namensgeber taugte eins seiner Stücke trotzdem noch. "You don't need a weatherman to know which way the wind blows", hatte er gesungen. "Weathermen", später "Weather Underground" wurde sie fortan genannt, die wohl erste von weißen Linken organisierte bewaffnete Gruppe in den Vereinigten Staaten.

Wer beim Weather Underground eintauchen wollte, musste sich einer etwas außergewöhnlichen Prozedur unterziehen: Um Polizeispitzel abzuwehren, luden die Militanten zunächst zum gemeinsamen Treffen, auf dem LSD-Trips verteilt wurden. Unter dem Einfluss der Droge, so meinten die Linksradikalen, könne sich niemand verstellen. Nahe liegend also, dass zu den spektakulärsten Aktionen der Weathermen die Befreiung Timothy Learys im Februar 1970 zählt.

Der Lysergsäuren-Prophet war begeistert: "Sie verstecken sich nicht, sie sind unsichtbar." Und sie sind überall, "wo junge Leute sich lieben, Dope rauchen und sich auf die Zukunft vorbereiten". Die Message war eindeutig: Die Weathermen wollten die subkulturelle Szene anturnen - und radikalisieren.

Denn die USA der ausgehenden Sechziger, das war auch die amerikanische Niederlage nach der Tet-Offensive des Vietcong, das waren die Black Panthers, die Aufstände der Schwarzen und Latinos in den afro-amerikanischen Ghettos. Und Chicago, the days of rage - die Tage des Zorns: "See you on the barricades!" Vor allem darauf hatte man gesetzt: Noch als legale Organisation, die damals gerade mit Teilen des RYM, des Revolutionary Youth Movement, die Führung im US-amerikanischen SDS (Students for a Democratic Society) übernommen hatten, mobilisierten die Weathermen für den Oktober 1969 nach Chicago.

Alles sprach dafür: Woodstock war gerade gelaufen, die Cops hatten Genossen der Black Panthers verhaftet und damit den Hass der Yippies und Hippies, der Schwarzen und Weißen auf sich gezogen. Und schließlich hatten im Jahr zuvor auchTausende den Weg nach "pig city" gefunden, um gegen den Parteitag der Demokraten zu demonstrieren. Fünf Tage lang lieferten sich über 5 000 Yippies und andere Linke Straßenschlachten mit der Polizei. Daran wollte man anknüpfen: "Bring the war home!"

Doch die Sache wurde zum Flop: Zu wenige waren gekommen, zu viele wurden schwer verletzt oder verhaftet. Offenbar hatte die teilweise dogmatische Haltung der Militanten die ohnehin geschwächte Bewegung abgehalten. Weather-Mitgründerin Bernardine Dohrn konnte das nicht beirren, zumal sich die Linksradikalen schon damals für den bewaffneten Untergrund entschieden hatten: "Wir waren davon überzeugt, dass mit der Aktion klar würde, mit welcher Leidenschaft wir uns engagieren und auf wessen Seite wir standen."

Die richtige Seite hatten die Weathermen schnell ausgemacht: Nicht die Arbeiterklasse, der Liebling marxistisch-leninistischer und maoistischer Guppen, sondern die rebellische Kraft der Jugend und der Gegenkultur sollte in eine revolutionäre, antiimperialistische Bewegung transformiert werden. Schließlich galten dem SDS und vor allem den Weathermen "weiße Arbeiter in den USA als bereitwillige Unterstützer der interventionistischen und rassistischen Politik der Regierung". Andere aus dem SDS, wie etwa Progressive Labour, setzten ihre Hoffnung doch auf die US-Proleten und warfen Weather und den Black Panthers schwarzen Nationalismus vor.

Das erinnert an Debatten, die heute in den verbliebenen Zirkeln der deutschen Linksradikalen geführt werden - und die, wie so viele US-amerikanische Diskussionen, die Ron Jacobs in seinem Buch "Woher der Wind weht" rekapituliert, hierzulande erst Jahre später aufgegriffen wurden. Allein das macht die Sache spannend. Nahe liegend also, dass gerade der ID-Verlag, mittlerweile zum Facharchiv für militante und bewaffnete Metropolen-Bewegungen avanciert, das 1997 in den USA erschienene Buch ins Deutsche übersetzt und herausgegeben hat. Nach ihren Wälzern zur RAF, zu den RZ/Rote Zora und den italienischen Roten Brigaden haben die Berliner Verleger den Blick über den Atlantik geworfen. Dorthin eben, wo viele linke und akademische Analysen über Sexismus, Rassismus und auch Nationalismus ihren Anfang nahmen.

So führt etwa die Weather-Position zu den Black Panthers - "Schwarze" müssten sich von Weißen "getrennt organisieren und ihre Aktionen allein bestimmen" - direkt hin zur Argumentation der in der deutschen autonomen Szene Anfang der Neunziger hochgehaltenen "3:1"-Analyse der Triple Oppression. Und nicht zufällig waren es die Frauen vom Weather-Underground - wie sich die Organisation nach einigen Debatten über ihre patriarchal geprägten Strukturen nannte -, die sich bereits 1970 als eigenständige Gruppe in Solidarität mit der schwarzen Aktivistin Angela Davis zu Wort meldeten. Fünf Jahre, bevor in Deutschland erstmals militante Frauen der RZ von sich hören ließen, hatten die Weatherwomen im Kriegsforschungsinstitut der Harvard Universität bereits eine Bombe hochgehen lassen.

Prärie-Feuer: Knapp 20 Aktionen zwischen 1969 und 1974 verbuchen die Militanten in ihrer Erklärung "Prairie Fire: The Politics of Revolutionary Antiimperialism" auf ihr Konto. Darunter Anschläge auf mehrere Gerichtsgebäude, das Capitol und - nach der US-amerikanischen Bombardierung Hanois - auf das Pentagon. Weitere Anschläge auf Regierungseinrichtungen folgten 1975. Wie viele Menschen in diesen Jahren tatsächlich im Weather-Underground organisiert waren, erfährt man nicht. Die Zahlen bleiben vage, irgendwo zwischen hundert und mehreren Hundert.

Mit ehemaligen Aktivisten hat Ron Jacobs offenbar nicht gesprochen. Nur folgerichtig, dass sich der Autor, wenn es um das Innenleben der Gruppe geht, mit Vermutungen behelfen muss. Man merkt: Im Gegensatz zu den zahlreichen Autobiografien Ex-Militanter, die in den vergangenen Jahren veröffentlicht wurden, steht Jacobs außerhalb, ist zwar Sympathisant, sodass manchmal die Distanz fehlt, aber er kennt den Weather-Underground doch nur vom Hören-Sagen. Er steckte noch in der Pubertät, als die Gruppe bereits ihre größte Krise vor sich hatte.

1974: Changing Weather. Die selbstkritische Prairie-Fire-Erklärung sollte den Weather-Underground zu neuen Ufern führen. Schließlich war die "sich notorisch und naiv 'antikommerziell' gerierende Gegenkultur" der USA (Diedrich Diederichsen) längst vom Markt absorbiert worden und konnte ihre Attraktivität für neue Generationen nicht mehr aufrecht erhalten. Galten einst die rebellischen Jugendlichen als "die einzigen nicht rassistischen Weißen der USA", so kritisierte nun auch der Weather Underground den unkritischen Umgang mit dieser Jugendkultur: "Wir begrenzten unseren Blick auf die Komplizenschaft der Weißen mit der herrschenden Klasse, ihr Schweigen im Angesicht des wachsenden Terrors und des offenen Mordes an schwarzen Revolutionären."

Plötzlich gerieten voluntaristische Phrasen ins Zentrum ihrer Ideologie, gegen die die Gruppe früher noch ins Feld gezogen war: die Identifikation mit dem US-amerikanischen Volk. "Wer das Volk nicht auf den Kampf vorbereitet, täuscht sich und andere darüber, wie schwer die Kämpfe sein werden, die uns bevorstehen." Das Volk aber wollte sich nicht so richtig auf bevorstehende Kämpfe vorbereiten lassen. Der Weather-Underground spaltete sich, wie auch die meisten deutschen Organisationen in den siebziger Jahren, bis zur Bedeutungslosigkeit.

Einige Aktivisten und Aktivistinnen wurden durch Geheimdienst-Operationen verhaftet, andere verschwanden im Sumpf der subkulturellen Bewegung. Übrigens: Die Sache mit den Trips war doch nicht so sicher, wie sich die Weathermen und -women erhofft hatten. Dem Polizeispitzel Larry Grathwohl, war es gelungen, die LSD-Einnahme vorzutäuschen und sich so der Gruppe anzuschließen. Später diente er dann den Terrorfahndern als wichtiger Informant, um den Weather Underground aufzumischen.

Ron Jacobs: Woher der Wind weht. Eine Geschichte des Weather Underground. Aus dem Englischen von Hans Kittel. ID-Verlag, Berlin 1999, 192 S., DM 28