Lausige Lausitz

Wo immer die Linken vom antirassistischen Camp in der sächsischen Grenzregion auftauchen, erwünscht sind sie nicht. Momentaufnahmen aus Zittau
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Sonntag morgen: Das Grenzcamp lagert vorübergehend auf einem ehemaligen NVA-Gelände. "Verkehrssicherheit - Oberstes Gebot eines jeden Militärkraftfahrers". Auf den Garagen prangen in riesigen schwarzen Lettern immer noch gut lesbar die Lehrsprüche für die Soldaten, die früher hier übten. Auf den Betonplatten stehen bunte Bauwagen, zwei Esel gucken sich an, Hippies machen ein Lagerfeuer, bei der "Wendland-Volxküche" wird veganes Essen angeboten.

Entlang des Zaunes, dort, wo es grün ist, quetschen sich rund 300 Leute mit ihren Zelten: Autonome, Antifas, Leute aus Flüchtlingsinitiativen, Freaks und Antiimps. Dies ist kein Platz für ein Aktionscamp, kein Platz, um die notwendige Infrastruktur aufzubauen, in Ruhe inhaltlich zu diskutieren und Aktionen vorzubereiten. Und vor allem kein Platz für weitere TeilnehmerInnen, die noch zu Hunderten erwartet werden. Eine Woche lang will man hier bei Zittau bleiben, um, so die Kampagne kein mensch ist illegal, den Alltag an der Grenze zu stören und "linke Gruppen vor Ort, die gegen rassistische Propaganda vorgehen", zu unterstützen. Bereits am vergangenen Freitag sind die ersten angereist.

Doch hier, auf dem NVA-Gelände, will niemand länger ausharren. Ein neues Gelände muß her! Diejenigen, die schon im letzten Jahr an dem Grenzcamp bei Rothenburg an der polnischen Grenze teilgenommen haben, denken voller Wehmut an die schöne Wiese mitten im Grünen zurück. Aber auch um jenen Platz gab es seinerzeit Ärger. Wo immer die Linken in der sächsischen Grenzregion auftauchen - erwünscht sind sie nicht.

Dieses Jahr hatte es im Vorfeld so ausgesehen, als könne das seit langem vorbereitete Camp gar nicht stattfinden. Geplant war es nicht in Zittau, sondern in Lückendorf, einem 550-Einwohner-Nest an der Grenze zur tschechischen Republik. Sorgen bereiteten den OrganisatorInnen der Kampagne kein mensch ist illegal dabei weniger die Gewaltdrohungen von Nazis gegen TeilnehmerInnen und Platzvermieter als vielmehr eine fehlende Ausnahmegenehmigung des Landrats, die in der als Landschaftsschutzgebiet ausgewiesenen Grenzregion das Zelten erlauben muß.

Solche Ausnahmegenehmigungen werden in Brandenburg zum Beispiel ständig erteilt. Und welchen Stellenwert die Auszeichnung als Landschaftsschutzgebiet hat, sieht man schon daran, daß sogar das AKW Brokdorf in solch einem Gebiet steht. Kein Wunder, daß die VeranstalterInnen und ihr Rechtsanwalt Ulrich von Klinggräff hinter den ökologischen Bedenken des Landratsamtes politische Motive vermuten. Schließlich war die Stimmung in Lückendorf bereits Wochen vorher vergiftet. Der Wiesenverpachter berichtet, daß ihn im Ort niemand mehr grüße, beim Festumzug letzte Woche wollte niemand auf seinem Wagen mitfahren. Die NPD überschüttete Lückendorf mit Flugblättern: "Linke Chaoten kommen!"

Obwohl die sächsische Regierung und auch die Gemeindevertretung seit Monaten von dem Camp-Plänen wußten, obwohl es bereits Verträge mit Wasserwerken und anderen Versorgern gab, hätten die Behörden nie den Kompromiß mit den VeranstalterInnen gesucht, klagt von Klinggräff. Entgegen allen Gepflogenheiten habe man weder über Umweltauflagen gesprochen noch ein öffentliches Ersatzgelände angeboten. Die juristischen Schritte des Anwalts blieben wirkungslos, ebenso wie politische Interventionen von Bundespolitikerinnen wie der Ausländerbeauftragten Marieluise Beck (Grüne) und der PDS-Bundestagsabgeordneten Angela Marquardt.

Auch die Suche nach einem Ersatzgelände verlief ergebnislos. Die VeranstalterInnen riefen dazu auf, trotz aller Unklarheiten nach Lückendorf zu kommen. Die Wiese war schließlich rechtmäßig gepachtet, und der Zeltgenehmigung sollte durch den Druck des Faktischen auf die Sprünge geholfen werden. Doch auch der Mietvertrag für das Gelände wurde kurzfristig gekündigt. Bevor die OrganisatorInnen aus verschiedenen deutschen Städten am Freitag in ihre Autos stiegen, um nach Lückendorf zu fahren kündigten sie frustriert die Verträge für Wasserversorgung, Toiletten und Bierzelte.

Als am selben Abend Menschen versuchten, auf die Wiese vorzudringen, hielt sie die Polizei auf. Auf einem benachbarten Parkplatz harrte man dann der Dinge. Die Camp-OrganisatorInnen verhandelten mit der Gemeinde, im Hintergrund wirkte das Innenministerium. Die PDS-Landtagsabgeordnete Cornelia Ernst und die Zittauer PDS-Direktkandidatin für die Landtagswahlen, Juliane Wünsche, versuchten zu vermitteln. Schließlich bot der Leiter des Ordnungsamtes das ehemalige NVA-Gelände am südlichen Stadtrand von Zittau als Übergangslösung an. Kurzfristige Überlegungen, den Platz für die ganze Woche zu besetzen, wurden nach Inaugenscheinnahme schnell verworfen.

Sonntag mittag: Das inzwischen auf rund 500 TeilnehmerInnen angewachsene Camp packt alles komplett zusammen und zieht auf ein anderes Grundstück, eine Wiese im Norden von Zittau. Nicht schön, aber immerhin Platz genug, um die großen Veranstaltungszelte aufzubauen. Direkt an einer Bundesstraße gelegen, bietet das Gelände aber auch Angriffsflächen. Am Abend schießen Nazis mit einer Luftdruckwaffe auf parkende Autos. Ärger ist programmiert, nicht nur mit Rechtsradikalen. "Wir wollen nicht die Zeit damit verbringen, uns mit Behörden und Polizei um einen Platz zu streiten. Wir sind hier, um das Grenzregime, die rassistische Flüchtlingspolitik zu thematisieren", beklagt eine der Veranstalterinnen gegenüber Jungle World.

Immerhin: Am Montag gibt es einen Pachtvertrag. Es könnte Ruhe einkehren. Endlich. Denn bislang behindert die Diskussion um den Platz und der Umzug am Sonntag den Start des Camp-Programms. Eine Veranstaltung der Beute-Redaktion mußte bereits ausfallen. Am Samstag gibt es immerhin schon einmal eine hier "Move" genannte Demonstration durch Zittau zur polnischen Grenze. Die Zittauer Bevölkerung, durch zahlreiche Zeitungsberichte in den Lokalmedien auf das Ereignis vorbereitet, sieht sich das Geschehen skeptisch von weitem an.

Eine Camp-Zeitung mit Hintergrundartikeln zum Grenzregime, zum Schengen-Abkommen und zur örtlichen Naziszene wird verteilt. Ob das Blatt die Bevölkerung allerdings überzeugen wird, darf bezweifelt werden. Auch das Konzert von Hamburger Rockstars aus verschiedenen berühmten und weniger berühmten Bands, die alle inkognito auftraten, lockt die Bürgerinnen und Bürger am Samstag nicht auf den Zittauer Marktplatz.

Aber wer hatte das auch erwartet? Das Verhältnis zur einheimischen Bevölkerung ist eine der spannendsten Fragen dieser Aktion. Einerseits ist Ziel, ein Stück Gegenkultur in die Region zu transportieren. Aber für wen? Ist die Bevölkerung vor allem Zielgruppe für Aufklärung, oder gehört sie ohnehin auf die andere Seite, weil sie zum überwiegenden Teil aus rassistischen Denunzianten besteht? Wer will wie die BürgerInnen dort "abholen", wo sie stehen? - Wenn man nicht mehr glaubt, mit Demonstrationen jemanden erreichen zu können? Wenn man aber auf der anderen Seite Gebiete wie den Landkreis Zittau-Löbau nicht einfach den Nazis und Rassisten und dem BGS überlassen möchte?

"Wir wollen die wenigen ansprechen, die anders denken, die sich solidarisch gegenüber Flüchtlingen verhalten, die sich vielleicht sogar vorstellen können, aktiv Fluchthilfe zu leisten", erläutert Maria Woelker aus der Veranstaltungsgruppe das Konzept. Darüber hinaus geht es den Camp-TeilnehmerInnen vor allem darum, den alltäglichen Grenzterror gegen Flüchtlinge zu stören.

Ob dieser Konsens allerdings bis zum Ende des Camps ausreicht, ist fraglich. Der Kreis der Campbeteiligten hat sich im Vergleich zum vergangenen Jahr erweitert: Neben jungen ostdeutschen Antifas, westdeutschen Altautonomen und Menschen aus der Flüchtlingsarbeit, sind auch Antinationale und vor allem jede Menge zottelhaariger Wagenplatzhippies beteiligt - und das dürfte politisch nicht gerade nahe beieinander liegen. Schon am Sonntag zeichnete sich ab, daß für den hedonistischeren Teil der TeilnehmerInnen der See im tschechischen Grenzland und das Szegediner Gulasch eine Alternative zur Tofu-Vokü darstellt.

Wie sich das Camp entwickelt, kann täglich online in der im Camp erstellten Web-Zeitung nachgelesen werden: www.nadir.org