»Jede Veränderung ist besser als der Status quo«

Interview mit Abgeordneten Vesna Pesic von der Bürgerallianz Serbien

Zoran Djindjic erwartet einen Rücktritt Milosevics binnen der nächsten zehn Tage und außerdem seine Flucht nach China. Ist das realistisch oder bloß optimistisch?

Das klingt wirklich ein wenig zu optimistisch. Es ist schon richtig, daß sich die Leute nun gegen Milosevic wenden und es daher auch der richtige Zeitpunkt für die Opposition ist, das zu instrumentalisieren und seinen Rücktritt zu verlangen. Gleichzeitig aber hat die Opposition ein großes Problem: Sie findet die Tür nicht, durch die sie Slobodan Milosevic aus dem Amt werfen könnte. Außerdem gibt es in seiner nächsten Umgebung niemanden, der vielleicht dazu beitragen könnte, Milosevic zu entmachten.

Stören die Demonstrationen einiger Tausend Menschen in der Provinz tatsächlich Milosevic oder besteht da eigentlich keine Gefahr für sein Regime?

Natürlich stören diese Demonstrationen ihn. Er hat wirklich keinen Grund, sich darüber zu amüsieren. Besonders bedrohlich für ihn sind jene Demonstrationen, die in der Provinz einfach von der örtlichen Bevölkerung organisiert wurden und nicht von der Belgrader Opposition. Denken Sie etwa an die Demonstrationen in Leskovac: Diese Stadt ist eine Hochburg der Milosevic-Sozialisten, und die Einwohner begehren dagegen auf. Darauf sollte man in Zukunft setzen.

Welche Rolle spielen da organisierte Oppositionelle wie Djindjic oder etwas opportunistische Machtpolitiker wie Vuk Draskovic?

Es ist ein Klischee und eine längst überholte Denkweise, der Opposition zuzutrauen, die Verhältnisse nachhaltig zu verändern. Wir sollten auch auf jene setzen, die vielleicht in anderen politischen Parteien sind, und natürlich an die Basis: die Bevölkerung Serbiens. In Zukunft wird wohl auch eine andere Gruppe einen großen Einfluß haben: die Politiker rund um Milosevic. Seine Minister und seine Parteifunktionäre. Die beginnen nun schon Fragen nach ihrer eigenen Zukunft zu stellen. Wenn sie ehrlich sind, müssen sie erkennen, daß es keine Zukunft für sie gibt, wenn sie weiterhin Milosevic unterstützen. Er wurde schwerer Kriegsverbrechen angeklagt, die Situation in Serbien ist einfach grauenhaft, das Kosovo ist für Jugoslawien endgültig verloren. Welche Zukunft soll es also für diese Leute geben? Einige der engsten Vertrauten von Milosevic beginnen schon Kontakte zur Opposition aufzunehmen, um einfach sich selbst zu retten.

Was wird mit Vuk Draskovic geschehen?

Der Mann befindet sich in einer schizophrenen Situation. Er unterstützt noch immer Milosevic, andererseits gibt er sich pro-westlich. Kurz gesagt: Er ist komplett korrumpiert. Auch mit Djindjic ist das so eine Sache. Man sollte ihm nicht bedingungslos vertrauen. Aber natürlich stehe ich eher auf der Seite von Zoran Djindjic als auf der von Draskovic.

Als das Oppositionsbündnis Zajedno, zu dessen Führungsgarnitur Sie ja auch gehörten, im Winter 1996/97 zu Massendemonstrationen aufrief, dachte auch die halbe Welt, Milosevics Tage seien gezählt. Das waren sie ja offensichtlich nicht.

Das ist aber nur passiert, weil einer von uns dreien vom Regime gekauft wurde. Und das war Vuk Draskovic. Dadurch wurde auch der Nationalismus in Serbien stärker. Heute ist die Situation schwieriger denn je.

Glauben Sie, daß Zoran Djindjic eine realistische Alternative zu Milosevic ist?

Nun ja, das ist eher unwahrscheinlich. Irgendwie hat auch er etwas von diesem typischen politischen Virus in diesem Land abbekommen: Er ändert seine Meinung ständig. Je nachdem, was gerade besser für seine Absichten ist. Aber solange man sich ändert, um die Situation zu verbessern, ist dagegen nichts einzuwenden.

Hat der Nationalismus durch den Verlust des Kosovo nun mehr Chancen?

Es gibt für Serbien drei Szenarien: Das erste ist die Möglichkeit einer weiteren Saddamisierung. Das heißt, die Isolation des Landes könnte fortschreiten und Milosevic wird in seiner Position bleiben. Das bedeutet auch ein erhöhtes Risiko für einen weiteren Krieg.

Die zweite Möglichkeit wäre die Herausbildung des russischen Modells. Rußland wird von einer total korrumpierten Oligarchie regiert. Dieses russische Modell könnte sich entfalten, wenn die Opposition unter Vuk Draskovic an die Macht käme. Genauso aber könnte die weitere Regentschaft Milosevics dazu führen.

Die dritte Möglichkeit aber ist die Machtübernahme durch wirkliche Demokraten. Wenn Sie mich nun fragen, welches Szenario wohl eintreten wird, so glaube ich, daß wir uns wohl immer mehr dem russischem Modell nähern. Da werden die sogenannten Demokraten durch die westlichen Staatskanzleien touren und überall Geld erbetteln, um Milosevic loszuwerden. Der Westen wird das begrüßen.

Wahrscheinlich also werden wir in der nächsten Zukunft nicht zu einer echten Demokratie werden. Aber um ehrlich zu sein, muß ich Ihnen - so fatalistisch das klingt - sagen: Jede Veränderung ist momentan besser als der Status quo. Nur der Ultra-Nationalist Seselj könnte es schaffen, die Situation Jugoslawiens weiter zu verschlechtern.

Wie wichtig ist der künftige Status des Kosovo für den politischen Umbruch in Serbien?

Ich glaube, darüber sollten wir uns wirklich keine Gedanken machen. Die Nato entscheidet über den künftigen Status der Provinz und dieses Protektorat wird sicherlich noch die nächsten drei bis fünf Jahre fortbestehen. Daher ist es auch nicht die politische Trumpfkarte, die eine der Seiten jetzt ausspielen könnte.

Momentan ist ja die reine Anarchie im Kosovo ausgebrochen. Die Kfor weiß überhaupt nicht, wie sie das Problem bewältigen soll, und andererseits ist sie viel zu nachgiebig gegenüber der UCK. Die Nato und die UCK sind eine Allianz eingegangen. Es sind Freunde, die gemeinsam die Anarchie verwalten.

Der Westen hat angekündigt, Serbien keinerlei finanzielle Hilfe zuteil werden zu lassen, solange Milosevic an der Macht ist. Hilft das der Opposition?

Das ist wirklich Unsinn. Da machen die einen Stabilitätspakt und helfen genau jenem Land nicht, das am instabilsten ist. Da wird jedem Land geholfen. Das ist gut so. Aber eigentlich müßte der Westen langsam erkannt haben, daß der Balkan nur deshalb so ins Wanken geraten ist, weil Serbien der Kern jeder Instabilität ist. Das ist alles sehr paradox.