Walser und das Mahnmal

Der Traum von Treptow

Also, noch einmal von vorn. Wie war das gleich? Martin Walser hat in Treptow bei Berlin (FAZ) auf einer Veranstaltung der Organisation Lebensraum (Welt) die Berliner zu Protesten gegen das Holocaust-Mahnmal aufgerufen (Tagesspiegel)?

Naja, so ungefähr. Allerdings wurde Treptow, das wußte die taz, schon 1920 in Berlin eingemeindet, während die Organisation Lebensraum, das wußten alle außer der Welt, keine Nachfolgerin der Organisation Todt ist und auch keine Siedlungsgebiete im Osten erkämpfen will, sondern sich ganz unschuldig "Lebensbaum e.V." nennt.

Und Walser, das wußte nur er selbst, hat niemanden ermuntert, sich öffentlich zu empören, sondern bloß einen bescheidenen Gedanken ausgesprochen. Proteste und Massendemonstrationen waren eine bösartige Erfindung des Journalisten Harald Martenstein vom Tagesspiegel.

Um richtigzustellen, was Sache war, druckte die FAZ ein wunderschönes Porträtfoto mit der Unterschrift: "Der melancholisch unbestechliche Blick: Martin Walser". Und dazu eine Erklärung des Dichters selbst: Er habe auf besagter Podiumsdiskussion lediglich seine Kritik am Mahnmal als "Kranzabwurfstelle" und "fußballfeldgroßem Albtraum" wiederholt.

Neu sei allein der Vorschlag gewesen, nicht der Bundestag solle entscheiden, sondern diejenigen, die mit dem Unding leben müssen bzw. eben nicht leben wollen und deshalb auch nicht müssen sollten: die Berliner. "Und dann habe ich hinzugefügt, jetzt sei doch eine Wahl."

Kein Wort also von Volkszorn und Widerstand. Was der Tagesspiegel aus seinem Treptower Beitrag gemacht habe, sei "Berichterstattung im Stürmer-Stil". Damit wollte Walser aber nicht unsere historische Schande für seine gegenwärtigen Zwecke instrumentalisieren, sondern bloß einen anderen Diskussionsteilnehmer zitieren: "So hat er sich mir gegenüber ausgedrückt."

Der Tagesspiegel verteidigte sich, er habe Walsers Aussagen allenfalls ein wenig zugespitzt. Die Berliner Zeitung sprang ihm bei: Natürlich habe "der Jounalist das Recht zu schreiben, was er verstanden zu haben meint". FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher nahm den Vorfall zum Anlaß, eine feinmechanische Ethik des Feuilletons zu extemporieren. "Feinmechanisch betrachtet", verhalte es sich so: "Zuspitzen, das war bisher ein Vorgang des Sprechens, nichts des Zuhörens." Der zweizöllige performative Zuspitzer, heißt das, gehört in die Werkzeugtasche des Journalisten, der einzöllige rezeptive Zuspitzer nicht.

Aber manchmal, nein: andauernd muß man den Leuten erklären, was sie gesagt haben, denn sie wissen nicht, was sie immer so daherreden, wenn der Tag lang ist. Wer die Berliner bei der kommenden Parlamentswahl zugleich übers Mahnmal entscheiden lassen will, macht den Holocaust zum Wahlkampfthema. Die "Republikaner" würden Rudolf Augstein einspannen, und er würde das Weltjudentum davor warnen, uns ein steinernes Schandmal aufzuzwingen. Die SPD propagierte Richard Schröders glänzende Idee, eine Gedenktafel mit der Inschrift "Nicht töten (wenn es nicht unbedingt sein muß)!" tue es doch auch.

Und für die CDU spräche, wie bei der Europawahl, der Souverän selbst: "Fußballfeldjroßa Alptraum? Hammwa doch schon: Für det Olümpjastadion ze renawiern hat die SPD keen Jeld, aba jetz will se dieset Holojramm baun. Nee, da sare ick mit Ebahaat Diepken: Ballin daaf nich die Haupstadt der Schande wern!"