Comeback des Gastarbeiters

... im Zeitalter der Globalisierung: Ankommen, anpacken und anpassen auf dem Arbeitsmarkt. Immigration und Integration von Ausländern in Deutschland und in den USA

Die Reform des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts wird überall - außer bei der völkisch-nationalen Rechten - als Schritt Deutschlands ins 21. Jahrhundert, als Abschied vom völkischen Nationenverständnis, mindestens aber als "überfällige Modernisierung" gefeiert. Allerdings wird dieser Rede über die "Jahrhundertreform" sofort die Mahnung hinterhergeschickt, nun müßten aber auch die MigrantInnen ihren Integrationswillen unter Beweis stellen, die Werte der deutschen Gesellschaft akzeptieren und endlich zu ordentlichen Leistungsbürgern werden - zu Musterdeutschen eben, wie es das neue Staatsangehörigkeitsgesetz mit seinen Einbürgerungsbestimmungen vorsieht. Verfassungs- und gesetzestreu, leistungsbereit und unabhängig von staatlicher Unterstützung muß sein, wer Deutscher werden will.

Eine dreitägige Konferenz der American Academy in der vergangenen Woche in Berlin, auf der Wissenschaftler und Politiker unter dem Motto "Jenseits der Staatsbürgerschaft" über Immigration und Integration von Ausländern in Deutschland und in den USA diskutierten, zeigte einige Hintergründe dieser Entwicklung auf. Die Tatsache, daß Migration heute vielfältigere Formen annimmt, als das klassische Einwanderungmodell es vorsieht, war Ausgangspunkt der Konferenz.

Kurzzeitige Migration, Re-Migration, Wanderungen mit Aufenthalten in verschiedenen Staaten einerseits stehen andererseits steigende Anforderungen der kapitalistischen Ökonomie hinsichtlich Ausbildung und Mobilität und eine Ausdifferenzierung der staatlichen Politik gegenüber verschiedenen Gruppen von MigrantInnen gegenüber. Der Nationalstaat bemüht sich nicht mehr darum, die Bevölkerung durch die Staatsbürgerschaft zu homogenisieren und mit gleichen staatsbürgerlichen Rechten auszustatten, sondern tritt zunehmend als Selektionsmaschine für die Ökonomie auf.

Während die Einwanderungspolitik der USA unter dem Druck von Globalisierung, Überalterung der Gesellschaft und Erschließung neuer Konsumenten innerhalb einer expansiven Ökonomie seit Mitte der achtziger Jahre MigrantInnen explizit zum Erwerb der Staatsbürgerschaft ermutigt, wie der ehemalige Stadtentwicklungsminister Henry Cisneros (USA) ausführte, hält die Bundesrepublik nach wie vor am überholten Konzept des "Nichteinwanderungslandes Deutschland" fest. "Integration vor Immigration" bleibt Grundlage der deutschen Politik, betonte Innenminister Otto Schily in seinem Eröffnungsvortrag. "Wie in Zukunft Zuwanderung gesteuert und begrenzt werden kann, ist eine offene Streitfrage", so moderat umschrieb der Innenminister, wohl mit Rücksicht auf den akademischen Rahmen, sein ideologisches Konzept der Nullzuwanderung.

Deutschland müsse die Zuwanderung von außerhalb der EU noch stärker begrenzen. Gegen ein Zuwanderungsgesetz habe er prinzipiell nichts einzuwenden, allerdings sei dies zur Zeit das falsche Signal, da die Zuwanderung insgesamt schon zu hoch sei, um die Integration in die Gesellschaft gewährleisten zu können. Auch beim politischen Asyl möchte er alles so lassen, wie es ist, bei den Flüchtlingen soll auf eine "Lastenverteilung" innerhalb der EU gedrängt werden. Integration sei keine Einbahnstraße, rechtfertigte Schily die verschärften Einbürgerungsvoraussetzungen nach der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts, man erwarte allerdings nicht mehr eine Assimilation an den "Mythos des homogenen Volkes", sondern an die Rechtsgemeinschaft. Diese Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts werde das deutsche Staatsverständnis verändern.

Die USA dagegen wählen vom Billigsaisonarbeiter aus Mexiko bis zum Computerspezialisten aus Indien die Einwanderer aus, die die Ökonomie benötigt. "Wir stellen uns die Frage: Wen brauchen die Vereinigten Staaten?" erklärte Cisneros, der insgesamt ein idealisiertes Bild der Einwanderung in die USA zeichnete. Die African-American Culture gelte bereits heute als die authentischste Kultur des Landes, den Latinos, die derzeit die größte Einwanderergruppe stellen, stehe diese Anerkennung in den nächsten Jahrzehnten bevor. Sie werden als größte ethnische Minderheit die African-Americans im Jahr 2005 überholen, der weiße Bevölkerungsanteil der USA wird bis zum Jahr 2050 von heute 72 Prozent der Bevölkerung auf 50 Prozent zurückgehen.

Integrations-Probleme sieht Cisneros langfristig nicht: Der Prozeß der Ghettoisierung werde gegenwärtig ausgebremst, die Einwanderer produzierten insgesamt mehr neue Jobs, als sie bestehende Arbeitsplätze beanspruchten, ihre Einkommen würden sich bis ins Jahr 2030 verdreifachen.

Diese euphemistische Darstellung wurde von Saskia Sassen, Migrationsforscherin an der Chicago University, kritisiert. Die USA hätten im Rahmen der Nafta zwar die Freiheit für das Kapital, nicht aber die Freizügigkeit für die Menschen durchgesetzt, so Sassen. Integration sei in Zeiten der Globalisierung mehr und mehr abhängig von der Ökonomie.

Die multinationalen Konzerne, aber auch Institutionen, wie z.B. die Universitäten, stellten zunehmend eigenständig Instrumente zur Kontrolle und Regulierung der gut ausgebildeten und hochbezahlten Arbeitskraft dar. Auf der anderen Seite stehen staatliche Kontrollregimes für Billig- und Gelegenheitsarbeit. Hier versuchten die USA und andere Staaten, die geforderte Flexibilität und Mobilität der Wanderarbeitnehmer durch die Politik zu institutionalisieren, ohne sich um Bürgerrechte zu scheren: "Alles wird temporär: die Arbeit, die Migration, der Schutz."

Was der Staat von den MigrantInnen fordert, ist die segmentierte Assimilation: Sie müssen sich nicht mehr an eine imaginäre nationale Gemeinschaft anpassen, sondern in einigen Teilbereichen, besonders auf dem Arbeitsmarkt, so funktionieren, wie es die jeweiligen Bedingungen vorsehen.

Zwar verfügen die USA über ein liberales Einbürgerungs- und Staatsbürgerschaftsrecht, seit der Welfare- Reform sind aber alle MigrantInnen, die nach 1996 in die USA einwandern, von den wichtigsten Sozialprogrammen ausgeschlossen. Food Stamps, Einkommensunterstützung, medizinische Versorgung, Familienunterstützung erhalten, wenn überhaupt, nur Staatsbürger. Dies bedeutet einen fundamentalen Wandel in der Immigrationspolitik der USA, wo Einwanderer bisher mit Staatsbürgern sozialrechtlich gleichgestellt waren. Vierzig Prozent der gesamten Einsparungen durch die Welfare-Reform betreffen MigrantInnen. Die Einbürgerungsraten haben seitdem massiv zugenommen. Die Mittel für den Bau von Grenzsicherungsanlagen an der Grenze zu Mexiko und für die border patrol wurden dagegen verdoppelt.

Die Leiterin des Landeszentrums für Zuwanderung Nordrhein-Westfalen, Lale Akgün, wandte sich entschieden gegen eine neoliberale Einwanderungspolitik, die sich auch in Deutschland bemerkbar macht. "Einwanderer kommen nicht, um uns zu bereichern, sie kommen aber auch nicht, um uns zu belasten." Akgün forderte die Schaffung eines Integrationsgesetzes, um die jahrzehntelange Simulation von Eingliederung zu beenden. Das Ziel der "vollen sozialen Gleichheit im öffentlichen Leben, die Freiheit zur Differenz im privaten Bereich und die Chance der Teilnahme im politischen Bereich" sei die einzige demokratische Zielperspektive, die es ermögliche, endlich eine Gleichberechtigung für MigrantInnen in Deutschland zu schaffen.

Klaus Bade vom Institut für Migrationsforschung und interkulturelle Studien der Universität Osnabrück sowie der Mitveranstalter der Tagung, Rainer Münz (Humboldt-Universität), unterstützten diese Forderung. Eine fundamentale Änderung des Ausländerrechts, das immer noch eine klare Trennung zwischen Deutschen und Ausländern beinhalte, sei notwendig. Deutschland könne von den USA, aber auch von Italien und Frankreich lernen, daß es notwendig ist, "illegale" Einwanderer und "Overstayers" zu legalisieren.

Die Unterscheidung zwischen "deutschstämmigen Aussiedlern" und "Ausländern" müsse aufgegeben werden, beide Gruppen seien sozial marginalisiert, beide Gruppen benötigten Eingliederungshilfen. Obgleich die politische Haltung vieler Aussiedler, die oftmals einer Blut-und Boden-Ideologie anhingen und antisemitisch und rassistisch eingestellt seien, problematischer sei als die der Ausländer, werde hier auf einen Gesinnungscheck verzichtet, da diese auch weiterhin als "deutsch" gelten.

Integration zum Nulltarif ist die Leitvorstellung der deutschen Politik, auch in ihrer rot-grünen Version: Ausländer sollen "uns" multikulturell bereichern, sie sollen unser Rentensystem retten und der Vergreisung der Gesellschaft entgegenwirken, sich ansonsten damit zufriedengeben, die Lücken auf dem Arbeitsmarkt durch Billigjobs zu füllen. Dieser "rationale" Kern der deutschen Migrationspolitik, der viele Ähnlichkeiten zur Einwanderungspolitik der USA hat, wurde auf der Konferenz kaum thematisiert: Eingebürgert werden sollen vor allem junge MigrantInnen, unter den Aussiedlern werden zunehmend junge und gut ausgebildete Männer herausgesucht, die soziale Absicherung von älteren MigrantInnen und von Flüchtlingen dagegen wird durch die deutsche Politik zunehmend prekär. Renten unterhalb des Existenzminimums, Diskriminierungen in der Arbeitsförderung, das Asylbewerberleistungsgesetz waren folglich kein Thema.

Dennoch konstatierten die TagungsteilnehmerInnen das Versagen der Politik in Deutschland. Die Bundesrepublik ist faktisch das größte Einwanderungsland in der EU, doch weder die deutsche Politik noch die Gesellschaft ist bereit, dies zu akzeptieren. Die auf der Tagung erhobenen Forderungen der Wissenschaftler können da nur ein bescheidener Anfang sein: Die bislang getrennten Ämter der Aussiedler- und der Ausländerbeauftragten sollen in einem Amt für Integrations- und Immigrationsfragen zusammengelegt werden. Gleichzeitig soll die Regierung eine Aufklärungskampagne über Einwanderung starten und zur Einbürgerung ermuntern. Um Integration zu fördern, soll ein schneller Zugang zum Arbeitsmarkt, eine Verbesserung der Sprachförderung sowie weiterer Eingliederungshilfen gewährt werden. Zur Zeit gilt für MigrantInnen ein generelles vierjähriges Arbeitsverbot nach ihrer Ankunft in Deutschland.

Die Frage, wie man den auf der Konferenz teilnehmenden Brandenburger CDU-Vorsitzenden Jörg Schönbohm integrieren kann, wurde nicht beantwortet. Der brachte die Schizophrenie der deutschen Politik unfreiwillig auf den Punkt: Er könne nicht verstehen, warum hier geborene türkische Jugendliche kein Deutsch sprächen. Die "deutsche Leitkultur" und der "deutsche Lebens-und Kulturraum" müsse die Grundlage für Integration sein.