ATR: "60 Seconds Wipeout"

Check es out, das Marktsegment

"Destroy Deutschland" fordern sie auf ihren Merchandise-T-Shirts: Atari Teenage Riot, die Pop-Heroen des anarchischen Techno-Hardcore-Mix, in den die Underground-Szene in den frühen Neunzigern so viel revolutionären Elan hineininterpretierte. Die Band mit dem hehren Anspruch hatte vor niemandem Respekt - oder zumindest schien es so. Und wie sollte es anders sein im Pop resp. im Sub-Pop: Haltung, Credibility, politischer Anspruch zahlen sich aus.

Mitte Mai ist beim ATR-eigenen Label DHR das neue Album erschienen: "60 Seconds Wipeout". Der Gestus der erbarmungslosen Destruktion wird beibehalten. Nichts und niemand wird in Ruhe gelassen - harte Zeiten verlangen harte Töne. Allerdings ist man diesmal gewisse Kompromisse eingegangen: Gitarren-Samples sind auf der aktuellen Veröffentlichung genauso zu finden wie schüchterne Rock'n'Roll-Anleihen.

Eine Hype-Nachhilfestunde benötigen ja auch Berliner Autonome und andere Party-Demonstranten. Und so wurde am Berliner 1. Mai Alec Empire, der Kopf der Band, auf einem riesigen Sound-Gefährt zum Kreuzberger Chefrebellen erklärt. Vom besoffenen Fußvolk forderte er: "Start the riot! Deutschland has gotta die!"

Pop ist für Atari Teenage Riot gesetzesfreier Raum für Messages, Musik und irgendwie immer Revolutions- oder Beziehungs-Therapie für entnervte Hardcore-Revoluzzer oder Revolutions-Grund für die von Sozialpädagogen gefrusteten Ghetto-Kids aus Zehlendorf.

Atari Teenage Riot arbeiten weiter an der Illustration ihrer Attitüde. Check es out, das Marktsegment der Wilden, Exzessiven, Rebellischen. Verdienstvoll allerdings ist, daß Atari Teenage Riot verhindert hat, daß die Abteilung des An-der-Welt-Verzweifelnden bei WOM endgültig geschlossen wird. Doch damit ist es auch schon getan. Ansonsten sind ATR nicht gerade dafür bekannt, daß sie großartig differenzieren. Das ist zwar einerseits nützlich bei Songs wie "Hetzjagd auf Nazis", bringt aber nicht gerade viel, wenn man andererseits die Fetische der Leistungsgesellschaft propagiert: "The youth is the future!"

Vor Abnutzung sind sie ebensowenig gefeit wie der von ihnen angefeindete Mainstream: Auf ihre Zusammenarbeit mit Slayer für den "Spawn"-Soundtrack angesprochen, reagieren sie im Spex -Interview kompromißbereit: "So politisch korrekt kann man doch gar nicht sein!"

Und weil sie ja eigentlich sowieso alles machen, posieren die Helden der verlorenen Techno-Generation auch schon mal in einer Broschüre der Berliner Ausländerbeauftragten. Botschaft: Come together! Ihr seid die Zukunft! Geschadet hat diese Beliebigkeit dem Image bisher nicht.

Und wie sie so dastehen auf ihren Promo-Fotos, die Jungs in lässiger Street-Wear, die Mädels in sexy Club-Wear, wer wollte ihnen da nicht ihre bösen Parolen nachsehen: Fanta-Werbung, wir kommen; Image ist nichts, der Rebel-Street-Sound ist alles! Allerdings kann man da schon mal an der avisierten Zielgruppe vorbei einen Treffer landen. So war auf der Internet-Seite von "boom" ("Das Neueste aus dem bunten Showbiz") nachzulesen: "Mit viel Beifall sind in England und Amerika ATR aufgenommen worden - auch wenn es der Band wenig schmeckt, dort im Fahrwasser von Rammstein zu schwimmen."

Ach was, ist doch alles nicht so schlimm: Mitte August tritt man beim Kölner Bizarre-Festival neben Rammstein auf. Aber vorher schaut man noch bei Rock am Ring vorbei - präsentiert von ProSieben.