Vorsicht, Eigentor

Das Argument der Kriegsgegner, die Nato habe schließlich auch im Fall Kurdistans nichts unternommen, ist kontraproduktiv

Deutschland führt Krieg, und eine nennenswerte linke Antikriegsbewegung ist nicht zu sehen. Diese Situation konnte wohl nur unter einer rot-grünen Regierung eintreten. Die Gründe dafür liegen weniger in dem von "Regierungs-Linken" wie Angelika Beer behaupteten Fehlen von Alternativen zur Kriegslogik, sondern in von Linken in diesem Land seit Jahren bevorzugten Politikmustern und Diskursen. Diese haben sich als hochwirksam erwiesen, um den Krieg gegen Jugoslawien humanitär und menschenrechtlich zu legitimieren und KriegsgegnerInnen ins moralische Abseits zu befördern.

Das läßt sich an zwei Argumentationsmustern zeigen, die seit Beginn des Nato-Angriffskrieges die linken Stellungnahmen gegen den Krieg prägen: Die Klage über den völkerrechtswidrigen Charakter des nicht von der Uno legitimierten Krieges und der vergleichende Hinweis auf Duldung von Krieg und Vertreibung gegen die nationale Befreiungsbewegung PKK und kurdische Bevölkerung durch den Nato-Partner Türkei. Beides hat viel mit der offensichtlichen Lähmung der Linken angesichts des ersten von der Bundesrepublik Deutschland geführten und im internationalen Rahmen wesentlich mitvorbereiteten Krieges zu tun.

Zu den internationalen Rechtsnormen und Institutionen, die unter Berufung auf moralische und humanitäre Letztbegründungen die internationalen Machtverhältnisse regulieren sollen, haben viele Linke ein von naivem Politikmachen geprägtes Verhältnis. Um der politischen Handlungsfähigkeit willen muß bei der Anrufung von Völkerrecht und UN-Charta für den tagespolitischen Augenblick ausgeblendet werden, daß die völkerrechtlichen Institutionen und Normen unter den Voraussetzungen globaler warenkapitalistischer Vergesellschaftung in immer noch nationalstaatlichem Rahmen vor allem die Stabilität der herrschenden Machtverhältnisse garantieren und Feld der Durchsetzung hegemonialer Interessen innerhalb derselben sind.

Dieses Dilemma ist auch im Fall Öcalan deutlich geworden, als weite Teile der Linken eine faire Behandlung Öcalans und eine internationale Bearbeitung des Kurdistan-Konfliktes in der Türkei nach völkerrechtlichen Normen und der UN-Charta forderten. Als diese Forderung - wie eine realistische Einschätzung der staatlichen Machtkonstellationen erwarten ließ - gescheitert und Öcalan in den Händen des türkischen Repressionsapparates gelandet war, ergingen sich viele solibewegte Linke in den wildesten Verschwörungstheorien, anstatt die Bedingungen und Möglichkeiten für eine internationale Lösung des im Innern der Türkei stattfindenden Krieges gegen die Kurden zu analysieren. Es steht zu befürchten, daß auch bei dem demnächst beginnenden Schauprozeß gegen Öcalan die naive Berufung auf das "Selbstbestimmungsrecht der Völker" und die internationalen Zivilgesellschaftsnormen bei den Linken dominieren wird.

Eine Linke, die wie im Falle des Kurdistan-Konfliktes ständig mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker, internationalen Normen des Völkerrechts und dem Ruf nach Eingriffen internationaler Institutionen herumfuchtelt, ist natürlich erstmal einigermaßen hilflos, wenn nun unter Berufung auf genau diese normativ-humanitären Diskurse von einer durch parlamentarische Linke mitgetragenen Regierung imperialistische Kriege zur Durchsetzung der "neuen Weltordnung" gegen unbotmäßige "Schurkenstaaten" geführt werden.

Bei den Ex-Linken innerhalb des grünen Regierungslagers haben die zivilgesellschaftlichen Völker- und Menschenrechtsdiskurse die Herstellung der Kriegsfähigkeit überhaupt erst bewirkt und verbinden sich bei deren Verteidigung gegen jede Kritik mit einem absolutistischen Moralisieren, dem auch noch die haarsträubendsten revisionistischen Vergleiche des Milosevic-Regimes mit der NS-Vernichtungspolitik und Hitler nicht zu abgeschmackt sind. Daß es am ethnischen Nationalismus und der Unterdrückungspolitik im Fall Milosevic nichts zu beschönigen gibt, ist dabei überhaupt keine Frage.

Da bleibt linker Kritik dann oft nichts anderes als eine Rhetorik der Entlarvung, welche die Doppelbödigkeit und Heuchelei der kriegslegitimierenden Menschenrechts- und "Wir haben aus Auschwitz gelernt"-Diskurse aufzeigt. Oft wird es dabei schon für Ideologiekritik gehalten, die wahren Interessen hinter den hohlen Propagandaphrasen von "humanitärer Intervention" und Menschenrecht aufdecken zu können. Der empörte Vergleich mit der andauernden Unterstützung der Türkei trotz massiver Menschenrechtsverletzungen und ethnisch-nationaler Unterdrückung kommt da gerade recht.

Dieser Vergleich ist zwar korrekt, solange er darauf beschränkt bleibt, den Widerspruch zwischen dem Umgang mit dem "Selbstbestimmungsrecht" der KurdInnen und dem der eigens für den Nato-Krieg in Jugoslawien erfundenen Gemeinschaft der "Kosovaren" als bloßes Symptom internationaler Macht- verhältnisse zu kennzeichnen. Doch eine explizite Beschränkung auf diesen Rahmen bleibt oft aus, und stillschweigend bis offen wird der Vergleich zur Grundlage einer Forderung nach internationalem Einschreiten gegen die Türkei nach dem Motto: "Was den Kosovaren zukommt, muß auch den Kurden gewährt werden."

Dieses Argument gegen den Jugoslawien-Krieg hat Thomas Ebermann vor kurzem auf einer Veranstaltung der Jungle World zu Recht als gefährlich bezeichnet. Denn in dem Moment, wo das Beispiel Kosovo zur Grundlage von Forderungen nach einem "konsequenten Auftreten" gegenüber der Türkei wird, gerät die vermeintliche Ideologiekritik zur Apologie gegenwärtiger und künftiger Interventionskriege um die "neue Weltordnung". Denn wenn - wie utopisch dies realpolitisch auch immer erscheint - eine militärische Intervention in der Türkei zugunsten der Kurden gerecht wäre, kann der gegenwärtige Kosovo-Krieg kein ungerechter sein.

Statt um die bittere, aber unvermeidliche Erkenntnis, daß unter den bestehenden Verhältnissen jede "humanitäre" Intervention nur Ausdruck einer von machtpolitischen Interessen geleiteten instrumentellen Vernunft sein kann, geht es plötzlich wieder um Fragen von Moral und "Glaubwürdigkeit" in der Politik.

In diesem Diskurs geht aber der kritische Gedanke über den Zusammenhang zwischen der herrschafts- und machtlegitimierenden Funktion staatlicher Souveränitätsrechte und ihrer Aushöhlung durch ein ethnisiertes "Selbstbestimmungsrecht der Völker" im Zuge konkurrierender geopolitischer Interessenkonstellationen verloren. Künftigen "humanitären Interventionen" zugunsten von noch zu entdeckenden unterdrückten Ethnien und Völkchen in unbotmäßigen "Schurkenstaaten" wäre von links nichts mehr entgegenzusetzen.

Hier zeigt sich einmal mehr, zu welch fatalen Konsequenzen die Mischung des rechtspositivistischen Denkens einer staatstragenden Linken mit dem Betroffenheitssprech der sozialen Bewegungen der siebziger Jahre führt, mit dem Joseph Fischer, Rudolf Scharping, Ludger Volmer und Angelika Beer ihr unter seelischen Qualen gewonnenes Überzeugungstätertum inszenieren. Daß dabei nun gerade ehemalige Spontis und Undogmatische den moralischen Rigorismus des Gutmenschen wiederentdecken, ist durchaus nicht so paradox, wie Oliver Tolmein in der Jungle World (Nr. 20/99) meint. Wie im Aufrichtigkeitsschwurbel auch noch der letzte Funke politischen Verstandes verloren geht, hat jüngst Angelika Beer in einem Interview mit dem Neuen Deutschland eindrucksvoll demonstriert. Dort wurde ihr die Frage gestellt: "Wird die westliche Allianz nicht auf Dauer unglaubwürdig, wenn sie im Kosovo bombardiert und beim Nato-Partner Türkei einfach wegschaut?"

"Dies ist in der Tat", antwortet Beer, "eine Glaubwürdigkeitsfrage, für die Allianz wie für die rot-grüne Regierung. In der Türkei sind inzwischen 3500 kurdische Dörfer zerstört, die Bevölkerung wurde vertrieben. (Ö) Ich kann nur raten und werde meinen Teil dazu beitragen, den Vertrag von Rambouillet und seinen politischen Teil zur Festschreibung der Autonomie zur Grundlage von Überlegungen zu machen, den Kurden endlich die Rechte zu gewähren, auf die sie völkerrechtlich einen Anspruch haben. Ich möchte denjenigen sehen, der sich dann einer solchen Forderung verweigert."

Hier kommt von linksalternativem Glaubwürdigkeitsgefasel über grenzenlose Naivität gegenüber der Realität des Völkerrechts bis zum politischen Machbarkeitswahn so ziemlich alles zusammen, was im Sinne grüner Regierungsfähigkeit zusammengehört. Es mag ja sein, daß Beer tatsächlich der Autosuggestion erlegen ist, solch ein Entwurf könnte Fischer, Schröder oder gar Clinton mehr als ein amüsiertes Stirnrunzeln entlocken. Nach allem, was über den kriegsherbeiführenden Charakter dieses Vertrages inzwischen bekannt geworden ist, Rambouillet als Vorbild für künftige Lösungen im Kurdenkonflikt anzupreisen, ist mit politischer Dummheit allein schon nicht mehr zu erklären.