Krieg verleiht Flügel

Cora Stephan träumt von schwitzenden Kriegerkörpern und der blonden Bestie

"Noch heute träumen kleine Mädchen vom Helden, der sie der Bestie entreißt", schreibt Cora Stephan. Ihr Thema ist der Krieg. Nur: Was, wenn kleine Mädchen niemals groß werden? Dann träumen sie Jahrzehnte später in abenteuerlichen Abhandlungen von den Schlachten der alten Griechen: von "eng aneinandergereihten Männerkörpern", die in "heißer mediterraner Nachmittagssonne, mit einem Aufschrei" aufeinanderprallen, bis sie "den Schweiß auf den Gesichtern der Gegner und das Weiße in ihren Augen sehen".

Sie schwärmen vom mittelalterlichen Ritterkult und der hohen Minne, von Tapferkeit, Kraft und Willensstärke. Sie spüren das Vibrieren der Luft, "durch den dumpfen Donner der Hufe angaloppierender Streitrösser, das Zerbrechen der Lanzen auf den Schilden und das Schreien der aus ihren Sätteln gehobenen Ritter". Sie phantasieren sich auf die Exerzierplätze des 18. und 19. Jahrhunderts, berauschen sich am rhythmischen Marschieren der Soldaten und melden erhitzt: "Die gemeinsame Bewegung kann Gefühle des Eingebundenseins hervorrufen - bis hin zum Hochgefühl. Dabei ist völlig egal, ob es ums Tanzen oder Marschieren geht." Und schließlich landen sie auf dem Schlachtfeld von Verdun in zeitlos konservierter Todesstille und reden emphatisch von "Schützengrabengemeinschaft", dem "Gefühl einer bedingungslosen Zusammengehörigkeit" und einer "Kameradschaft - so tief wie zwischen Liebenden".

Cora Stephan hat sich in ihrem Buch "Das Handwerk des Krieges" auf die Reise in "archetypische Gefühlswelten" begeben. Ihre Erinnerungen an herrliche Schmökerstunden will sie als "Mentalitätsforschung" verstanden wissen: "Krieg ist und bleibt eine Sache der Gefühle", schreibt die ehemalige Pflasterstrand-Redakteurin, die sich längst von ihrer linken Vergangenheit verabschiedet hat. Anfang der neunziger Jahre erschienen von ihr "Betroffenheitskult" und "Neue deutsche Etikette", zwei zeitgeistige Erhellungen zu den Gestimmtheiten der Nation.

Erste Erfahrungen an der bellizistischen Front sammelte Stephan bereits während des Golfkrieges. In "Handwerk des Krieges" knüpft sie an dieses Statement an, kritisiert zu Recht die deutsche Friedensbewegung, ohne sich jedoch auch nur annähernd einen Begriff von dem Unterschied zwischen Pazifismus und Antimilitarismus zu machen. Vielmehr geht es ihr inzwischen darum, dem Krieg - bei all seinem Schrecken - auch Positives abzugewinnen. Unverfroren konstatiert sie: "Wir müssen von der Präsenz des Heiligen inmitten des Tötens ausgehen."

Daß der Krieg zu den Universalien der Menschheit gehöre, ist eine ihrer Standard-Botschaften, und im Rückgriff auf Barbara Ehrenreichs abstruse Anthropologie vom "Blutritual" gelingt es ihr denn auch spielend, den Krieg einer religiösen Opferhandlung anzuverwandeln. Krieg, raunt es aus Stephan, entstehe "an der Schnittstelle von Biologie und Kultur", er gehe auf das "Urdrama" des vom Raubtier gejagten Menschen zurück. Seither opferten sich Männer zur Verteidigung der Gemeinschaft und trügen Konflikte stellvertretend für alle aus, damit das "Gewebe der Gesellschaft" nicht zerstört werde. So habe sich der Krieg in der Geschichte oft als probates Mittel erwiesen, die "in der Gesellschaft endemische Gewalt abzulenken, zu kanalisieren und in weniger schädliche Formen zu gießen".

Passend wittert sie im Prinzip der Stellvertretung einen archaischen "Geschlechtervertrag", der im Ritual des Krieges stets aufs neue "reinszeniert" werde. Schade um die Männer eigentlich. Aber wo gehobelt wird, fallen Späne - und Schweiß und Blut, vergossen auf dem Feld der Ehre, sind ja auch schon was.

Während Cora Stephan ihre Leser und Leserinnen zu ausgesuchten historischen Schlachtplätzen einlädt - von der Hoplitenphalanx der griechischen Antike über den Dreißigjährigen Krieg und die Kabinettskriege bis zum Ersten Weltkrieg - entwirft sie eine krude Geschichtsphilosophie, in der ihr die Kreuzzüge zum schillernden Mythos und die deutsche Kriegsschuldproblematik im Ersten Weltkrieg zur Bagatelle geraten. Mit einem überraschend kaltblütigen Zynismus erklärt sie die im Verlauf der Kreuzzüge verübten Judenmassaker in Europa und Palästina zu - bei Kriegsbeschreibungen üblicher - Folklore.

Schließlich kann man sich auch nicht mit allen abgemetzelten Heiden, Barbaren oder sonstigen Anti-Christen beschäftigen, wenn der Troubadour im Herzen klingt und einen glauben läßt, "der ritterlichen Verbindung von Liebe und Krieg entstammt eine Wertschätzung der Frauen, wie sie kaum eine andere kriegerische Kultur zugelassen, geschweige denn entwickelt hat".

Nicht minder euphorisch beurteilt Cora Stephan die neuzeitliche "Kriegskunst". Sämtliche Überlegungen zum Militär, die sich mit Disziplin und Gruppenzwang, Gehorsam und autoritärer Persönlichkeit auseinandersetzen, spart sie dabei wohlweislich aus. Lieber marschiert sie in ihrer Theorie der "Phasenangleichung", nach der die gemeinsame, synchrone Bewegung den Männern "Flügel verleihe", munter auf den Ersten Weltkrieg zu. Beiläufig entsorgt sie störende "Schlachtfeldmythen" und rekapituliert die deutsche Invasion in Belgien aus der Perspektive des Aggressors.

Daß sie die außerordentliche Brutalität der Deutschen gegen die belgische Zivilbevölkerung lakonisch mit dem Hinweis rechtfertigt, die Belgier hätten sich die "Vergeltungsmaßnahmen" wegen ihres Widerstandes selbst zuzuschreiben, grenzt an schlichte Gemeinheit. Stephans eigentliches Interesse gilt denn auch gar nicht den Opfern (oder tolpatschig in die Schußlinie geratenen Nicht-Kombattanten), sondern einzig und allein dem Versuch, die damalige Rede vom Barbarentum der Hunnen als "Propaganda-Exzesse der Alliierten" zurückzuweisen.

Ein regelrechtes Feuerwerk apologetischer Rhetorik entfacht sie schließlich um die seit den sechziger Jahren durchgesetzte These Fritz Fischers von der Kriegsschuld der Deutschen am Ersten Weltkrieg. In eben dieser "Schuldanerkenntnis" der Deutschen an den beiden Weltkriegen, klagt Stephan ohne jede triftige Gegenargumentation, liege ihrer Meinung nach die "außenpolitische Abstinenz" der heutigen Bundesrepublik verankert.

Mit dem Zweiten Weltkrieg hat sie sich vorsichtshalber gar nicht erst beschäftigt. Ihr Buch endet abrupt mit dem Versailler Vertrag. Kein Wunder. Schließlich ließe sich mit ihrem esoterischen Instrumentarium weder der im Nationalsozialismus entfesselte, ökonomische Zwang zur Raubkriegsproduktion noch die soziale Vergesellschaftungsform der zur Volksgemeinschaft zusammengeschweißten Arier auch nur annähernd begreifen.

Ohnehin geht es Stephan nicht ums Begreifen, wie sie kürzlich in der Zeit klarstellte. Ihre Theorie von der Naturwüchsigkeit der "Bestie" Krieg, die es durch ein klares Regelwerk "einzuhegen" und zu begrenzen gelte, zielt angesichts der Aktualität von Nato-Einsätzen und einer "womöglich gewaltsamen Sicherung der machtpolitischen Balance in Europa" auf einen Pragmatismus nach Maßgabe von Staatsräson und nationalem Interesse.

Tatsächlich wähnt sich Stephan mit ihrem Plädoyer für eine Berufsarmee und eine "außenpolitisch gewichtigere Rolle der Bundesrepublik" so originell und unbequem, daß sie in ihrem Buch weit bis in die Urzeit der Menschheit ausholen zu müssen glaubt, um eine ideologische Legitimation für künftige militärische Aktionen auf den Markt zu bringen. Das Ergebnis ihrer kulturgeschichtlichen Beflissenheit ist eine unverdauliche Mischung aus psychologischem Okkultismus und der Clausewitzschen Würdigung des Krieges als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. - Wenn große Mädchen träumen, wird schnell ein Albtraum draus.

Cora Stephan: Das Handwerk des Krieges. Rowohlt, Berlin 1998, 317 S., DM 38