Weniger arbeiten - besser leben

Zwischen Recht auf Faulheit und Arbeitszwang: Eine Tagung der Heinrich-Böll-Stiftung auf der Suche nach der "Zukunft der Arbeit"

170 Milliarden Mark kosten die über vier Millionen Arbeitslosen in der BRD die Sozial- und Staatskassen pro Jahr. Das macht etwa 4 000 Mark pro Nase und Monat. Für Nichtstun - zumindest aus Sicht einiger Arbeitsmarktexperten. Gleichzeitig explodieren die Kosten für die sozialen Sicherungssysteme, besonders im Alten- und Pflegebereich, da die traditionellen Sicherungsnetze wie generationsübergreifendes Zusammenleben sich immer mehr in der kapitalistischen Flexibilisierung auflösen. Da liegt doch der bestechend einfache Gedanke auf der Hand, diese beiden "Problemfelder" zusammenzuführen.

Auf der von der Heinrich-Böll-Stiftung am 20./21. November in Leipzig veranstalteten Tagung "Zukunft der Arbeit II" mit dem Themenschwerpunkt "Non-Profit-Sektor und bürgerschaftliches Engagement" wurde diese Position besonders vom Mitarbeiter des Club of Rome, Patrick Liedtke, vertreten. Er stellte dort seine gemeinsam mit Orio Giavini verfaßte Studie "Wie wir arbeiten werden" vor. Die Studie hat eine rasante Karriere hinter sich: Innerhalb eines Jahres wurde sie in über ein Dutzend Sprachen übersetzt. Die Autoren schlagen zur Lösung des weltweiten "Beschäftigungsdilemmas" (nicht Einkommensdilemmas) ein Drei-Schichten-Modell vor, das auf einem staatlich garantierten Mindestlohn von rund 1 200 Mark basiert.

Dafür sind allerdings auch 20-Wochenstunden gemeinnütziger Arbeit zu leisten, "insbesondere bei der Betreuung von Kindern, Alten und Kranken". Auch an die Instandhaltung und Modernisierung öffentlicher Gebäude, Parks, Spielplätze und an den nachsorgenden Umweltschutz wird dabei gedacht. Wer sich dieser gemeinnützigen Arbeit verweigert, bekommt auch kein Geld. Finanziert werden soll dieses Modell, abgesehen von den immensen Einsparungen, die dadurch bei der bisherigen Sozialverwaltung möglich wären, unter anderem durch eine Luxussteuer. Auf dieser Grundsicherung soll die bisherige Erwerbsarbeit aufbauen: Wer einem "normalen" Job nachgeht, ist jedoch von der gemeinnützigen Arbeitspflicht befreit.

Die Arbeits- und Frauen-Wissenschaftlerin Ingrid Kurz-Scherf qualifizierte dieses Modell als "autoritäre Zwangsarbeit". Bei dem ganzen Gerede um einen Non-Profit-Sektor handele es sich um nichts weiter als die "gute alte alternative Ökonomie" als alternativem Gesellschaftsentwurf. Dabei erwähnte sie zum ersten Mal auf der Konferenz das Wort "Kapitalismus", und zwar als ein Gesellschaftssystem, das den Menschen auch feindlich gegenüber stehen könne - und nicht nur als "Markt der Möglichkeiten". Zudem müsse man im Blick behalten, daß es bei dieser sogenannten Grundsicherungsarbeit zu 90 Prozent um von Frauen geleistete

(Haus-) Arbeit handele, die nun aufgewertet werden solle. Den Männern gehe es darum, daß sie die gesellschaftlich anerkannte Lohnarbeit, die ihnen Macht, Einkommen und Privilegien sichere, auf keinen Fall teilen wollten. Der "männliche Unentbehrlichkeits- und neurotische Arbeitswahn" sei nur durch eine radikale Arbeitszeitverkürzung zu bekämpfen.

Dies waren nicht die einzigen Konfliktlinien, die die mit 200 TeilnehmerInnen gut besuchte Tagung durchzogen. Da die Krise der Arbeitsgesellschaft und die daraus folgenden Konsequenzen die zentralen sozialpolitischen Auseinandersetzungen in der BRD bestimmen und weiterhin bestimmen werden, stehen, so die Heinrich-Böll-Stiftung, die Chancen für eine aktive Arbeitsmarktpolitik der neuen rot-grünen Bundesregierung nicht schlecht.

Ihrer Meinung nach ist aber "eine Rückkehr zur Vollbeschäftigung alten Typs aus ökonomischen und kulturellen Gründen auf absehbare Zeit ausgeschlossen". Die Formel "Vollbeschäftigung durch Wachstum" gehe nicht mehr auf. Deshalb gelte es, die mit so schillernden Begriffen wie "New Work-Bürgerarbeit" und "Non-Profit-Sektor" bezeichneten Bereiche, neu zu entdekken und aufzuwerten. Eventuell sei sogar ein Grundeinkommen denkbar.

Gegen diese Vorstellungen setzte eine kleine Minderheit, vor allem die "Glücklichen Arbeitslosen", die These, daß es gut sei, wenn immer mehr Menschen von der Mühsal und Plage der Arbeit befreit werden. Warum müsse man mit allerlei Aufwand immer "Neue Arbeit" erfinden, um auch noch den letzten der vier bis sechs Millionen Erwerbslosen eine Arbeit zuweisen zu können? Doch auch die "Glücklichen Arbeitslosen" stießen auf heftigen Widerspruch. Das von ihnen geforderte "Recht auf Faulheit" bedeute für viele Erwerbslose eben nicht eine Abkehr von unmenschlichen Arbeitsstreß, sondern ein Exklusion aus der gesellschaftlichen Teilhabe.

Es ging aber auch flacher. Da referiert Professor Gerhard Scherhorn, ehemals wirtschaftspolitischer Berater unter Helmut Schmidt, über die Krise des fordistischen Gesellschaftsmodells. Richtig beschreibt er, daß der Fordismus auf ein Verschwinden der Bedarfs- und informellen Ökonomie angewiesen ist, um die Menschen in die Fabrik zu zwingen. Doch dann möchte er - völlig bruchlos - genau diese Bedarfswirtschaft als "Dritten Sektor" in der BRD einführen. Was dazu wohl die Unternehmer sagen würden? Vielleicht würden sie derzeit einen solchen Sektor sogar als separaten Zyklus zur Ruhigstellung der Überflüssigen akzeptiert? Doch dazu kein Wort.

Am Ende der Tagung mußte Ralf Fücks vom Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung anerkennen, daß bei allen positiven Chancen die Gefahr von Arbeitszwang und der Schaffung eines Sektors von Arbeit zweiter Wahl bestehe. Doch statt von "Kapitalismus" sprach auch er weiterhin von "Markt". Allerdings hätte die in Leipzig diskutierte Problematisierung des Arbeitsbegriffs auf einer sozialdemokratischen Veranstaltung für eine Reihe von Herzinfarkten gesorgt. Erstmal klingen die grünen Forderungen noch angenehmer als die von SPD-Sozialtechnokraten formulierten Programme.

So ist auch in dem geplanten Regierungsprogramm für 100 000 arbeitslose Jugendliche keine einzige Formulierung enthalten, die diese als Subjekt wahrnimmt. Sie werden als "Opfer" den bekannten "Großorganisationen der Wohlfahrtsmafia" übergeben. Und wer nicht mitspielt, bekommt keine Stütze mehr.

Offenbar wollen manche nicht merken, daß sie, solange sie nicht zu einer Kritik des real existierenden Kapitalismus bereit sind, nur die Grundlagen für eine geschicktere Armutspolitik schaffen. So wird man zu dieser Tagung später Joseph Fischer zitieren können: "Gut gemeint, aber dumm gelaufen".