Wo waren Sie, als das Sparwasser-Tor fiel?

Catherine d'Alambert arbeitet als DJ in London und Berlin

Das war wohl mit der peinlichste Tag meines Lebens, obwohl ich damals erst acht Jahre alt war. Und das kam so:

Meine Eltern waren fanatische Fußballfans, die sich im Fernsehen grundsätzlich alles anschauten, was mit Kicken zu tun hatte. Gleichzeitig haßten sie jedoch auch die Deutschen, so daß sie an diesem Abend vor einem richtigen Dilemma standen: Sollten sie sich ausgerechnet dieses Spiel wirklich angucken? Und wenn ja, für wen sollten sie dann sein?

Nach langem Hin und Her wurde dann schließlich der Apparat doch eingeschaltet, und meine Eltern saßen davor, zuerst sehr unglücklich, dann aber immer fröhlicher, denn sie begannen ganz einfach damit, sich das Spiel schönzutrinken. Mit Trappisten-Bier, das ist eine belgische Spezialität, die bis zu 13 Prozent Alkohol, also soviel wie Wein, enthält und unglaublich reinhaut.

So wurden sie immer betrunkener, und als Sparwasser das Tor schoß, dann ging es erst richtig los, denn da hatten sie sich schon entschieden, für die DDR zu sein, einfach aus dem Grund, weil man deren Einwohner in Belgien nicht so oft zu sehen bekam und sie daher nicht so nervten wie die Einkaufstouristen aus dem anderen Deutschland.

Mittendrin aber kamen dann unsere unteren Nachbarn, um sich zu beschweren, denn meine Eltern wurden immer lauter und fröhlicher. Davon ließen sie sich auch durch die Beschwerde nicht abhalten, sie machten einfach weiter.

Wir lebten damals in einem kleinen Dorf, so abgelegen, daß selbst das nächstgrößere Städtchen niemand in Deutschland kennt, und am nächsten Tag wußte dort natürlich jeder, wie schrecklich besoffen die d'Alamberts gewesen waren.

Das war mir sehr peinlich, obwohl ich dieses Alter, in dem Eltern einem notorisch peinlich sind, noch lange nicht erreicht hatte. Der 22. Juni 1974 bot mir darauf jedenfalls schon mal einen Vorgeschmack.