Linke in anderen Umständen

Nanni Morettis Polit-Komödie "Aprile" über die Berlusconi-Zeit

Nanni Moretti ist zugleich der egomanischste und politischste Regisseur Italiens. Bereitwillig macht er sein Privates öffentlich und nimmt dafür alles Öffentliche persönlich. In seinem Film "Aprile" sieht man Moretti und Berlusconi, Moretti und die albanischen Flüchtlinge, Moretti und das Kino, Moretti und die Medien oder nur Moretti, auch nicht zu knapp.

Selbstbewußtsein und Weltbewußtsein bedingen sich für Nanni Moretti gegenseitig. Als eine komplizierte Abstraktion würde es ihm vielmehr vorkommen, das "Ich" wegzulassen und einen politischen Themenfilm zu machen oder die "Welt" auszublenden und filmische Nabelschau zu betreiben. So ist sein neuestes Werk gleichzeitig intimes Tagebuch, Arbeitsjournal, Schaukasten für seine Kinoträume, Chronik der laufenden Ereignisse und "J'accuse"-Plattform.

Der Titel "Aprile" steht dabei exemplarisch für einen wichtigen Schnittpunkt zwischen Privatem und Öffentlichem im Leben Morettis: in diesem Monat des Jahres 1996 wurde sein Sohn Pietro geboren, und das Olivenbaum-Bündnis gewann die Wahl. Doch bevor es soweit ist, muß Nanni Moretti sich noch mit einem Ministerpräsident Berlusconi herumschlagen, sich seelisch auf die Vaterschaft vorbereiten und dazu noch seiner Arbeit als Filmregisseur nachkommen. Was ihm einigermaßen schwerfällt. Weder mit dem ultimativen Dokumentarfilm über das Italien von heute noch mit dem Musical über einen trotzkistischen Bäcker aus den fünfziger Jahren, zu dem er alternativ Zuflucht nimmt, geht es so recht voran. Die künstliche Welt des Musicals bleibt dem Regisseur ebenso verschlossen wie der Zugang zur kruden Realität. Mit seinem Team zum Strand von Brindisi aufgebrochen, um die dort eintreffenden albanischen Flüchtlinge zu filmen, muß Moretti sich eingestehen, daß seine Fragen der Lebenswirklichkeit der Immigranten alles andere als gerecht werden.

Die italienische Kritik hat diese Szenen als Indiz für die politische Kapitulation Nanni Morettis genommen und ihn schon vollkommen im Klein-Klein des neuen Familienglücks aufgehen sehen. Doch der Regisseur protestierte in einem Interview vehement: Er habe doch in seinen Filmen nie anderes gemacht, als seinen persönlichen Marotten nachzugehen und sich den Schwierigkeiten der Linken zu widmen. Die inkriminierten Szenen mit ihrem selbstreflexiven Meta-Stil des Inszeniert-Dokumentarischen sind für ihn daher auch keine Belege des Scheiterns, vielmehr die größtmöglichen Annäherungen an eine medialisierte Gegenwart, die einen unschuldigen Zugriff auf das rein Dokumentarische unmöglich macht. An einer anderen Stelle des Interviews erzählt er vom Projekt eines Italien-Films, der nur aus aufgezeichneten Fernsehprogramm-Teilen bestehen sollte.

Aber Moretti wird darüber nicht zu einem Medienphilosophen, der den Außendienst einstellte. Er macht die Medien-Realität einfach zu einem Bestandteil seiner Arbeit vor Ort. Nur daß das albanische Flüchtlingsschiff, dessen Ankunft in Brindisi er filmt, zum Bestandteil einer Werbekampagne von Benetton werden würde, konnte er nicht ahnen.

An einer sozialistischen Partei wie der italienischen PDS, die sich in der apulischen Hafenstadt nicht blicken läßt, dafür aber umso emsiger an ihrem medialen Erscheinungsbild feilt, verzweifelt der Filmemacher. "D'Alema, sag etwas Linkes, sag doch was, irgendwas!" beschwört Moretti den damaligen PDS-Vorsitzenden und heutigen italienischen Ministerpräsidenten D'Alema, der in einer TV-Diskussion mit Berlusconi die Einlassungen des Rechtspopulisten stoisch zur Kenntnis nimmt, nicht aus der Haut des seriösen Politikers fahren will und sich damit dem medialen Schein-Konzept der Forza Italia unterwirft.

Moretti hingegen fährt immer aus der Haut und ist als idiosynkratischer Beobachter des Polit-Geschehens in Dauerbereitschaft. Er gestaltet seine Rolle allerdings durch einige burleske Überhöhungen erträglich. So sieht man ihn sich in seinem Arbeitszimmer mit einer riesigen Einheitszeitung herumschlagend, als Wahlverlierer, der von Berlusconi zum Erstkonsum eines überdimensionalen Joints getrieben wird und als Speaker's Corner-Redner im Londoner Hyde-Park.

Sein Spontaneismus ist immer an einen bestimmten Moment und damit an das jeweilige Tagesgeschehen gebunden. Längerfristige Entwicklungen wie Globalisierung oder Neoliberalismus liegen in "Aprile" unterhalb seiner Wahrnehmungsschwelle, was die Halbwertzeit seiner Aufgeregtheiten manchmal verringert. Ein wenig mehr Abstand und Reflexion hätte man sich auch zum neuen häuslichen Glück gewünscht, zumal Moretti sich in seinem vorigen Film "Liebes Tagebuch" noch ziemlich über das Familiengründungsfieber in seinem Freundeskreis lustig gemacht hatte. So gerät der Privatfilm ziemlich boulevardesk und gelangt über schlapp Komödiantisches wie die schwierige Namensfindung für das Kind, den Geburtsphantomschmerz Morettis und einen ins Kraut schießenden Vaterstolz nicht hinaus.

Nanni Moretti sieht sich allerdings schon immer einem populären Kino verpflichtet. Er scheut davor zurück, das ödipale Band zur italienischen Gesellschaft ganz zu durchtrennen und möchte im Grunde seines Herzens am liebsten als ein zwar starrköpfiger und renitenter, aber eigentlich doch ganz netter Junge angesehen werden. Nicht als der Bourdieu oder Schlingensief Italiens, sondern als eine Neuauflage des Peppone, der allerdings keinen Don Camillo mehr hat.

Trotzdem demonstriert Moretti, der seit seinem Debüt 1977 mit "Ich bin ein Autarker" politische Filme in der 1. Person macht, wie eine linke Existenz heute noch möglich sein kann. Das Programm dafür steckt wirklich in seinem Musical über den trotzkistischen Bäcker, von dem er am Ende von "Aprile" ein Fragment als Vor-Schein wirklich realisiert: Ästhetik, Militanz, Hedonismus und Selbständigkeit des Denkens. Vor Renegatentum scheint es zumindest zu bewahren.

"Aprile". Italien 1998. R: Nanni Moretti. D: Nanni Moretti, Silvio Orlando. Start: 5. November