Trevor Evans

»Blair zieht Clinton Schröder vor«

Was will die britische Sozialdemokratie?

Es heißt, Tony Blair habe Gerhard Schröder den Weg zur politischen Macht gewiesen. Nun gibt Schröder zur EU eine Vorlage. Folgt Blair?

Blair muß klar sein, daß England nicht mehr die Großmacht ist, die es mal war. Aber viele Leute wollen sich nicht damit abfinden, daß man im internationalen Vergleich nur noch drittklassig ist. Die Konservativen haben sich an der Frage der Europäischen Einheit fast gespalten: Eine Fraktion steht für das "Kleine-Engländer-Gefühl", eine andere stellt die wirtschaftlichen Interessen in den Vordergrund und ist deshalb für einen Eintritt in die Währungsunion.

Und Labour?

Bei Labour stand früher die Kritik an der EU im Mittelpunkt. Das hat sich seit Ende der achtziger Jahren geändert, weil erkannt wurde, daß soziale Fortschritte, wenn auch wenige, über die EU nach England kommen. Heute sind die Gewerkschaften für die EU, einschließlich ihrer monetären und wirtschaftlichen Komponenten. Auch Blair ist dafür und akzeptiert die Notwendigkeit eines Eintritts in die Währungsunion. Aber er glaubt, daß es politisch nicht sofort möglich sein wird, dort einzusteigen. Andererseits wird er von seinem Finanzminister unter Druck gesetzt, der auf einen schnellen Beitritt drängt. Die britische Währung ist strukturell schwach. Solange Großbritannien außerhalb der Währungsunion steht, bleibt das so. Die Wechselkurse können sich über Nacht ändern, und das kann keinem Finanzminister recht sein.

Wie verhalten sich die unterschiedlichen Kapital-Fraktionen? Stützen oder stürzen sie Blair?

Verkürzt läßt sich das so einteilen: In den letzten Jahren hat ein Teil des Industriekapitals Blair gestützt, das Finanzkapital setzte auf die Konservativen. Da diese, im Falle ihrer Wiederwahl, den Beitritt in die europäische Währungsunion weiter verschieben würden, steht ein Teil der britischen Industrie noch immer hinter Blair. Vor allem die Großunternehmen, die sich an den Staaten der EU orientieren und die eine stabile Währung ohne Wechselkursschwankungen brauchen, machen Druck. Blair hat wegen des Widerspruchs zwischen Industrie sowie seinem Finanzminister einerseits und dem "Kleinen-Engländer-Gefühl" andererseits den Beitritt zur Währungsunion vorerst bis nach den nächsten Wahlen verschoben.

Und daran wird auch ein Kanzler Schröder nichts ändern?

Schröder ist für England nicht der entscheidende Faktor. Großbritannien ist ohnehin integriert - wenn es um Handel geht. Alle wichtigen Verträge zu Märkten und Waren hat bereits Thatcher unterschrieben. Interessant hingegen ist der Vorschlag aus Frankreich, eine starke Wirtschaftsunion herbeiführen zu wollen, die nicht nur am Geld und dessen Stabilität orientiert ist. Kohl war dagegen, Schröder scheint eher offen dafür zu sein. Hier könnte es Probleme in England geben, weil das Konzept von freier Wirtschaft eher gegen eine solche Wirtschaftskoordination spricht. Da steht Blair Kohl näher und sagt: "Das ist eine Sache für die Märkte, nicht für die Regierungen."

Das könnte auch US-Präsident William Clinton gesagt haben. Was ist mit dem sogenannten third way, der von Blair propagiert wird?

Third way soll eigentlich für die Politik einer reformistisch orientierten Großpartei stehen, real übernommen wird aber die Politik der rechten Großparteien. In den USA sieht man das in der Wirtschafts- und Sozialpolitik, wo Clinton die Republikaner kopiert hat. Dasselbe gilt für Blair in England, der wirtschaftlich komplett und sozialpolitisch weitgehend die Politik der Konservativen fortsetzt.

Clinton ist das wichtigste Vorbild für Blair, die sogenannten New Democrats in den USA sind das Vorbild für New Labour. Die Finanz- und Fiskalorthodoxie hat sich Blair dort abgeschaut, ebenso das from welfare to workfare-Programm.

Wie ist dieses Programm bisher umgesetzt worden?

Die Regierung versucht, die Leute, die arbeitslos gemeldet sind - und das sind nur die wenigsten - in irgendeine Form von formellen Arbeitsbeziehungen zu zwingen. Lassen sie sich nicht darauf ein, wird die Arbeitslosen- oder Sozialhilfe gestrichen. Wenn es darum geht, Investitionen aus dem Ausland anzulocken, zeigt sich die Kontinuität Blairs zu Thatcher besonders deutlich. Im Gegensatz zur Strategie kontinental-europäischer Regierungen setzt Blair auf niedrigen Lohn, niedrige Sozialleistungen und eingeschränkte Arbeitsrechte.

Das klingt eher nach american way denn nach third way.

Ja. Großbritannien hängt stark an den Zyklen der US-Konjunktur. Der Aufschwung in Großbritannien setzte - wie in den USA - 1991/92 ein, in Kontinentaleuropa erst zwei Jahre später. In den USA und Großbritannien hat der Aufschwung mittlerweile deutlich abgenommen, in den nächsten ein, zwei Jahren kommt eine Rezession. Mit den üblichen Folgen: Die Wachstumsraten sinken, das Produktionsniveau nimmt ab, die Arbeitslosigkeit steigt rapide an.

Wie reagiert Blair?

Bei einem Abschwung, wenn die Kapitalströme abfließen, wird das Pfund noch schwächer und es kommt zu einer Wirtschaftskrise. Und da Großbritannien für Kapitalströme offen ist, ist das Land von solchen Bewegungen besonders betroffen. Aber darüber wird natürlich nicht gesprochen. Höchstens davon, daß die Wachstumsraten nicht ganz so konstant bleiben werden.

Trevor Evans arbeitet als Ökonom und freier Journalist in Berlin