Bock auf Bahnhof

Der Umbau der Bahnhöfe zu Einkaufszentren mit Gleisanschluß bestimmt die Geschäftspolitik der DB

Nein, wir befinden uns hier nicht im Hotel Vierjahreszeiten, und auch nicht im Waldorf Astoria, sondern auf dem Leipziger Hauptbahnhof. Und das ist weder der Kennedy Airport noch der Pariser Flughafen Charles de Gaulle, sondern Frankfurt/Main Hbf. So lauten die Botschaften, die die Deutsche Bahn AG derzeit mit ihren in kaltem Blau gehaltenen Werbeplakaten verkündet.

Das Design des weltweiten Einerlei, das den Reisenden nicht mehr zwischen dem Flughafen Teneriffa Süd und Berlin-Tegel unterscheiden läßt, soll nun auch bald die Bahnhöfe dominieren. Wie dies aussehen wird, kann man bereits im neuen Bahnhof Berlin-Zoologischer Garten bewundern. Noch weiter fortgeschritten ist der Umbau der Bahnhöfe in Leipzig und Hamburg-Altona zu "Einkaufszentren mit Gleisanschluß".

"Das 41 000 Kilometer lange Schienennetz ist als Immobilie pures Gold", schrieb das Nachrichtenmagazin Focus schon 1993 unter der Überschrift "Das Mega-Milliarden-Ding". Die Vermarktung und Verwertung der DB-Grundstücke ist Folge der Privatisierung der Bundesbahn. Der geplante Börsengang Anfang nächsten Jahres steht im Mittelpunkt der neuen Unternehmensstrategie, die sich nun vor allem auf die Geschäftsbereiche stützt, in denen die größten Profite zu erzielen sind. Der eigentliche Auftrag, die Bewältigung des zunehmenden Verkehrsaufkommens, gerät dabei zur Nebensache.

So liegen in den Schubladen der Planungsbüros der Bahn AG über zwei Dutzend sogenannte "21-Konzepte", die die Verlegung der Bahnhöfe unter die Erde und die Vermarktung der so freigewordenen Flächen vorsehen. Am weitesten fortgeschritten ist diese Planung in Stuttgart. Im April 1994 stellten die Bahn zusammen mit dem Land Baden-Württemberg und der Stadt Stuttgart ihren Plan vor, das gesamte Bahngelände in der Stuttgarter Innenstadt zu verkaufen und dafür einen neuen unterirdischen Hauptbahnhof inklusive Zulaufstrecken zu bauen. Das Projekt wird mindestens fünf Milliarden Mark kosten und Bauzeiten von zehn Jahren erfordern.

Ähnliche Projekte wurden im Sommer 1996 unter den Titeln "Frankfurt 21" und "München 21" der Öffentlichkeit präsentiert. Selbst für Neu-Ulm und Saarbrücken gibt es vergleichbare Planungen. Und für das ehrgeizige Vorhaben leistete sich die Bahn AG ein besonders dreistes Ganovenstück: Zu Beginn der Bahnprivatisierung 1994 ließ sie sich viele Grundstücke in den jeweilgen Innenstädten kostenlos als "betriebsnotwendig" vom Bund übereignen, um sie nun auf eigene Rechnung zu verkaufen.

"Die Liquidierung der Eisenbahn aus dem Stadtbild dürfte einen weiteren Bedeutungsverlust der Bahn bedeuten, bis hin zum Absturz in die völlige Bedeutungslosigkeit wie in den USA", schreibt der Verkehrsexperte der PDS, Winfried Wolf, in seinem "Alternativen Bericht über die Geschäfte der Deutschen Bahn AG".

Die endgültige Entscheidung über den Kellerbahnhof in Stuttgart soll erst nach der Bundestagswahl fallen. Doch die GegnerInnen des Projekts machen sich, so Gangold Stocker vom "Bündnis gegen Stuttgart 21", berechtigte Hoffnungen, daß die Planung kippt. Denn "einerseits lassen sich wegen der Immobilienkrise die erwarteten Grundstückspreise nicht mehr erzielen und somit Investoren nur schwer finden, und andererseits ist die Akzeptanz des Bauvorhabens in der Bevölkerung stark gesunken". Intern gingen bereits viele lokale Politiker auf Distanz zur Planung. "In den letzten Monaten", so Bernhard Strowitzki aus dem Büro Winfried Wolf, "ist es verdächtig still" um all die "21-Projekte" geworden.

Auch in Lindau am Bodensee scheint die Bahn kein Glück zu haben. Vor kurzem hat der Stadtrat in einer Vorentscheidung die Konzeption der DB abgelehnt. Diese plante, den auf der Bodensee-Insel gelegenen Kopfbahnhof zu verkaufen und weit entfernt von der Innenstadt auf dem Festland ein neues Gebäude zu errichten.

Dabei war das Gelände auf der Insel 1853 von der Stadt "gratis zur Anlegung des Bahnhofes und der Bahnstrecke in der Stadt" überlassen worden. Nun müßten wenigstens die Grundstücke zurückgegeben werden, die Gewinne aus dem Verkauf dürften nicht der Bahn AG zugute kommen, fordert die Aktionsgemeinschaft Inselbahnhof.

Mittlerweile ist die Stimmung in der Stadt mehrheitlich "pro Insel". Die endgültige Entscheidung des Stadtrats steht im November an. "Wir erwarten sofort nach der Bundestagswahl den Gegenschlag der Bahn AG", erklärt Karl Schweizer von der Lindauer Aktionsgemeinschaft.

Deshalb fand vergangenes Wochenende in Lindau ein Kongreß zu den Themen "Bahnprivatisierung, Bahnhofstandorte, Bodenspekulation" statt. Getragen wurde das Treffen (Motto: "Bock auf Bahnhof") im wesentlichen vom UnterzeichnerInnenkreis des "Manifests der 1 435 Worte" (Jungle World, Nr. 27/98). Den Abschluß bildete eine Podiumsdiskussion: "Wie weiter mit der Bahn nach der Bundestagswahl?" Viel verändern wird sich, so die Meinung von Bernhard Strowitzki aus dem Büro Winfried Wolf, wohl nicht. Die SPD hat schon klargemacht, daß sie auf jeden Fall das Verkehrsressort selbst besetzen will - damit die Autofahrerlobby nichts zu befürchten hat. Straße und Schiene sollten gleich behandelt werden, forderte Albert Schmidt von Bündnis 90/Grünen, das Angebot der DB dürfe nicht noch weiter gekürzt werden.

So ließe sich beispielsweise allein mit den jährlichen Planungskosten von 249 Millionen Mark für den Transrapid das bedrohte Interregio-Angebot erhalten. Und statt zehn Milliarden Mark für den Transrapid auszugeben, sollte besser für eine Milliarde die Lücke in der ICE-Strecke zwischen Stendal und Uelzen geschlossen werden. Die Systemgeschwindigkeit im Gesamtnetz solle erhöht werden und nicht nur die Höchstgeschwindigkeit auf kurzen Einzelstrecken. Eine Steigerung von 200 auf 250 km/h bringe gerade mal sechs Minuten reale Zeitersparnis bei drastischen Investitionskosten.

Doch Bahnchef Johannes Ludewig (CDU) sind die prestigeträchtigen Hochgeschwindigkeitsstrecken, wie die vergangene Woche eröffnete Trasse zwischen Hannover und Berlin, allemal wichtiger als die kostengünstigeren Interregio-Verbindungen. Erst im Sommer geriet Ludewig unter öffentlichen Druck, als er die Einstellung einiger Interregio-Strecken und eine weitere Erhöhung der Fahrpreise ankündigte.

Vielleicht auch deswegen wird ab Ende September ein Herbst-Spezial-Preis eingeführt. Für 69 Mark (Bahncard-Besitzer sogar nur 49 Mark) kann man dann von Montag bis Donnerstag und Samstags jeweils ab neun Uhr morgens einen Tag lang sämtliche Interregios benutzen. Hin und zurück. Von Berlin bis Konstanz. Und ab 19 Uhr abends gilt das Ticket auch im IC und ICE. Allerdings ist das Angebot vorerst bis zum 15. Dezember befristet, danach soll nach Auskunft der DB-Pressestelle in Frankfurt/M. erstmal ausgewertet werden.

"Auch wenn es als Einzelaktion durchaus positiv ist", kann Albert Schmidt darin noch "keine Kursänderung" entdecken. Winfried Wolf sieht in dem ursprünglichen Plan, etliche Interregio-Linien zu streichen, seinen bereits vor zwei Jahren geäußerten Verdacht bestätigt, daß der Bahnvorstand intern schon lange die Einstellung sämtlicher Interregios zugunsten der wesentlich teureren ICE und IC beschlossen habe.

"Der Interregio (IR) ist den Herren vom Bahnvorstand ein Dorn im Auge, weil er zeigt: erfolgreicher Bahnverkehr ist heute gerade mit einfachen Mitteln möglich. Die IR-Züge bestehen aus aufgearbeiteten alten D-Zug-Garnituren. In den IR-Zügen fahren zudem noch immer mehr Fahrgäste, als in den IC, EC und ICE zusammen."

Kontakt zur Aktionsgemeinschaft Inselbahnhof Lindau über Karl Schweizer, Wannental 62, 88131 Lindau, Telefon/ Fax: 083 82 / 754 96