Wo waren Sie, als das Sparwasser-Tor fiel?

Wolfgang Welt arbeitet als Nachtportier im Schauspielhaus Bochum

Es war die WM der langen Haare, von denen mit die längsten Günter Netzer trug, und wenn ich an das Sparwasser-Tor zurückdenke, sehe ich vor allem den Gladbacher vor mir, der damals schon sein Geld bei Real Madrid scheffelte, wie er sich während des Spiels gegen die DDR auf der Laufbahn warmmachte. Ich kann mich nicht mehr erinnern, ob er tatsächlich dann noch eingewechselt wurde. Jedenfalls war danach seine Länderspielkarriere zu Ende, und "der Rolly Royce mit dem Motor eines Rasenmähers" (so eine spanische Zeitung) lebte fortan von seinem Ruf, den er sich hauptsächlich durch das Englandspiel '72 in Wembley und durch die Verlängerung im Pokal-Finale '73 erworben hatte. Das reichte zur Mystifizierung.

Schon damals wurde "Netzer kam aus der Tiefe des Raumes" (K.H. Bohrer) ein geflügeltes Wort. Er lebt heute noch gut davon und kassiert ein hohes Honorar von der ARD für seine altklugen Kommentare während der letzten Weltmeisterschaft in Frankreich.

Außerdem sah ich live zwei Holland-Spiele in Dortmund. Zu der Begegnung mit Brasilien wurde eigens Henry Kissinger ins Westfalenstadion eingeflogen. Das Match artete aus, weil die Männer von der Copacabana sich als schlechte Verlierer entpuppten.

Sexuell hatte ich in der Zeit eine Affäre mit einer Nachhilfeschülerin aus der Nachbarschaft, die aber schon nicht mehr die Jüngste war, so daß keine Unzucht mit Abhängigen vorlag. Später wurde sie nach erfolgreichem Abitur Scientologin und dürfte mittlerweile Thetanin geworden sein.

Ich hatte 1974 mehr Zeit als sonst, weil ich mir beim Fußball in der Bezirksklasse für den SuS Wilhelmshöhe einen Außenknöchel gebrochen hatte und ein Jahr lang pausieren mußte. Ich fing an, mich ernsthaft mit Literatur zu beschäftigen, und allmählich reifte in mir der Plan, Schriftsteller zu werden. Ich studierte aber noch und verdiente mir als Bierfahrer in diesem Sommer so viel Asche, daß ich auch ohne Bafög klarkam.

Als ich neulich hier im Theater einige DDR-Leute, die der aus dem Osten stammende Intendant engagiert hatte, fragte, ob sie sich noch an das Sparwasser-Tor erinnerten, fingen bei den meisten die Augen an zu glänzen, auch wenn sie (angeblich?) regimekritisch waren. Mir war der Treffer im Grunde egal. Ich war kein BRD-Patriot, andererseits auch kein Freund der DDR. Auf jeden Fall konnte man damals sehen, daß Berti Vogts schon als Spieler keinen Schimmer hatte, wie man Fußball spielt, denn eigentlich ging jenes Tor auf seine Kappe.