Oscar für Til Schweiger!

Kein Holocaust-Mahnmal in Berlin, dafür Hollywood in Babelsberg. Die Pläne des Schattenmanns für SPD-Kultur, Michael Naumann

Auf dem Oberdeck eines Linienbusses der Berliner Verkehrsbetriebe äußerte sich vor Jahren ein schwäbischer Tourist mittleren Alters zur Teilung der ehemaligen Reichshauptstadt: "Wie sieht denn die Mauer aus! Die muß ja wohl mal wieder gestrichen werden. Aber wir bezahlen das nicht! Das soll der Osten bezahlen." Solche Leute, sagte Lenin, werden dereinst Bundeskulturminister sein. Der Kandidat Gerhard Schröder aber setzt vorläufig auf bewährtes Personal und läßt, vom Erfolg seines Schattenministers Stollmann ermutigt, aus New York den verdienten Kulturmanager Michael Naumann einfliegen. Dieser, aus der Studentenbewegung kommend, leitete das Zeit-Magazin, das Auslandsressort des Spiegel und den Rowohlt-Verlag, welchen er vom Makel einer linkslastigen Backlist befreite. Rowohlts Angestellte hatten, als der Posten vakant wurde, eigentlich Freimut Duve gewollt, die Pressefreiheit in Gestalt des Eigentümers Holtzbrinck aber siegte. In diesem Kulturkampf, bekennt Naumann, habe er sich "ein kühles Gemüt im Umgang mit Menschen antrainiert". Heute führt er zwei amerikanische Unternehmen desselben Konzerns. Neben seiner Erfahrung im Management und seinen menschlichen Qualitäten sind es Naumanns reaktionäre Meinungen, die ihn zum Kulturbeutel Schröders prädestinieren. Deutschland ist der größte Nettozahler in der EU, achtzig Prozent der Filmförderung aber gehen nach Frankreich. Das müsse anders werden. (Vielleicht sollte sich die europäische Kultur an der Landwirtschaft ein Beispiel nehmen und den Deutschen eine Prämie zahlen für jeden Film, den sie unterlassen.) Hans Albers hat nie einen Oscar bekommen; damit es Til Schweiger nicht ebenso ergeht, will Naumann zwischen Hollywood und Babelsberg vermitteln und deutsch-amerikanische Koproduktionen anleiern. Bundeswehrsoldaten sollen Besinnungsaufsätze über den 20. Juli schreiben, der beste wird mit einer - allerdings unbewaffneten - Auslandsreise belohnt. Die Intellektuellen, heißt es, hätten demnächst wohl wieder, wie zu den seligen Zeiten Willy Brandts, in der Politik ein Wort mitzureden. Obwohl doch Kohls berühmte Ignoranz den großen Vorzug besitzt, daß sie auch Ulrich Beck und Norbert Bolz ignoriert. Der meinungsstarke Mann hat auch zur Gestaltung der Hauptstadt seine Meinungen. Das Holocaust-Mahnmal, "das eiserne, steinerne, marmorne Memorial", das Albert Speers Monumentalbauten ähnele, die "gefrorene, vereiste Erinnerung", lehnt Naumann ab. Vielmehr gelte es, "jene Gedenkstätten in ganz Deutschland zu pflegen, in denen die Unmittelbarkeit, aber auch die Unvermittelbarkeit des Holocaust aufbewahrt ist". Die ehemaligen Konzentrationslager besitzen nämlich den Vorzug, daß sie uns gerade wegen ihrer Abgelegenheit besonders nahe sind und daß man, um die Unvermittelbarkeit unmittelbar zu spüren, weit fahren muß. Der schwäbische Tourist aber möchte, vom Hotel Adlon zum Stadtschloß flanierend, deutsche Tradition genießen, ohne von dem Ding da behelligt zu werden. Den Palast der Republik findet Naumann zwar "architektonisch interessant", trotzdem will er das Hohenzollernschloß wieder aufbauen, es hapere nur am Geld. Ist aber der politische Wille da, so werden sich Etatposten, Spender und Sponsoren finden. Der letzte sozialdemokratische Kanzler dilettierte öffentlich auf der Orgel, wollte jedoch von einer Kulturpolitik des Bundes nichts wissen. Schröder wird, wenn er die Gelegenheit bekommt, Kulturpolitik als Wirtschaftsförderung betreiben - ebenso wie alles andere auch. Zu diesem Zweck soll sein Naumann die beschränkte kulturpolitische Kompetenz der Bundesregierung, die bisher auf ein halbes Dutzend Ministerien verteilt ist, samt der zugehörigen Etats an sich bringen. Kritiker bangen um den Föderalismus, und die derzeitigen Amtsinhaber sträuben sich, obwohl sie ohnehin nicht mehr betroffen wären, gegen eine Minderung ihrer Befugnisse. Einem von ihnen ist unbedingt recht zu geben: Für den deutschen Film muß auch weiterhin das Ministerium des Inneren zuständig sein. Denn auf den Anblick einer Katja Riemann und eines Detlev Buck, wie sie alljährlich bei der Preisverleihung vorm Polizeiminister ihren Knicks machen, möchte man doch ungern verzichten. Übrigens, und das tut nun wirklich überhaupt nichts zur Sache: Wußten Sie schon, daß Stalin die russischen Juden umgebracht hat? Doch, es muß stimmen, Frank Schirrmacher schrieb es am letzten Samstag in seiner FAZ. Naumann habe einst den "Bericht über die Ermordung der russischen Juden durch Stalin innerhalb von Stunden zur Veröffentlichung angenommen". Welcher Verleger ließe sich einen solchen historischen Scoop auch entgehen? Vielleicht aber hat Naumann die Juden ermordet und Stalin bloß den Bericht geschrieben - bei Schirrmacher kann man da nie ganz sicher sein. Denn daß Naumanns Idiom von deutschen Kulturteilen verzückt wurde, hat er gewiß auch nicht gemeint: "Nicht Naumanns Meinungen, die ja keineswegs aufregend sind, sondern Naumanns Idiom der Macht haben Teile der deutschen Kultur in Verzückung gebracht." Schön gedichtet. Ein bißchen viel Naumann für meinen Geschmack, aber der Binnenreim ist einfach schön.