Völkische Leibesübungen

Der Deutsche Turnerbund lädt österreichische Rechtsextreme zum Turnfest nach München. Die Stadt unterstützt das Fest mit vier Millionen Mark

München 1958: Zehntausende strömen in die bayerische Landeshauptstadt zum 21. Deutschen Turnfest. Ein "Fest der Bewährung" für die deutsche Jugend soll es werden - es wird ein Fest des Chauvinismus. Die Turner aus dem Sudetenland marschieren in Uniformen auf, die an die faschistischen Henlein-Garden erinnern, Mitglieder der "Ostdeutschen Jugend" kommen in HJ-ähnlicher Uniform mit dem Dolch an der Seite. Und Bayerns Staatsminister Walter Stain - Jugendführer unter Konrad Henlein - fordert die Teilnehmer offen zum "Marsch gen Osten" auf.

Ein Verband tut sich in München besonders hervor: Der Österreichische Turnerbund (ÖTB). Stolz tragen Mitglieder des ÖTB bei der Eröffnung die "Traditionsfahnen" des Verbandes vor sich her. Darauf vier F in Hakenkreuzform - das Symbol der Ideale des "Turnvaters" und völkischen Antisemiten Friedrich Ludwig Jahn: "Frisch, fromm, fröhlich, frei". Auf anderen Fahnen des ÖTB prangen weitere Ideal des "Turnvaters": "Rassenreinheit, Volkeseinheit, Geistesfreiheit".

München 1998: 40 Jahre nach dem letzten Turnfest in der bayerischen Landeshauptstadt ist diese erneut Schauplatz der größten deutschen Turnveranstaltung. Vom 31. Mai bis zum 7. Juni steigt das große Fest. 100 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus mehr als 5 000 Vereinen und Verbänden werden erwartet. Motto der Veranstaltung: "Wir sind dabei". Mit dabei ist auch der ÖTB - auf ausdrückliche Einladung des Deutschen Turnerbundes (DTB). Seine faschistoiden Fahnen hat der ÖTB zwar vorerst in den Traditionsschrank gestellt - auch wenn sie noch bis Anfang der neunziger Jahre regelmäßig zum Einsatz kommen durften. Von einem endgültigen Abschied von seiner braunen Tradition ist der Verband indes weit entfernt.

Nach dem Handbuch des österreichischen Rechtsextremismus ist der ÖTB die "mit Abstand wichtigste Organisation des Deutschnationalismus und Rechtsextremismus" im Land. An Turnhallen des 70 000 Mitglieder starken Verbandes - eine von insgesamt vier österreichischen Turnerorganisationen - kann man bis heute Parolen lesen wie: "Dem Deutschen kann nur durch Deutsche geholfen werden, fremde Helfer bringen uns immer tiefer ins Verderben". Und in seinen 1996 verabschiedeten Leitsätzen bekennt sich der ÖTB nicht nur zu den "Grundlagen des Turnens nach Friedrich Ludwig Jahn": "Das Jahnsche Turnen vermittelt dem Menschen in seiner Körper-Geist-Seele-Einheit Gesundheit, Ausgeglichenheit und Lebensfreude", sondern auch zu "Volksgesundheit", zur "Pflicht, die Heimat zu verteidigen", und zur "Erhaltung, Pflege und Förderung des deutschen Volkstums" in Österreich.

Bei sogenannten Jahn-Ehrungen huldigen Mitglieder des ÖTB regelmäßig - zuletzt 1996 in Krems - dem "Turnvater" und Vordenker von Rassismus, Rassenhygiene und deutsch-völkischen Nationalismus, von dem Sätze stammen wie: "Polen, Franzosen, Pfaffen, Junker und Juden sind Deutschlands Unglück" oder: "Mischlinge von Tieren haben keine echte Fortpflanzungskraft, und ebensowenig Blendlingsvölker ein eigentümliches Fortleben (...). Wer die Edelvölker der Welt in eine einzige Herde zu bringen trachtet, ist in Gefahr, bald über den verächtlichsten Kehricht des Menschengeschlechts zu herrschen."

Die Antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München (AIDA) sieht den ÖTB "eingebunden in das rechte Netz Österreichs, (er) hat darüber hinaus Kontakte zu deutschen und italienischen Rechtsextremisten und sieht sich von seinem Selbstverständnis her weniger als Sportorganisation, sondern begreift sich eher als Erziehungs- und Bildungsinstitution auf den Grundlagen der Schriften und Ideologie Friedrich Ludwig Jahns".

Für den DTB ist das alles kein Grund, den Verband wieder auszuladen. Und auch die Stadt München, die das Deutsche Turnfest mit vier Millionen Mark unterstützt, hat wenig gegen die Teilnahme des ÖTB einzuwenden. Die Bündnisgrünen stellten im rot-grün regierten Stadtrat zwar einen Dringlichkeitsantrag auf Ausladung des Verbandes. Nachdem der Generalsekretär des DTB, Hans-Peter Wulenweber, den Stadträten jedoch versichert hatte, daß der ÖTB auf demokratischem Boden stehe und in München auch keine Jahn-Ehrungen vorgesehen seien, zogen die Grünen den Antrag wieder zurück.

Verwaltung und Polizei der Landeshauptstadt wurden statt dessen beauftragt, sicherzustellen, daß im Rahmen des Deutschen Turnfestes rechtsradikale Aktivitäten unterbleiben. DTB-Funktionär Wulenweber hat keinerlei Befürchtungen, es könne zu rechtsradikalen Ausfällen durch ÖTB-Mitglieder kommen. Seit 1952 nehme der Verband regelmäßig an deutschen Turnfesten teil, ohne je auffällig geworden zu sein. Stilisierte Hakenkreuzfahnen und Parolen wie "Rassenreinheit, Volkeseinheit, Geistesfreiheit" fallen auf Deutschen Turnfesten anscheinend nicht besonders auf.