01.04.1998

»Wir erledigen die Sache«

Robert Rockaway porträtiert Gangstergrößen der US-Geschichte

Juden sind nicht schlechter als andere Menschen; aber auch nicht besser, weshalb es nur natürlich ist, daß der Anteil Krimineller unter Juden dem in der übrigen Bevölkerung entspricht. Dennoch ist das Thema "jüdische Kriminelle" tabuisiert, vor allem bei Juden selbst. Vielleicht muß man wie Robert Rockaway Amerikaner sein und in Israel leben, um sich der Sache unbefangen zu nähern. Rockaway hat ein - höchst amüsant zu lesendes - Buch über jüdische Gangster in den USA geschrieben. Schon der Titel ist Programm: "But he was good to his Mother" - "Aber er war gut zu seiner Mutter." Denn tatsächlich waren jüdische Gangster, wie alle jüdischen Männer, ödipal geschädigt. Wenn in den Dreißigern Größen der New Yorker Unterwelt wie Benjamin "Bugsy" Siegel, Jack "Legs" Diamand oder Louis "Pretty" Arnberg in die Nachtclubs kamen, wurde von der Band "Ma Jiddische Mamme" gespielt - quasi als Erkennungsmelodie.

Siegel, Diamond, Arnberg, Mickey Cohen, der Zar der Westküstenunterwelt, Abner Zwillman, der "König von New Jersey", nicht zu vergessen Meyer Lansky, der wahrscheinlich klügste Gangster der USA (immerhin hat er kaum im Knast gesessen und starb eines für sein Milieu seltenen natürlichen Todes) - sie alle waren Kinder der Großstadtslums, in die die Ende des 19. Jahrhunderts aus Polen und Rußland ankommenden jüdischen Einwanderer gepreßt wurden. Das Leben dort war elend: Man wohnte in engen, dunklen Mietskasernen ohne sanitäre Einrichtungen, arbeitete für Hungerlöhne zwölf Stunden und mehr täglich in den "sweat-shop" genannten Kleinmanufakturen; Krankheiten wie TBC und Cholera waren endemisch.

Wer aus diesem Milieu möglichst schnell herauswollte, mußte fast zwangsläufig kriminell werden. Andere soziale Aufstiegschancen gab es kaum: Universitäten und die besseren Berufe waren damals Juden kaum zugänglich - jedenfalls Ostjuden nicht. Und so schlossen sich häufig die besten - jedenfalls gewieftesten - ihrer Generation zu Gangs zusammen, um mit Schutzgeld, Glücksspiel und Zuhälterei schnell zu Geld zu kommen.

Richtig dicke Kohle machten die Gangs nach dem Ersten Weltkrieg, als die USA Ausschank, Verkauf und Genuß alkoholischer Getränke gesetzlich verboten. Die Prohibition wurde zur Gründerzeit von Riesenvermögen, von denen manche, inzwischen legal, bis heute existieren, auch wenn die Enkel meist verdrängt haben, mit welchen Methoden ihre Großväter die Dynastien begründet haben.

Die Prohibition war auch die Geburtsstunde des organisierten Verbrechens in den USA. Nach langen, blutigen Schlachten zwischen rivalisierenden Gangs kam man damals auf die vernünftige Idee, statt sich zu bekriegen, lieber das Terrain aufzuteilen und Streitigkeiten nicht mehr mit der Knarre, sondern über eine Art Schiedskommission auszutragen. Jüdische Gangster waren an dieser Quasi-Zivilisierung des Bandenlebens führend beteiligt. Für die Durchsetzung der Regeln war die mit Gewaltmaßnahmen gegen Freund und Feind betraute "Murder Incorporated" unter Louis "Lipke" Buchalter zuständig.

Natürlich war den zu 98 Prozent gesetzestreuen jüdischen Bürgern das Treiben ihrer kriminellen Glaubensgenossen peinlich. Man fürchtete, das jüdische Gangsterwesen könnte den Antisemitismus befördern. Andererseits griffen auch brave jüdische Bürger gelegentlich auf die Hilfe der ansonsten Verfemten zurück. Als in den Dreißigern in den USA faschistische Gruppen nach deutschem Vorbild jüdische Gemeinden terrorisieren wollten, machten eilig herbeigeholte "Schtarkers" dem Treiben der US-Nazis mit Baseballschlägern und Schlagringen schnell ein Ende.

Denn die jüdischen Gangster vergaßen nie, daß sie Juden waren. Nicht unbedingt im religiösen Sinne: der Profikiller, der vor jedem Job morgens den Tallit anlegte, war eine Ausnahme, genauso wie der Gangsterboß, der von der Totenwache eines seiner Kumpane mit der Begründung fernblieb, er sei ein Kohen, und Kohanim sei es nun mal verboten, mit Leichen in Kontakt zu kommen. Aber ihren Leuten fühlten die Verbrecher sich verbunden. Viele von ihnen meldeten sich freiwillig im Zweiten Weltkrieg an die deutsche Front, um die Nazis zu bekämpfen. Andere hatten bereits in den Dreißigern einen Plan ausgeheckt, Hitler zu beseitigen. "Irgendwie hat dann das FBI Wind von der Sache bekommen und angefangen, herumzuschnüffeln. Der Plan mußte fallengelassen werden", berichtet einer der Beteiligten in dem Buch.

Aktive Hilfe von der jüdischen Unterwelt erhielt nach dem Krieg der Jischuw in Palästina. Vor allem Menachem Begins Irgun konnte auf zahlreiche Sympathisanten im kriminellen Milieu zurückgreifen, die dabei halfen, Waffen zu besorgen und - Embargo hin, Embargo her - außer Landes zu schmuggeln. Aber auch die Haganah hatte ihre Freunde. Als einer ihrer Mitglieder in Baltimore Geld sammeln war, wurde er eines Tages angerufen und zu einem abendlichen Treffen bestellt. Dort saßen einträchtig versammelt sämtliche jüdischen Gangster der Stadt. Der Oberboß ließ den Mann aus Israel berichten, dann schaute er sich kurz um und gab Anweisung, wer wieviel zu spenden hatte. 90 000 US-Dollar in bar kamen zusammen, die dem Haganah-Mann in einer braunen Papiertüte überreicht wurden.

Und Teddy Kollek, damals Haganah-Emissär in New York, erinnert sich, wie ihn einmal eine Delegation jüdischer Gangster aus Brooklyn aufsuchte. Geld hätten sie leider nicht, erklärten die Herren, würden aber trotzdem gern helfen: "Wenn Sie jemanden umgelegt haben wollen, machen Sie einfach eine Liste, und wir erledigen die Sache!" Kollek lehnte höflich dankend ab.

Rockaways Buch ist voll von derartigen Anekdoten. Anekdoten aus einer abgeschlossenen Vergangenheit. Denn das jüdische Gangstertum der USA existiert so nicht mehr. Das liegt daran, daß auch die Männer der Unterwelt als gute Juden Wert darauf legten, daß ihre Kinder etwas "Besseres" sein sollten: Arzt oder Anwalt zum Beispiel.

Was bleibt, ist ein Stück jüdisch-amerikanischer Sozialgeschichte, spannend erzählt und faszinierend zu lesen.

Verleger Greenfield hatte, wie er erzählt, Bedenken gehabt, ob er ein Buch zu einem solchen Thema herausbringen sollte - schließlich gehören Gangster nicht in den offiziellen Pantheon jüdischer Geschichte. Kaum war das Werk erschienen, klingelte bei ihm auch schon das Telefon. Eine wütende weibliche Stimme: "Sind Sie der Verleger dieses Machwerks? Dann sollten Sie sich schämen. Ihr Buch ist ein Skandal. Mein Onkel kommt darin nicht vor. Der war ein viel größerer Ganove, als all die Typen, die Sie da beschreiben!"

Robert A. Rockaway: But he was good to his Mother - The Lives and Crimes of Jewish Gangsters, Gefen Publishing House, POB 6056, Jerusalem 91060, 16,95 US-Dollar