»Zwischen Pathos und Peinlichkeit«

Die Starschneiderin Regula Zink über ihre Arbeiten, die derzeit in der Berliner Ausstellung "Starke Gesten" zu sehen sind

Sie haben in Karlsruhe studiert, zunächst bei Markus Lüpertz. Gibt es da Bezüge zu dem, was Sie jetzt machen?

In Karlsruhe war große Malerei angesagt, aber es war nicht üblich zu fragen, warum man das überhaupt macht. Bei Markus Lüpertz hat mir die Lust an großen Arbeiten gefallen, am Wühlen in Farbe; aber diese Malerei um der Malerei willen wurde mir später suspekt. Es ließ sich alles so saftig und lecker machen - man nimmt tropfende Farbe und setzt trockene dagegen, usw. - mir genügte das nicht.

Sie hatten also Gründe, die "leckeren" Bilder hinter sich zu lassen.

Ich finde Arbeiten spannender, in denen ein Konflikt sichtbar wird, die etwas Ungelöstes in Kauf nehmen, vielleicht auch peinliche oder penetrante Aspekte.

Inwiefern gilt das für Ihre eigene Arbeit?

Monumentalfiguren haben meist etwas Fragwürdiges, z.B. der Neptunbrunnen oder das Bismarck-Denkmal in Berlin, die gewaltigen Figuren auf den Plakatwänden, Hollywoodkino, auch der längst trivialisierte "David" von Michelangelo und schließlich Arno Brekers "Partei" oder Vera Muchinas "Arbeiter und Kolchosebäuerin" - das hat mit meiner Arbeit zu tun. Spätestens wenn sich Assoziationen mit nationalsozialistischer oder stalinistischer Plastik ergeben, ist die Frage unumgänglich: Was zieht mich daran an, trotz der Anstößigkeit, was habe ich für eine Position?

Aber das sind keine Fragen im stillen Kämmerlein - sie sind Teil der Arbeit. Auch die Fragen, die ein anderer dazu stellt. Wenn jemand sagt: "Das ist ja entsetzlich, das erinnert doch an die Nazizeit!", dann gehört das zur Arbeit. Genauso wie die Feststellung: "Endlich mal nicht nur Geschmier! Die kann wenigstens was!" Daraus ergeben sich die besten Gespräche.

Wollen Sie die Leute provozieren?

Es geht weder um Provokation noch um Ironie. Ich stelle die Frage nach der Faszination doch auch mir selbst: Wo ist die Grenze zwischen Pathos und Peinlichkeit?

Es gibt eine verbreitete künstlerische Position, die behauptet, es komme darauf an, Modelle zu entwickeln, anstatt nach Selbstausdruck zu streben. Was wollen Sie?

Man kann keine Position einnehmen, ohne zunächst von sich selbst auszugehen. Aber ich glaube auch nicht an die Möglichkeit, sich einfach direkt "auszudrücken". Meine Arbeiten ergeben sich aus der Distanz, die ich zu mir selbst einnehme - vor, während und nach dem Arbeitsprozeß.

Aber man kann Abstände schaffen, in denen das Ich schwer greifbar wird, während das betont Manuelle Ihrer Arbeit diesen Entzug nicht ermöglicht. Oder nicht will?

Es geht sicher nicht darum, durch eine "Handschrift" mein Ich sichtbar zu machen. Die Entscheidung für Kohle auf Papier z.B. hat pragmatische Gründe: Die Zeichnung ermöglicht eine Überplastizität, die sich mehr dem Berühren, dem Abtasten verdankt als dem Sehen. Berühren hat mit Nähe zu tun. Sehen kann ich die entferntesten Dinge. Den Fernsehturm am Alexanderplatz finde ich z.B. ausgesprochen schön. Aber wer ihn berühren will, stellt fest, daß man gar nicht nah genug herankommt. Man kann den Turm nur sehen, und er sieht immer ganz nah aus. Das ist ähnlich beim Empire State Building und ganz anders bei einer mittelalterlichen Kathedrale. Das scheint mir eine totalitäre Seite von Monumentalität zu sein - dieses: "Ich bin da, ich bin schön, von überall sichtbar, aber nicht berührbar." Durch die Zeichnung kann ich meine Figuren sehr nah erscheinen lassen - nicht unnahbar.

Rechtfertigt die Direktheit Ihrer Arbeiten, wieder von Autorenschaft zu reden?

Natürlich können diese Zeichnungen so nur von mir gemacht werden, aber darum geht es nicht. Der Anblick mag zunächst sehr direkt wirken. Aber dieser erste Eindruck wird gleich fragwürdig, und dann beginnt eine Gratwanderung. Darauf kommt es mir an. Mir gefällt es, wenn man sagen kann: Das geht jetzt aber schon zu weit. Der Schritt, auf den es ankommt, ist immer ein Schritt zu weit. Da stellt sich nämlich die Frage: Was ist da passiert, warum wird es hier "anstößig"?

Mich interessiert dieser Balanceakt; auch bei anderen Künstlern. Hodler ist ein gutes Beispiel, bei dem mich vieles begeistert, ich anderes als unfreiwillige Komik empfinde. Was kippt da um? Bei Leni Riefenstahl liegt die Sache wieder anders. Einerseits finde ich ihre Arbeit großartig, z.B. wie sie die Faszination sichtbar macht, die von Menschenmassen ausgeht. Aber andererseits ignoriert sie einen ganz wesentlichen Aspekt ihrer Arbeit, nämlich die ideologische Ausbeutbarkeit dieser Faszination. Zur Frage nach der Monumentalität gehört notwendig die Frage, wie ist sie einsetzbar.

Was bedeutet Ihnen der Rückgriff auf historische Kunstfiguren als kulturelle Konstrukte? Haben Sie Lust am "Enttarnen" von Modellen unserer Selbstwahnehmung und Prägung?

Wenn ich den "David" sehe, dann sehe ich zunächst nur "große Kunst". Bei Brekers "Partei" sehe ich sofort Nazipropaganda. Diese Einordnungen - Kunst oder Kitsch, gut oder schlecht / böse - verbergen aber einen Aspekt, den Michelangelo und Breker mit Werbung und Hollywood-Schinken gemeinsam haben. Es ist kein Zufall, daß Monumentalität und große Gesten so oft zum Transportieren von ideologischen oder Werbebotschaften benutzt werden. Mich interessiert z.B., was in der Renaissance in den Menschen vorging angesichts dieser gewaltigen Werbeträger für Florenz oder den Vatikan. Wahrscheinlich hatte das mehr mit "Vom Winde verweht" zu tun als mit unseren Museumsbesuchen.

Monumentalität spricht etwas im Betrachter an, eine Sehnsucht vielleicht, die ihn dann für Identifikationsmuster besonders aufnahmefähig macht. Einerseits fühle ich mich winzig und unbedeutend angesichts z.B. einer stalinistischen Plastik; andererseits setze ich mich im Geiste an ihre Stelle, oder an die des Models auf der Plakatwand, etc. - auch ich bin gewaltig und schön. Diese Identifikation interessiert mich: den eigenen Körper monumental zu erleben. Es ist zwar klar, daß sich das Material meines Körpers durch nichts vom restlichen Kosmos unterscheidet, denn ich bin aus Atomen zusammengesetzt. Aber dennoch erlebe ich zunächst die ganze Welt in Beziehung zum eigenen Körper, als absoluter Gegensatz zu ihm. So betrachtet bin ich natürlich nicht winzig, sondern riesig: das Zentrum der Welt! Anders gesagt: Ich kann meinen Körper berühren, wie diesen Tisch oder wie eine Skulptur, aber gleichzeitig bin ich in dieser Skulptur. Mir scheint, das hat etwas mit der Lust am Monumentalen zu tun.

Hier könnten aber auch Gründe für Mißverständnisse liegen, z.B. könnte man Ihnen eine akademische Position unterstellen und behaupten, daß Sie die Welt von einem intakten Seele-Körper-Zentrum, von einem autonomen Ich aus sehen und interpretieren. Das Manuelle suggeriert auf den ersten Blick in diesem Sinne Integrität.

Mir ist dieses "Ich" ja gerade nicht selbstverständlich. Wenn ich mich selbst in der Pose des David darstelle, dann bin das weder ich noch ist das "David". Ich steige in diese Skulptur. Es gibt natürlich keine Eindeutigkeit mehr, was der Körper eigentlich ist. Es hat etwas Naives, ihn einfach nur zu nennen. Aber bei meiner Arbeit ist das eher eine künstliche Voraussetzung: Ich tue so, als ob ich einen Körper hätte. Ich weiß, daß er da sein muß, aber ich weiß nicht, was er bedeutet.

Typisch weiblich, wird man sagen, eine Vergewisserung im Leiblichen.

Das ist einfach ein künstlerischer Standpunkt. Es bedeutet, daß man von einer selbstgewählten Position ausgeht in unsicheres Terrain, daß man einen Ausgangspunkt, so angreifbar er auch sein mag, erst einmal annimmt. Das ist ein Risiko. Aber wenn ich schon vorher weiß, wie es wird, dann habe ich alles schon getan. Dann brauche ich kein Material mehr in die Hand zu nehmen.

Ebert und Ingrid Wagner-Kantuser für die Neue Gesellschaft für Bildende Kunst