Do you remember the days of November?

Verschwörung der Solisten

Nur ein Buch, das die Linke nicht interessiert, kann die Linke weiterbringen

Das einzige, was sich substantiell gegen das Buch "Goldhagen und die deutsche Linke" einwenden ließe, ist: Es kommt zu spät. Das Thema bleibt wichtig, aber die Feuilletons der Republik haben sich schon abgewandt und spekulieren auf die Gnade der späten Geburt. There's no business like Shoa-business? Schön wär's! In der Warengesellschaft braucht's zu jeder Quartalsmesse einen neuen Hype, und was ist schon Auschwitz gegen Srebrenica? In den bosnischen Bergen wird die Vergangenheit wieder gutgemacht, und zwar von der Bundeswehr, da braucht es keinen Goldhagen mehr. Und außerdem stirbt der Regenwald, das Ozonloch wird stündlich größer und zuguterletzt kommt jetzt El Ni-o - dagegen war doch die SS ein laues Lüftchen. Oder so.

Die Abwehrreflexe der Bürgerwelt könnten einem eigentlich schnurz sein, gäbe es ein Interesse für das Thema auf der Linken. Das gibt es aber nicht, auch dort regiert die Verdrängung, und davon handelt das Buch - und spekuliert gleichzeitig auf den Kaufwillen der zurecht Kritisierten. Das könnte schief gehen.

Zur Sache muß man in Jungle World wenig Worte machen, denn das Anliegen des Autoren-Kollektivs - sechs Männer, zwei Frauen - findet sich an guten Tagen auch in unserem Blatt: Den ordinären Antikapitalismus der deutschen Linken mit Goldhagens erdrückenden Beweisstücken von "den" Deutschen als Tätern der Judenvernichtung zu konfrontieren; die qualitativen Unterschiede zwischen gewöhnlichem Faschismus ˆ la Mussolini und totalitärem Nationalsozialismus ˆ la Hitler aufzuzeigen und daran die Analysen der Kommunistischen Internationale zu blamieren; darauf zu insistieren, daß der Antisemitismus der Kern der Volksgemeinschaft und ihres Vernichtungswillens war - und nicht der Imperialismus oder der Antikommunismus, wie es die professorale Nachhut von SED und DKP bis heute behaupten. Herr Kühnl wird nach der Lektüre hoffentlich schlechter schlafen (und er ist, verglichen mit seinen rotbraunen Parteigenossen, noch eine integre Figur).

Über einige Aussagen des Buches wird man freilich weiter diskutieren müssen: Urteilen die Autoren nicht vorschnell über die Kritische Theorie, wenn sie ihr Ignoranz gegenüber der "nationalen Besonderheit" der Judenvernichtung vorwerfen? Führt die notwendige antideutsche Pointierung, wenn sie überdreht wird, nicht von der antikapitalistischen Fundierung weg? Dies hat unter anderem Hermann L. Gremliza umgetrieben, der sich in konkret eigens zu einer Replik auf eine entsprechende Rezension von "Goldhagen und die deutsche Linke" herausgefordert sah. Immerhin: Hätte das Buch nur erreicht, daß die Debatte im Hamburger Zentralorgan mit Konsequenz zu Ende geführt würde, wäre schon viel gewonnen.

Auch der Vorwurf von Heiner Möller, die Autoren würden eine "Goldhagen-Kampagne" versuchen und damit ein obsoletes Politikastertum aus K-Gruppen-Zeiten imitieren, ist deplaziert: Es geht dem Buch nicht um einen kritiklosen Goldhagen-Kult - die fehlende materialistische Fundierung seines "kognitiven" Ansatzes und seine Schwächen in der Erklärung der heutigen BRD werden auf vielen Seiten kritisiert. Und wenn die versammelten Gesellschaftskritiker im letzten Jahr eine Goldhagen-Kampagne mit aktueller (nicht nur historischer) Deutschland-Kritik auf die Beine hätten stellen können, wäre das nur zu begrüßen gewesen. Denn das marginale kritische Potential in dieser Gesellschaft sammelte sich in der Goldhagen-Rezeption: Erinnert sei an die etwa 100 000 Besucher seiner Veranstaltungen, die die vom deutschen Feuilleton herbeigesehnte und von Nolte und Co. geplante Abstrafung des Amerikaners durch eindeutige Parteinahme verhinderten und so den Geschichtsrevisionisten die erste Schlappe seit Jahren bereiteten. Einen Diskurs zu stiften, der diese Menschen einbezieht - das müßte die wichtigste Aufgabe derjenigen sein, die von der Linken die Nase voll haben, aber - ausgehend von Adornos kategorischem Imperativ, alles zu unternehmen, daß Auschwitz nicht sich wiederhole - an der Notwendigkeit einer gesellschaftlichen Umwälzung festhalten. Ziel dieses Diskurses wäre nicht die Entstehung einer Massenbewegung - Marx behüte, davon gab es in Deutschland schon viel zu viele - sondern eine "Verschwörung der Solisten" (Küntzel) unter dem Motto von Ulrich Sonnemann: "Das deutsche Volk kann Revolution machen nur noch gegen sich selbst."

Matthias Küntzel, Klaus Thörner u.a.: Goldhagen und die deutsche Linke. Elefanten Press, Berlin 1997, 192 S., DM 29,80