»Im Politik-Fetisch wird sich nichts Emanzipatives bewegen lassen«

Jungle World im Gespräch mit dem ehemaligen RAF-Mitglied Knut Folkerts über die Schleyer-Entführung und den Herbst 1977

Knut Folkerts schloß sich in den siebziger Jahren der RAF an und wurde am 22. September 1977, während der Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer, in Utrecht verhaftet. Drei Monate später verurteilte ihn ein niederländisches Gericht wegen Mordes an einem Polizeibeamten, der nach einer Schießerei bei der Verhaftung Folkerts starb, zu 20 Jahren Haft. Später lieferten ihn die holländischen Behörden nach Deutschland aus. Im Stammheimer Gerichtsgebäude wurde er im Juli 1980 unter anderem wegen Beteiligung am Attentat auf den Generalbundesanwalt Siegfried Buback im April 1977 zu zweimal lebenslänglich verurteilt. Nach vierjähriger Einzelisolation kam er in Anschluß an einen kollektiven Hungerstreik der RAF-Gefangenen 1981 vom Stammheimer Hochsicherheitstrakt nach Celle und wurde dort mit Karl-Heinz Dellwo, 1982 auch mit Lutz Taufer, zusammengelegt. Nach über 18 Jahren Haft wurde Knut Folkerts im Oktober 1995 entlassen. Heute lebt er in Hamburg.

Der Deutsche Herbst 1977 ist zum Medienhype geworden. Ob Spiegel oder ARD, kein Medium läßt es sich nehmen, die Story jener Tage zu verkaufen, in denen der Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer von der RAF entführt wurde. Heute, 20 Jahre später, hat sich die RAF faktisch aufgelöst, die Verhältnisse scheinen stabiler als je zuvor. Welche Bedeutung mißt du dieser nachträglichen Inszenierung der Ereignisse zu?

Die Geschichte soll aus herrschender Sicht geschrieben werden. 1977 wurde der BRD-Staat im Ausnahmezustand kenntlich. Es wurden Strukturen und Verhältnisse sichtbar, wie immer, wenn es darauf ankommt - eine auf "Vernichtung eines Feindes mit kriegerischen Mitteln angesetzte Innenpolitik", wie eine Initiative zur Abschaffung der sogenannten "Antiterror"-Sondergesetz jetzt formuliert. Das, was derzeit in den Medien kommt, ist nicht die Geschichte jener Konfrontation, noch weniger ist es der Begriff. Es ist der Versuch, eine geschichtliche Phase zu entsorgen. Die derzeitige mediale Thematisierung spiegelt immer noch die enorme Herausforderung dieses Angriffs wider: "Die schwerste Krise der BRD" - ausgelöst dadurch, daß hier in diesem Land, mit dieser Geschichte und seinen Strukturen die Spitzenfigur der deutschen Wirtschaft in einer Stadtguerilla-Aktion gefangengenommen wird, um sie gegen Gefangene aus einer Bewegung auszutauschen, die in fundamentaler Opposition zu diesem System stand. Im übrigen scheinen die gegenwärtigen Verhältnisse vielleicht stabiler, sie sind es aber nicht.

Betrachtet man die geringe Bedeutung, die die RAF 1977 tatsächlich im gesellschaftlichen Gefüge hatte, stellt sich die Frage, ob der Versuch, durch die Entführung Schleyers Gefangene freizupressen, komplett an der Realität vorbeiging. Dem Staatsapparat hat es kaum Probleme bereitet, euch politisch zu isolieren. In der Linken, selbst in der radikalen Linken, wollte man euren Ansätzen nicht folgen. Entsolidarisierung stand auf der Tagesordnung, politische Widersprüche und die staatliche Repression im Deutschen Herbst taten das Übrige ...

Die Linke war schon in den Jahren zuvor merklich schwächer geworden und aufgespalten. Die Repression hatte vielen die "Instrumente" gezeigt, über die der Staat verfügt. Trotzdem: Der Staat hatte damals viele Feinde. Es gab Tausende, die sich als Militante begriffen hatten. Man darf die immensen Kampagnen nicht vergessen, mit denen gegen radikale Linke vorgegangen wurde und durch die "Sympatisantenpositionen" zurückgedrängt werden sollten - Positionen, die die Regierung in den Siebzigern erschrecken ließen. Von den bis zu 20 Prozent der Bevölkerung, die Sympathien mit der RAF - wie ambivalent auch immer - hatten, durften natürlich nur "20 Fanatiker" übrig bleiben.

Auf der anderen Seite hat die RAF selbst zu ihrer Isolierung beigetragen. Diese Isolierung wurde vervollständigt mit der Entführung der Lufthansa-Maschine im Oktober 1977 durch eine palästinensische Gruppe, eine Aktion die der fundamentalen Bestimmung der RAF widersprach, keine Aktion gegen die Bevölkerung zu richten.

Aber ohne Unterstützung kann keine illegale Gruppe gegen einen so hochgerüsteten Apparat bestehen. Doch die RAF bestand sehr lange. Es gab in der ganzen Zeit Menschen, die sich diesem Kampf auf die eine oder andere Art verbunden fühlten und ihn unterstützten. Insoweit drückte die Existenz der RAF auch immer mehr aus als nur die Tatsache, daß einige wenige beschlossen hatten, bewaffnet und illegal zu kämpfen. Man muß heute vielleicht daran erinnern, daß Anfang der siebziger Jahre Tausende über die Notwendigkeit von bewaffnetem Kampf diskutierten.

Dennoch wäre es wohl übertrieben, von einer Verankerung zu sprechen, zumal die RAF sich selbst immer gegen ein Anbiedern an die Bevölkerung verwahrt hat und anderen Gruppen, beispielsweise der Bewegung 2. Juni, Populismus vorwarf.

Alle revolutionären Initiativen in diesem Land litten - wollten sie ihn nicht opportunistisch aufIösen - unter dem Widerspruch zwischen der Realität dieser Bevölkerung und der Notwendigkeit, hier eine Basis zu finden. Die Verankerung als bewaffnete illegale Gruppe sollte Ergebnis eines längeren Kampfprozesses sein, der Bewußtsein und Mentalitäten in Teilen der Bevölkerung verändert. Wir gingen aber davon aus, daß praktisches Handeln unverzichtbar ist, um überhaupt einen fundamentalen Gegenstandpunkt in diese Metropolenverhältnisse hineinzubringen und nach der ganzen Rhetorik vieler 68er Glaubwürdigkeit zu gewinnen. So ging es zunächst darum, die Option des bewaffneten Kampfes aufzubauen, damit anzufangen und später gegen die Repressionswelle zu verteidigen. Das hatte auch geschichtliche Wurzeln. Beispielsweise sahen wir in der defensiven Politik der KPD eine wesentliche Ursache dafür, daß die linke Massenbewequng gegenüber dem Faschismus unterlegen war. Die siebziger Jahre waren geprägt vom Kampf militanter Organisationen weltweit. Überall gab es Guerilla-Gruppen. Der bewaffnete Kampf zur Selbstbehauptung gegen einen mächtigen Feind und für die Revolutionierung der gesellschaftlichen Verhältnisse war eine weltweite Tendenz.

Trotz der international zahlreich vorhandenen Ansätze, sich zu bewaffnen, entfernte sich die deutsche Linke zunehmend von der RAF ...

Man sollte solidarische Kritik unterscheiden von Vorwänden, um sich zu verabschieden: vom zuvor angebeteten Proletariat, vom Internationalismus, vom Kampf überhaupt. Statt etwas radikal zu kritisieren, wird es oft ganz verworfen. Die RAF hat durch ihre Fehler, durch pauschalisierende Kritik und Abwehr von Kritik auch dazu beigetragen. Im übrigen ist aber auch den anderen bewaffnet kämpfenden Gruppen in der BRD die Basis und ihr Projekt abhanden gekommen. Das Konzept Stadtguerilla der RAF sah vor, den illegalen mit dem legalen Kampf ebenso zu verbinden, wie den nationalen mit dem internationalen. In der Praxis sah es leider anders aus.

Was auch mit der politischen Orientierung der RAF, ihrer dogmatisch und ausschließlich antiimperialistischen Ausrichtung, zusammenhing ...

Das lag zunächst einmal daran, daß wir sehr wenige waren, maximal 20 Leute. Es war einfach eine Überforderung. Man hätte dem viel mehr Zeit und Aufmerksamkeit widmen müssen. Voraussetzung wäre auch eine Kommunikationsstruktur mit der radikalen Linken gewesen. Aber man muß sich noch einmal vergegenwärtigen, woran der Kontakt abgerissen ist. Schließlich kamen wir selbst aus der legalen Linken. Es existierte schon die Vorstellung, durch gemeinsame Kämpfe eine revolutionäre Einheit zu entwickeln. Praktisch blieb sie beschränkt. Es gab aber - trotz Entsolidarisierung - Sympathie mit der RAF, Solidarität mit den Gefangenen, wenn auch keine gemeinsamen Kampagnen.

Neun Kommuniques hat die RAF allein während der Entführung Schleyers veröffentlicht. Die Rolle des ehemaligen SS-Mannes blieb dort allerdings ebenso unerwähnt wie seine Bedeutung als Arbeitgeberpräsident. Warum ist die RAF nicht populistischer, um diesen fragwürdigen Begriff zu gebrauchen, mit der Person Schleyers umgegangen, hätte man damit möglicherweise die eigene Position gestärkt? Schließlich erfreute sich Schleyer auch in der Bevölkerung nicht gerade großer Beliebtheit.

Sicher ist der politische Kampf in dieser Auseinandersetzung viel zu kurz gekommen. Es ist an der Person von Schleyer nicht herausgearbeitet worden, was er eigentlich in maximaler Weise personifizierte: den Übergang vom SS-Führer - und Wirtschaftsfachmann an der Seite des stellvertretenden Reichsprotektors für Böhmen und Mähren, Reinhard Heydrich - zum Führer der deutschen Wirtschaft, der die Konstitution der BRD bis hin zu ihrer neuen internationalen Rolle als Weltmarktgewinner repräsentierte wie kaum ein anderer.

So konnte es der Gegenseite in jenen Wochen gelingen, in seiner Person nur noch das leidende Opfer sehen zu lassen. Die Thematisierung seiner Rolle hätte die Grundsatzentscheidung der Regierung, ihn für die Staatsräson zu opfern, nicht ändern können. Aber das Feld der öffentlichen Auseinandersetzung wäre nicht so weit dem Staat überlassen worden. Theoretisch wäre daraus auch eine Vermittlungsposition möglich geworden.

Im April 1977 wurden der Generalbundesanwalt Siegfried Buback und im August der Chef der Dresdner Bank, Jürgen Ponto, erschossen. Ebenfalls im August installierte die RAF gegenüber der Bundesanwaltschaft einen Raketenwerfer, der aber nicht funktionierte. Alle Aktionen standen im Zusammenhang mit der lebensbedrohlichen Situation der politischen Gefangenen. Mit der Entführung Schleyers sollten schließlich elf Inhaftierte freigepreßt werden. War das denn noch realistisch? Schließlich hatten die Vertreter des deutschen Staates doch spätestens während der Botschaftsbesetzung der RAF in Stockholm 1975 klargemacht, daß sie sich nach der Entführung des CDU-Mannes Peter Lorenz durch die Bewegung 2. Juni auf einen solchen Deal nicht mehr einlassen würden.

Wenn man davon ausgegangen wäre, daß um keinen Preis ausgetauscht wird - darauf hätte man aufgrund der geschichtlichen Rolle der Sozialdemokratie kommen können -, hätte man die Freiheit der Gefangenen nicht zu einer politischen Machtfrage entwickeln dürfen, sondern andere Wege suchen müssen. Aber auch immanent betrachtet, war die Zuspitzung an der Gefangenen-Frage - ohne politische Voraussetzungen und Strukturen geschaffen zu haben - ein Fehler. In ihrer zeitlichen Dichte und der Herausforderung, die in ihnen lag, waren die Aktionen von 1977 so eskalierend, daß die RAF das Terrain politisch nicht ausfüllen und die Folgen nicht mehr handhaben konnte. Am Funktionieren der Nachrichtensperre, die von den Medien freiwillig vollzogen wurde, ist deutlich geworden, daß wichtige Voraussetzungen nicht vorhanden waren. Eine Kommunikation außerhalb dieser vereinheitlichten Staatsstruktur gab es trotz zahlreicher linker Publikationen nicht.

Hätte man mit dieser staatlichen Reaktion nicht rechnen müssen? Vor allem aber: Hat sich die RAF vor Beginn der Offensive 1977 damit auseinandergesetzt, was es für die legale Linke heißt, daß der Staat mit einer solch heftigen Repression reagiert?

Über die zu erwartende Reaktion und Repression bestanden keine Zweifel. Was die Linke betrifft: Wir sind davon ausgegangen, daß die Konfrontation polarisierend, also auch klärend wirken würde. Ein Teil der Linken würde klein beigeben und sich auf die Seite des Staates stellen, ein anderer Teil der Linken- so hofften wir - würde sich von ihrem eigenen Standpunkt ausgehend gegen ihn wenden.

Zumindest vorübergehend hat der Ausgang der RAF-Offensive 1977 eher lähmend auf die Linke gewirkt. Würdest du heute, zwanzig Jahre später, von einer Niederlage sprechen?

1977 endete mit einer Niederlage. Das Schwerstwiegende daran ist, daß die RAF in dieser zugespitzten Konfrontation selbstgesetzte Grenzen überschritt und wesentliche Inhalte negierte. Das muß begriffen werden - allerdings auch im gesamten Zusammenhang, damit aus dieser Geschichte, mit der soviel Einsatz von Leben und Energie verbunden ist, auch Erkenntnisse gewonnen werden. Einerseits gab es Fehler und Schwächen, die auch mit den konkreten Bedingungen der damaligen Situation zusammenhängen. Andererseits muß man auch die historischen Grenzen akzeptieren: Eine Revolutionierung der Metropolen war in jener Zeit - auch im globalen Zusammenhang - objektiv nicht möglich. Die Linke, aus der wir kamen, war historisch begrenzt. Die Bezeichnung "Linke" verweist ja auf die parlamentarische Sitzordnung nach der bürgerlichen Revolution. Ein ziemlich altertümlicher Bezugsrahmen. Auch wenn viele nicht dem parlamentarischen Kretinismus verfallen sind, so wird doch der Fetischzusammenhang von Ware-Geld-Staat-Politik und so weiter unhinterfragt wie ein Naturgesetz weitergeschleppt

Das klingt deterministisch. Sicher ist die RAF in gewisser Weise genauso an den objektiven Bedingungen gescheitert wie die gesamte Linke. Dennoch gibt es in jeder Organisation, jeder Bewegung spezifische Gründe, die zu Niederlagen führen.

Wir sind damals wie viele Linke davon ausgegangen, daß sich das internationale Gleichgewicht mit dem Sieg des Vietcong zugunsten der weltweiten Befreiungsbewegungen verschieben und der Imperialismus in die strategische Defensive kippen würde. Diese Einschätzung basierte auf Analysen, wie sie schon auf dem Vietnam-Kongreß 1968 diskutiert wurden. Wir gingen von den Rückwirkungen in die Metropole aus, die mit der inneren kapitalistischen Krise zusammenkommen würden. Aber die technologische Revolution und die Globalisierung der Warenverhältnisse schuf für den Kapitalismus ein neues Entwicklungsstadium, das die folgende Phase bestimmte und die zur Staatlichkeit gezwungenen Befreiungsbewegungen den Gesetzen des Weltmarkts unterwarf. Jetzt erst wird die Krise des Systems in ihrer Tragweite und Tiefe sichtbar. Der Zusammenbruch der sogenannten sozialistischen Staaten ist kein Sieg des Kapitalismus. Er befindet sich jetzt, da er seinen Höhepunkt erreicht und alles seiner Logik untergeordnet hat, in einer fundamentalen Krise, aus der es einen Ausweg innerhalb der bestehenden Formen nicht mehr geben kann.

Auch die Revolutionären Zellen und die Rote Zora sind davon ausgegangen, daß sich die Widersprüche in den kapitalistischen Zentren zuspitzen. Im Gegensatz zur RAF haben sie sich entschieden, "den Kampf um die Köpfe der Menschen" zu führen. Ihr habt euch bewußt ausschließlich auf internationalistisch orientierte Politik bezogen und nicht darauf gesetzt, daß sich die Klasse oder eine soziale Bewegung hier organisiert. Im Gegenteil: Ihr habt vom sogenannten korrumpierten Metropolen-Proletariat gesprochen. Wer war denn das zu agitierende Subjekt?

Unser Ansatz war, daß, wer die Verhältnisse in der Metropole ins Zentrum seiner Analyse stellt und von diesem Standpunkt die Welt betrachtet, nicht zu einer richtigen Einschätzung der Lage kommen kann. Man muß vom globalen Verhältnis ausgehen, sonst würde man immer einen chauvinistischen Standpunkt des relativ Privilegierten einnehmen. Emanzipation, wie sie heute auf dem Stand der Produktivkräfte möglich ist, gibt es nur im globalen Prozeß. Sie wird sich auch nicht in Form eines überholten Klassenschemas entwickeln. Gemeint haben wir alle, die Hoffnung auf ein befreites Leben entwickeln zu können, jenseits von Ausbeutung und Entfremdung.

In der Linken existierten große Hoffnungen auf die revolutionäre Sprengkraft der nationalen Befreiungsbewegungen im Trikont. Nicht zuletzt deshalb hat sich die RAF sehr stark auf sie bezogen. Im Nachhinein kann man sagen, daß die Kämpfe in erster Linie notwendige Verteilungskämpfe waren, die über gewisse sozialdemokratische Erneuerungen abgewirtschafteter diktatorischer Regimes nicht hinausführen konnten.

Sie waren eine historische Notwendigkeit. Man kann ihnen ihre Beschränkung kaum vorwerfen. Diese Bewegungen waren auch deswegen ein starker Bezugspunkt, weil sie ein wirklicher Faktor in jener Phase waren und militantes Selbstbewußtsein zeigten. Ohne Zweifel kam es bei vielen zu einer Überschätzung.

Waren die Grenzen damals absehbar?

Selbst wenn man die Begrenzungen deutlicher vorausgesehen hätte, hätte man die Befreiungsbewegungen unterstützen müssen. Man sollte nicht von anderen erwarten, wozu man selbst nicht in der Lage ist. Für sie war die Bildung von sozialdemokratischen Staaten ein geschichtlicher Fortschritt. Mit der Befreiung von Staatlichkeit mußt du da beginnen, wo sie am ehesten möglich ist.

Im Mai dieses Jahres nahmen 700 Menschen an einer Veranstaltungsreihe zum Thema "Bewaffneter Kampf in Europa" in Zürich teil, die sich hauptsächlich mit der RAF und den italienischen Roten Brigaden beschäftigte. Kann man denn noch von "Zwischen-Berichten" im Zusammenhang "Militanz, Revolte, Revolution" reden, wo doch faktisch solche Ansätze keine Rolle mehr spielen?

Für mich war diese Veranstaltung sehr interessant. Zum ersten Mal nach mehr als zwei Jahrzehnten trafen nicht nur Menschen zusammen, die in Italien und in der BRD bewaffnet gekämpft hatten, sondern viele, die in diesen Jahren auch politisch aktiv waren, bis hin zu Jüngeren, die jene Zeit verstehen wollen. Ich sehe keinen Grund, wegen des Endes dieser Phase in Pessimismus zu verfallen. Niederlagen sind schwer erträglich, aber man sollte diesen Kampfzyklus auch in seiner geschichtlichen Bestimmtheit begreifen. Vieles, was mit systemüberwindendem Anspruch angegangen wurde, konnte nur immanente Resultate haben, solange das System noch eine Entwicklungsmöglichkeit hatte.

Man sollte den Subjektivismus nicht in dem Selbstvorwurf verlängern, man wäre an allem Schuld. Es ist notwendig, die Erfahrungen der vergangenen 30 Jahre kritisch zu betrachten. Sind manche auch hart oder gar peinlich, so gehören sie dennoch zum Reichtum an konkreten Kämpfen. Man muß die Fehler und Schwächen ebenso benennen wie die Stärken. Dieses Interesse hat die Veranstaltungsreihe in Zürich gekennzeichnet.

Die Zeitgleichheit der Krise des Systems und der Krise der Linken verweist im übrigen auf Gemeinsamkeiten in den Konstitutionsbedingungen und den Basiskategorien. Die Linke ist in den Systemkriterien befangen, so auch ihre Vorstellungen einer Aufhebung. Es gibt derzeit keine transzendente Vorstellung über das Universum von Geld und Ware, Markt und Staat hinaus. Aber wenn es keinen Traum von einem Jenseits der herrschenden Verhältnisse gibt, kann es auch keine Taktik und Strategie im Diesseits geben. Was global läuft, ist nicht mehr dem Willen einer Kapitalistenklasse unterworfen, es ist der blinde und subjektlose Prozeß der mörderischen Gesetzmäßigkeit der Verwertung von Mensch und Natur. Die Linke müßte sich selbst aufheben, denn im Politik-Fetisch wird sich nichts Emanzipatives mehr bewegen lassen. Dann würde die Vorstellung einer sozialen Revolution nicht weltfremd klingen.