Karriere auf dem Jugendticket

Das "Staart 21"-Papier der jungen Grünen spiegelt den Zustand der Gesamtpartei wider

Der innerparteiliche Wahlkampf bei den Grünen hat begonnen. In der vergangenen Woche legten junge grüne Funktionäre, vornehmlich aus den Landesverbänden Hessen und Baden-Württemberg, ein Papier "Start in den Staat des 21. Jahrhundert" - kurz Staart 21 - vor. Die JungpolitikerInnen fordern einen Abschied von der Vollbeschäftigungsillusion. Verzicht im öffentlichen Dienst und innovative, risikofreudige Selbständige sollen den Standort Deutschland für den globalen Wettbewerb fit machen. Das Kapital für diese "Gründungswelle" soll unter anderem aus einem an den Aktienmärkten angelegten "Rentenfonds" kommen. Als Aufstand gegen die 68er inszeniert, fand das Papier ein großes Echo in den Medien. Die angegriffenen 68er in der Partei reagierten dagegen gelassen. Ludger Volmer vom linken Parteiflügel verteidigte sich mit dem Hinweis, die 68er seien sehr wohl bereit für den Machtwechsel. Der Europaparlamentarier Daniel Cohn-Bendit fühlte sich zu Recht nicht angegriffen, lobte die "hervorragende Marketingstrategie" seiner jungen KollegInnen und ihren Machtwillen. Die schärfste Kritik an dem Papier kam von linken grünen Jugendlichen um das NRW-Landesvorstandsmitglied Christian Simmert, Sven Metzger aus Rheinland-Pfalz und Jule Endruweit vom grünen Hamburger Frauenrat. In dem neunseitigen Papier "@21: 78 junge Grüne für das @lternative 21.Jahrhundert" antworteten sie den "Liberalos" ihrer Partei und wehrten sich gegen deren Kurs der Kürzungen und der falschen Bescheidenheit.

Doch die Analyse der linken grünen Jugendlichen greift zu kurz, weil sie in Staart 21 einen Bruch mit bündnisgrüner Politik zu sehen glauben. Dabei unterscheidet sich das Papier in keiner Zeile von der aktuellen Politik der bündnisgrünen Bundestagsfraktion und den Beschlüssen der grünen Landesversammlungen in Hessen. Auch übersehen die @21-Leute, daß die Argumentationslinie der AutorInnen von Staart 21 weniger neoliberal als modernistisch ist. Die Diffamierung der Sozialverbände und Gewerkschaften als "Lobbyverbände" ist konsequent angesichts der Tatsache, daß der Finanzexperte der grünen Bundestagsfraktion, Oswald Metzger, sich bislang unkritisiert bei der Bundesregierung für deren Aufräumen mit "sozialdemokratischem Besitzstandsdenken" bedanken konnte. Der Abschied von der "Ideologie der Vollbeschäftigung" und die Forderung nach Teilzeitarbeit statt Arbeitszeitverkürzung spiegelt nur das von jeher gestörte Verhältnis zwischen grüner und gewerkschaftlicher Politik wider. Konnten die Grünen der frühen Achtziger mit ihrer Kritik an der Industriegesellschaft nicht Fuß fassen in den Gewerkschaften, predigen sie nun, gemeinsam mit der DGB-Führung, den Verzicht zur Sicherung des Standorts Deutschland.

In ihrer verständlichen moralischen Entrüstung über die Offenheit der hessischen Realo-Jugendlichen vergessen die AutorInnen von @21 auch, auf die Rahmenbedingungen der Entstehung von Staart 21 einzugehen. Der hessische Landesverband der Grünen ist seit langer Zeit von der ehemals fundamentalistischen zur Realo-Speerspitze geworden. Auf der jüngsten Landesversammlung der Grünen, ist unter kräftiger Mithilfe der Grünen Jugend Hessen der endgültige Durchmarsch der Realo-Fraktion gelungen. Der marginalisierte linke Flügel ist erstmals nicht im Landesvorstand vertreten. Der neue Landesgeschäftsführer der hessischen Grünen, Jens Kröcher, hat seine Sozialisation am Frankfurter "Stammtisch" der Grünen Jugend erhalten. Derselbe Stammtisch, über den Matthias Berninger, jüngster grüner Bundestagsabgeordneter, gern berichtet, daß dort der Begriff "Yuppie" nach langer grüner Isolation endlich wieder positiv besetzt wurde.

Geht es nach Matthias Berninger, Mathias Wagner und Tarik Al-Wazir, sollen mit Staart 21 in doppelter Hinsicht Nägel mit Köpfen gemacht werden. Zum einen soll die Auseinandersetzung um die Funktion des erst 1994 gegründeten Grün-Alternativen Jugendbündnis entschieden werden. Berninger und Freunde halten einen klassischen, links der Mutterpartei stehenden Jugendverband für so überflüssig wie einen Kropf und streben statt dessen nach einer Struktur, die als Karrieresprungbrett für Mandate und Funktionen unter dem "Jugendticket" dient. Zum anderen wird in Staart 21 ein Generationenkonflikt konstruiert, der Jugendlichkeit zum politischen Qualitätsmerkmal erhebt und damit die Listenplätze für die kommende Bundestagswahl sichern soll. Immerhin ist es Matthias Berninger 1994 genau mit dieser Argumentation gelungen, sich gegen den bekannten Realo und Fischer-Intimus Hubert Kleinert durchzusetzen. Der moralisierende grüne Gründungskonsens "Wir haben uns die Erde nur von unseren Kindern geborgt" wird nun zum Schlachtruf der Jungen gegen die Alten im Kampf um Funktionen und Mandate. Darüber hinaus ist es jedoch gerade die Jugendlichkeit, mit der in Staart 21 der Ausweg aus der Globalisierungsfalle gefunden werden soll. Denn typisch für die Argumentationslinie der Modernisierer ist, zu behaupten, Kreativität, Risikobereitschaft und Innovationsfreude seien der Jugendlichkeit immanent und durch den Staat nur ausreichend zu fördern.

Berninger und Freunden haben bereits lange vor der Veröffentlichung von Staart 21 den Modernisierern in den Grünen ein eigenes neues Gesicht verliehen. Während Joseph Fischer, Oswald Metzger und Hubert Kleinert die Gewinnerseite der Fundi-Realo-Auseinandersetzung repräsentieren, stehen Berninger und Freunde für einen neuen "Bill Gates"-Diskurs. Sie glauben den Weg aus der unhinterfragt angenommen Globalisierungsfalle in einem Wettlauf der Standorte um "Innovation" gewinnen zu können. Die Risiken dieser Innovationspolitik, wie Scheinselbständigkeiten und Abschied von beruflicher Lebensplanung werden ihrer Ansicht nach von den als potentiellen Innovationsträger definierten Jugendlichen für den Standort Deutschland gern in Kauf genommen.

Diese Argumentation wiederum trifft den Nerv der Mediengemeinde, die bereits heute den sozialdemokratischen Modernisierer Schröder zum Kanzler gekürt hat. Das erklärt die engagierte Berichterstattung über Staart 21. Da Berninger und Freunde aber auch den rechten Rand des fatalen "Kohl muß weg"-Linksbündnisses von SPD bis PDS bilden, bleibt zu befürchten, daß diese große Koalition den Bundestagswahlkampf zu einem absehbar inhaltsleeren und unpolitischen Medienspektakel werden läßt.