Einstellung der radikal-Verfahren

Schlechte Bilanz

Alle, die in den letzten Jahren von der Bundesanwaltschaft (BAW) belästigt wurden, weil sie in der verdeckt organisierten Zeitschrift radikal mitgemacht haben sollen, können das erste Fläschchen Sekt öffnen. Die Entscheidung des Koblenzer Oberlandesgerichtes, die Verfahren gegen vier vermeintliche Mitarbeiter des Blattes gegen Zahlung einer Geldbuße und Verzicht auf Haftentschädigung einzustellen, dürfte auch auf die 16 noch anstehenden radikal-Verfahren positiven Auswirkungen haben. Vor allem scheint der Versuch der Bundesanwälte gescheitert, erstmals die Redaktion einer Zeitung zur kriminellen Vereinigung nach Paragraph 129 a zu erklären und damit einen Freibrief für Angriffe auf weitere linke Medien auszustellen. Das aber ist hauptsächlich den Koblenzer Richtern zu verdanken, die sich - aus welchen Gründen auch immer - geweigert haben, den Bluthund für die BAW zu spielen.

Im Gegensatz zu früheren Angriffen gegen die Zeitung war es weder eine linksliberale Öffentlichkeit noch die radikale Linke, die den Vorstoß der Bundesanwälte scheitern ließ. Zwölf Jahre, nachdem die radikal-Redaktion entschieden hat, sich dem Zugriff staatlicher Zensur zu entziehen, hat man in der Linken offenbar die vorgegebenen Grenzen der "Meinungsfreiheit" längst akzeptiert.

Eine schlechte Bilanz also: Die Linke kann sich lediglich darüber freuen, daß die Festschreibung einer "kriminellen Vereinigung radikal" nicht stattgefunden hat. Die Erfolgsliste der BAW hingegen ist länger: Ganz im Sinne des Ermittlungsparagraphen 129 a - weniger als fünf Prozent der eingeleiteten Verfahren kommen tatsächlich zur Anklage - konnte ein Teil der autonomen Szene vollkommen legal ausgespäht werden. Glaubt man den Ermittlern, so können diese sich durch zahlreiche beschlagnahmte Dateien der radikal-Struktur ein hervorragendes Muster klandestiner Strukturen machen. Quasi ohne öffentlichen Aufschrei lief nebenbei der bislang längste bekanntgewordene Lauschangriff - während im Bundestag noch über die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahmen diskutiert wurde. Und auch als deutsche Polizisten in den Niederlanden die Wohnung eines vermeintlichen Mitarbeiters der Zeitung auf den Kopf stellte, war lediglich im Nachbarland Kritik laut geworden. Das große Jagen auf ungeliebte Homepages, zu dem die BAW unter dem Vorzeichen radikal im Internet blies, sorgte lediglich bei so manchem Netz-Surfer für Aufregung.

So ist die Entscheidung, einer Einstellung des Verfahrens unter diesen Bedingungen - und damit einem indirekten Schuldeingeständnis - zuzustimmen, vernünftig. Dennoch ist sie aber auch Ausdruck der fehlenden Stärke, um sich den Zensoren in den Weg zu stellen. Unter anderen Umständen hätte man einen Prozeß nutzen können, um die Anklage in einem Spektakel ad absurdum zu führen und die Notwendigkeit unzensierter Widerstandsmedien offensiv zu verteidigen. Daß dies von der Realität weit entfernt scheint, spricht letztlich trotz aller Unzulänglichkeiten auch für die Entscheidung der radikal-MacherInnen, in diesen Zeiten eher dem Schutz der verdeckten Organisierung als dem der Öffentlichkeit zu vertrauen, wenn unzensiert über militante Politik berichtet werden soll.