Bosnischer Feuertopf

Dayton in der Krise

Albright und Holbrooke stehen vor den Problemen, die die deutsche Außenpolitik geschaffen hat

Nur noch ein dreiviertel Jahr bis zum angekündigten Abzug der US-Truppen aus Bosnien. Die Nervosität steigt. Die spektakulärsten Aktionen der Sfor-Einheiten in den letzten Monaten richteten sich zweifellos gegen die Serben: Im Juni wurde der ehemalige Bürgermeister von Vukovar festgenommen und als mutmaßlicher Kriegsverbrecher nach Den Haag überstellt, im Juli wurden im Rahmen der Nato-Operation "Tango" der ehemalige Polizeichef von Prijedor erschossen und der örtliche Krankenhausdirektor verhaftet, im August fuhren Nato-Panzer vor dem Wohnsitz des ehemaligen Präsidenten Radovan Karadzÿic« auf. Daß das UN-Kriegsverbrechertribunal, obwohl formell unabhängig von der politisch-militärischen Exekutive der Nato-Staaten, den Serben Dusan Tadic« zu 20jähriger Haft verurteilte, fügte sich in dieses Szenario problemlos ein: "Die Jagd auf die Serben ist eröffnet", formulierte die auflagenstärkste Belgrader Tageszeitung Vecernij Novosti am 12. Juli. Seit die Sfor-Spitze offiziell angekündigt habe, daß sie die Namen gesuchter Kriegsverbrecher nicht mehr veröffentlichen werde, müsse jeder Serbe ständig mit Verhaftung rechnen, so das Blatt weiter. Daß diese Meinung auch von der serbischen Opposition geteilt wird, macht die Stellungnahme der Belgrader Studenten nach dem Fahndungs-"Tango" deutlich: "Diese Aktion gießt Öl ins Feuer der Ereignisse und trägt keinesfalls zur Stabilisierung der Region bei." Die Bevölkerung in der bosnoserbischen Republik, die ursprünglich durchaus Sympathien für die Sfor-Soldaten hatte, behandelt diese seit der Eskalation in diesem Sommer als Besatzungstruppen: In Kneipen und Restaurants werden sie nicht mehr bedient, auf der Straße beschimpft. Nicht nur in Pale, sondern auch in Banja Luka hängen Plakate der Regierungspartei SDS, die "Hände weg!" von Radovan Karadzÿic« fordern.

Bei näherer Betrachtung zeigt sich freilich, daß die US-Politik nicht so anti-serbisch ist, wie es - in seltener Einigkeit - die serbischen und deutschen Medien suggerieren. Vielmehr hat das State Department den Druck auf alle drei Bürgerkriegsparteien erhöht. Kroatien etwa wurde im Frühjahr in einer wochenlangen Kampagne von der International Herald Tribune wegen der "Wiederkehr des Faschismus" attackiert. Bei ihrem Antrittsbesuch in Zagreb forderte die neue amerikanische Außenministerin Madeleine Albright von Staatspräsident Franjo Tudjman ungewöhnlich deutlich, endlich mit den Haager Behördern zusammenzuarbeiten - kurz darauf begannen diese mit dem Prozeß gegen Tudjmans General Blaskic«. Weiterhin gibt es Hinweise, daß die "Tango"-Fahndung, leider ohne Erfolg, auch im kroatischen Herceg-Bosna durchgeführt worden ist. Am schmerzhaftesten für Zagreb war schließlich das Einfrieren der Kredite von Weltbank und Internationalem Währungsfonds - die Tudjman-treue Tageszeitung Vjesnik empörte sich daraufhin über den "amerikanischen Rassismus" gegenüber den Kroaten.

Auch die muslimische Regierung in Sarajevo mußte zurückstecken: "Endlich kommt Holbrooke!" hatte Izÿetbegovic«s Tageszeitung Oslobodjenje dem US-Emissär vor seiner Rundreise Anfang August noch entgegengejubelt - doch hinterher verlor die muslimische Presse kein Wort mehr über die Mission und druckte lediglich die Kommentare westlicher Zeitungen nach, die von einem "Fehlschlag" Holbrookes sprachen. Was war geschehen? Der US-Politiker war gekommen, um eine Stärkung der gesamtbosnischen Staatsorgane durchzudrücken - fürs erste war dabei aber nur die Aufteilung der Botschafterposten unter allen drei Volksgruppen herausgekommen. Das wiederum war ein Schlag gegen die Muslime, die bisher den diplomatischen Dienst für sich monopolisiert hatten. Außerdem hatte Holbrooke zwar die Forderung an die bosnischen Serben erneuert, Karadzÿic« müsse sich von der politischen Bühne zurückziehen - jedoch davon Abstand genommen, seine Auslieferung nach Den Haag zu verlangen. Schließlich drohen den Muslimen, ähnlich wie den Kroaten, empfindliche Wirtschaftsstrafen. Seitdem der britische Außenminister Robin Cook bei einem Besuch im Juli enthüllt hat, daß internationale Aufbauhilfen in Höhe von mindestens 110 Millionen Dollar bei den muslimischen Behörden versickert sind, beziehungsweise, so der britische Botschafter Charles Crawford, für die Alimentierung von Izÿetbegovic«s Geheimpolizei verwendet wurden, muß Sarajevo mit strengen Kontrollen oder gar einem Stopp der Gelder rechnen.

Schon von Anfang an waren sich in der Balkanpolitik der Nato zwei Linien gegenübergestanden: Auf der einen Seite Deutschland und die Türkei, die durch geheime Waffenlieferungen an Kroaten und Muslime die Serben "in die Knie zwingen" (Kinkel) wollten; auf der anderen Seite verstanden sich Frankreich und Großbritannien, die Entsender des Gros der Uno-Blauhelme, als Schlichter zwischen den Bürgerkriegsparteien. Diese Konzeption scheiterte, als die erste Schutzzone fiel und die Uno-Soldaten ohnmächtig zusehen mußten - entgegen verbreiteter Lesart war dies allerdings nicht das muslimische Srebrenica, sondern das serbische Westslawonien, im April 1995. Die kroatischen Angriffsoperationen "Blitz" und "Sturm" brachen im Frühsommer 1995 den festgefahrenen Stellungskrieg in der Krajina und in Bosnien auf und rollten die Serben zurück. Erst dann schalteten die USA, bis dato eher der britisch-französischen Haltung zuneigend und 1991 in Opposition zu Genschers Anerkennungspolitik, auf Angriff um und übernahmen die militärische Initiative. Anders gesagt: Die US-Bombardements im August 1995 richteten sich zwar gegen die die Serben, sie galten aber mindestens in gleichem Maße deren Gegnern. Das Pentagon mußte Stärke demonstrieren, um deren Durchmarsch zu verhindern und um eine Balance of Powers zu etablieren, deren archimedischer Punkt Washington ist - und nicht Bonn, Ankara oder Teheran.

Auch wenn man die von Bernard-Henri Lévy kolportierte Behauptung Izÿetbegovic«s, die Eroberung von Banja Luka im Oktober 1995 sei ihm von den USA untersagt worden, für interessierte Propaganda hält, stützt insbesondere die Ausgestaltung des Dayton-Abkommens die These von der US-amerikanischen Gleichgewichts-Politik. In Dayton konnten die Serben eine eigene Staatlichkeit ("Entität") im Rahmen Bosnien-Herzegowinas erreichen, ihnen wurden sogar die eroberten Enklaven Ostbosniens belassen - übrigens gegen den vehementen Widerstand der deutschen Öffentlichkeit von taz-Rathfelder bis FAZ-Reißmüller. Auf Druck der USA wurde der Geist von Dayton verteidigt, zuletzt im Februar diesen Jahres, als ein Internationales Schiedsgericht den im Vertrag nicht eindeutig entschiedenen Status Brcÿkos klärte - der strategisch wichtige Korridor wurde den Serben zuerkannt.

Die zeitweilige Koinzidenz US-amerikanischer und deutscher Politik sollte nicht über grundsätzliche Unterschiede hinwegtäuschen: Auf der einen Seite legt es Bonn unter dem Slogan "Selbstbestimmungsrecht der Völker" darauf an, bestehende Staaten in Sonderwirtschaftszonen aufzuspalten, die dann vom deutschen Kapitalexport penetriert werden können - in Bosnien scheint das geglückt, Izÿetbegovic« hat die Deutschmark sogar zur offiziellen Landeswährung erklärt. Auf der anderen Seite versucht Washington, gegen die tribalistischen Zerfallstendenzen eine neue Balkan-Föderation zu schmieden, die "Southeast European Cooperative Initiative" (SECI).

In Verfolgung dieses "völlig unannehmbaren Multi-Kulti Regionalplanes" (so die Zagreber Polemik gegen SECI) stützt die Clinton-Administration in allen Republiken Politiker, die dem völkischen Abrenzungswahn wehren und für regionale Kooperation offen sind: Deswegen drang das State Department im letzten Herbst auf die Ablösung des fundamentalistischen muslimischen Vize-Verteidigungsministers Hasan Cengiz und favorisierte den gemäßigten Haris Silajdzÿic«, deswegen stützt man die bosnoserbische Präsidentin Biljana Plavsic« gegen die Hardliner in Pale. Die jüngste Überraschung ist die neuerliche Hinwendung der Clinton-Administration zu Slobodan Milosÿevic« - die bürgerlich-demokratische Opposition wurde wegen ihres angekündigten Boykotts der Präsidentschaftswahlen scharf kritisiert. Bonn dagegen feuert in Serbien die radikalen Antagonisten an, die das Land weiter zerstören könnten: Auf der einen Seite den Tschetnik-Freund Vuk Draskovic« in Belgrad, auf der anderen Seite den sezessionistischen Betonkopf Ibrahim Rugova im Kosovo. Da muß man sich fast wünschen, die Pax Americana möge noch eine Zeit lang halten.