Josephs Jüngster wieder nicht versetzt

Richter entscheiden: 60 000 Kruzifixe müssen weiter in Bayerns Klassenzimmern rumhängen

Muß man nun nicht nur als HIV-Infizierter oder Bürgerkriegsflüchtling, sondern auch als Bürgerkriegsflüchtling, sondern auch
als Mohammedaner oder Atheist das bigotteste aller Bundesländer - den Freistaat Bayern - großräumig umfahren? Gleich zwei Meldungen der vergangenen Woche legen diese Befürchtung nahe: Da forderten die drei CSU-Bundestagsabgeordneten Norbert Geis, Johannes Singhammer und Benno Zierer eine Verschärfung des Strafrechts, um auch "Beschimpfungen eines religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses" mit Gefängnis oder Geldbuße bestrafen zu können. Geschützt werden sollen damit natürlich vor allem die Christlichen Kirchen und das "christliche Weltbild" der CSU, denn daß es sich CSU-Politiker in Zukunft verkneifen wollen, gegen Scientology zu hetzen oder etwa Kommunisten oder Anarchisten kräftig zu beschimpfen, ist kaum anzunehmen.

Nur vier Tage nach dem Vorstoß der Bonner Abgeordneten legte der Bayerische Verfassungsgerichtshof in München nach: Das Gremium, das zu 80 Prozent aus Richtern besteht, die von der CSU gewählt wurden, lehnte erwartungsgemäß eine Klage des Bundes für Geistesfreiheit und neun Landtagsabgeordneter der Grünen gegen das Kruzifix-Gesetz der Bayerischen Staatsregierung ab. Demnach müssen auch weiterhin in allen 60 000 Klassenzimmern an Bayerns allgemeinbildenden Schulen Kruzifixe hängen. Nur wenn ein Erziehungsberechtigter aus "ernsthaften und einsehbaren Gründen des Glaubens oder der Weltanschauung" verlangt, daß der Balkensepp abgehängt wird, kann der Schulleiter dies verfügen. Mit dem am 1. Januar 1996 in Kraft getretenen Kruzifix-Gesetz hatte sich die Staatsregierung über ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes hinweggesetzt, das ein Abhängen der Kreuze verlangt hatte.

Selbst in Bayern ist es indes den meisten ziemlich egal, ob an den Klassenzimmerwänden nun Kruzifixe hängen oder nicht. Es mag vielleicht wenig ästhetisch sein und so manchem den Appetit auf das Pausenbrot verderben, im Mathe-Unterricht ständig auf die Nachbildung eines ausgemergelten, gemarterten Leichnams blicken zu müssen. Und einige mögen sich dadurch - durchaus zu Recht - in ihrer eigenen Glaubensfreiheit eingeschränkt sehen. Für die CSU hat die Auseinandersetzung um die Kruzifixe an Bayerns Schulen und das Anheizen des Streits vor allem taktische Gründe: Ein Jahr vor den Landtagswahlen sieht die allmächtige Staatspartei angesichts des innerparteilichen Streits, der finanziellen und politischen Krise der Bonner Koalition und zahlreicher politischer Niederlagen ihre Felle davonschwimmen.

Schon der Aufschrei nach dem im Mai 1995 gefällten Kruzifix-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes hatte vor allem eines zum Ziel: Die Autorität des höchsten deutschen Gerichtes im Vorfeld des anstehenden Urteils zur Asylrechtsänderung zu untergraben und damit kräftig Druck auf die Richterinnen und Richter auszuüben. Daß nun die Münchner Verfassungsrichter nach der Pfeife der Staatskanzlei tanzen würden, konnte von niemandem ernsthaft bezweifelt werden. Und es ist ein wahrer Eiertanz geworden, den die Richter aufführten, um der CSU - nach dem Verfassungsgerichtsurteil zur bayerischen Abtreibungsregelung und dem Erfolg des Volksbegehrens zur Abschaffung des Senats - eine neuerliche bittere Niederlage zu ersparen. So stellt ein Kruzifix im Klassenzimmer nach Ansicht der Richter "kein staatliches Bekenntnis zu den durch das Symbol des Kreuzes ausgedrückten Glaubensinhalten oder Bekenntnishandlungen im Sinne einer Identifikation dar". Ein Verfassungsverstoß liege erst dann vor, "wenn der Staat sich mit den darin symbolhaft verkörperten Ideen oder Institutionen identifizieren würde".

Petra Münzel, die Sprecherin der Landtagsfraktion der Bündnisgrünen, kommentierte die Verbeugung des Gerichtshofes vor der Staatskanzlei mit den Worten: "Seine Entscheidung darf als Bestätigung dafür verstanden werden, daß richterliche Unabhängigkeit in diesem überproportional von der CSU besetzten Gericht eine relative Größe ist." Dabei hatten die Grünen gar nicht gegen die Pflicht zum Kreuze-Aufhängen an sich geklagt, sondern lediglich gegen die Verpflichtung der Eltern, ihre religiöse Anschauung preiszugeben, wenn sie nicht wollen, daß ihr Kind unter dem Kreuz unterrichtet wird. Dieser Zwang zur Offenbarung verstoße gegen das Grundgesetz, argumentierten die Grünen.

Die Münchner Verfassungsrichter stellten in ihrer Urteilsbegründung dagegen sogar fest, daß die Preisgabe des eigenen Bekenntnisses nicht genüge, um ein Abhängen der Kreuze zu erreichen. Wer den Gottessohn von der Wand haben will, muß vielmehr darlegen, "inwieweit sich aus der von ihm vertretenen Weltanschauung ernsthafte Gründe gegen das Kreuzsymbol ableiten". Kultusminister Hans Zehetmair ist mit dem Münchner Urteil natürlich hochzufrieden und mit dem Erfolg des Kruzifix-Gesetzes ebenfalls: Seit Inkrafttreten des Gesetzes vor anderthalb Jahren hat es bislang nur ein einziger Erziehungsberechtigter gewagt, gegen das Kreuz im Klassenzimmer aufzubegehren.